Freitag, 29. Juli 2011

"Die aktuelle Sündenwoche" - 6. Tag: Samstagsreligion

Als ich letzte Woche meinen Eintrag schrieb, war gerade eine der schlimmsten Katastrophen bis jetzt in 2011 mitten im Gange. Zunächst war "nur" vom Bombenanschlag in einem norwegischen Regierungsgebäude in der Hauptstadt Oslo die Rede und erst in der Nacht las ich, was sich auf der Ferieninsel Utoya abgespielt hat. Wo dann danach hätte Schweigen herrschen sollen anhand dieser fassungslosen Tat, begannen wieder nur Diskussionen. Speziell, als bekannt wurde, dass der Täter Anders Behring Breivik sich zur rechtsextremen Szene hingezogen fühlt. Es scheint, als wiederhole sich die Geschichte, nicht nur im Hinblick auf Rechtsradikale, die Anschläge gegen ausländische Minderheiten verüben, sondern auch wenn man sich die Reaktion der Menschen ansieht. Es braucht irgendwie immer erst eine Katastrophe, bis Menschen anfangen über Probleme der Gesellschaft zu diskutieren. Oft frage ich mich, warum es erst 77 Tote braucht, bis man über eine Problematik nachdenkt... und dann stelle ich für mich selbst immer wieder fest, dass es sich doch viel besser macht, in einer Art "Nachbarschaftsgespräch" die Probleme der Welt zu diskutieren, solange diese Eisen noch heiß sind. Über Probleme, die unsichtbar wie ein Damoklesschwert über uns schweben, wird nicht gerne geredet - es ist ja nicht "in" oder "hip" genug.

"Hip" bin ich auch nicht unbedingt mit meiner Sommerlochserie, so sei es! Ich lebe wahrscheinlich in der begnadeten Situation, dass es mir egal ist. Aber so ganz den Bezug zur realen Wirklichkeit dieser Tage will ich ja nun auch nicht verlieren. Deswegen fand ich mein (mir selbst auferlegtes) Thema für diese Woche sowas von passend, dass es schon fast zu schön ist, um wahr zu sein. Womit ich letzte Woche noch so gekämpft habe, scheint in dieser Woche gute Steilvorlagen zu bieten. Aber ich will den "Samstag"-Morgen nicht vor dem Abend loben.

Am Wochenende der Sündenwoche steht mit dem Samstag zunächst einmal die Gewissheit, die harte Sündenarbeitswoche überlebt zu haben, mit allen ihren Schikanen, vom Reichtum über den Genuss, das Wissen, das Geschäft und schließlich die Wissenschaft. Nun direkt hinter dem Eingangstor des Wochenendes steht die Religion. Gandhi's sechste Todsünde der Modernen Welt nennt sich "Religion ohne Opferbereitschaft". Passender geht es nicht!

Wenn man an die Geschehnisse vergangenen Freitag in Norwegen denkt wich dem Schock das blanke Unverständnis für eine Tat, in der der Täter weder sich selbst zum Schluss richtet noch irgendwelche Reue für das zeigt, was er da angerichtet hat. Ein Mann "im besten Alter" mit der Kraft zu errichten, zu schaffen, zu wirtschaften - und diese dann nutzt, um zu zerstören, zu töten und grenzenloses Leid zu bringen. Doch für eine Sache hat er dann doch seine Kraft noch aufgewendet: ein rund 1500-seitiges Manifest zu schreiben, um seinem Narzissmus den Raum zu geben, einen Sockel für sein eigenes Denkmal zu errichten. Vor einiger Zeit schrieb ich einen Blogeintrag zum Thema "Narzissmus" (hier um genau zu sein) und erntete dafür viel Kritik und die Meinung einiger Leute, dass es mit dem Narzissmus gar nicht so schlimm in unserer Gesellschaft steht. Nach den Vorfällen dieser Woche mögen diese Meinungen sich zwar immer noch nicht geändert haben, allerdings merkt man doch, dass die Dimension des Narzissmus eine neue, erweiterte Form angenommen hat.

Seine Tat rechtfertigt Anders Behring Breivik mit der Begründung, er müsse die Welt retten. Wahrscheinlich meinte er damit (wie die meisten größenwahnsinnigen Genies dieser Erde) seine eigene Welt, nicht den Planeten Erde allgemein. Man muss inzwischen erschrecken vor dem, was ein Mensch in der Lage ist zu tun. Welche Geisteshaltung er annehmen kann, in welche mentalen Sackgassen er sich begeben kann in der festen Überzeugung, das Richtige zu tun.

Zu allen Zeiten brauchte der Mensch etwas, an das er glauben konnte. Immer dann, wenn er Phänomene des Lebens nicht erklären konnte, war da der Glauben, der vieles rechtfertigte. Und vor Jahrtausenden sind in verschiedenen Ecken der Erde daraus die sogenannten Weltreligionen entstanden: Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus. Jede dieser Relgionen ist im Kern gleich, sagt das Gleiche aus und will den Menschen auch das Gleiche vermitteln, nur werden dafür ganz verschiedene Philosophien und Theorien in die Welt gesetzt, die keiner wirklich wissenschaftlich beweisen kann, die aber irgendwo doch ihre Gültigkeit und Richtigkeit zu haben scheinen.
Religion ist über die ganze Zeit immer gültig, egal wohin wir gehen, egal, wie wir uns weiterentwickeln. Wo Bildung ist, wo eine Gesellschaft ist und wo Logik vorherrscht, braucht es auch etwas, an das wir uns klammern können am Ende des Tages, das uns durch unser Leben begleitet, unerschütterlich bis zum Ende unseres Lebens.

Doch nie haben wir die Religion so sehr in Frage gestellt wie heute. In einer Zeit, in der wir uns technisch und karrieretechnisch immer weiterentwickeln, in der das Geld und der Erfolg immer wichtiger werden, ist die Philosophie über das "woher komme ich und wohin gehe ich?" in den Hintergrund gerückt. Wenn wir uns diese Fragen inzwischen stellen, geht es nur um die Karriere oder unseren Lebensraum im Hier und Jetzt. Die Vergangenheit oder die weite Zukunft, wenn wir nicht mehr auf diesem Planeten verweilen werden, sind scheinbar unwichtig geworden. Religion ist den meisten Menschen anscheinend absolut unwichtig geworden, es ist gar uncool, überhaupt noch über religiöse Zugehörigkeit zu sprechen.

Wer die Menschheit wirklich analysiert und kennt, der weiß aber auch, dass es zu jeder Bewegung eine Gegenbewegung gibt (oder besser gesagt geben muss!). Das ist eine Möglichkeit, religiösen Fanatismus zu erklären. Wie den des Anders Behring Breivik, der in seinem übersteigerten Religionswahn glaubt, nur gläubige Christen und Weiße hätten ein Recht auf Überleben. Vielleicht hat sich sein religiöser Fanatismus aber auch nur aus den Schreckensmeldungen der letzten zehn Jahre entwickelt: spätestens seit dem 11. September 2001 ist die Welt beherrscht vom Gedanken des terroristischen Islam, den Moslems, die in ihrem religiösen Wahn nur Tod und Leid über die Menschheit bringen wollen.

Dieses Bild hat sich leider in vielen Köpfen so festgesetzt, dass wir hinter jedem nordafrikanischen oder ostasiatischem Gesicht (hellhäutig bis mittelbraun, braune Augen, schwarze Haare) mit langem Bart einen Terroristen vermuten. Klar, das Böse ist allgemein ja auch immer dunkel, schon in der Religion. Im Christentum sind die Engel ja auch immer blond und blauäugig, der Teufel hingegen ist von dunkler Gestalt. Und da keiner der Laien irgendetwas über den Islam weiß, ist dieser auch schnell verteufelt.

Noch leichter wird die Sache allein dadurch, dass alles, was wir über den Islam wissen, nur mit negativen Bildern behaftet ist: Terroranschläge "im Namen des Islam", Akte gegen die Gleichberechtigung "im Namen des Islam", Mord und Totschlag "im Namen des Islam". Nur die, die selbst Moslem sind und nicht diese Taten verüben oder gutheißen wissen, dass der Islam vieles, aber nicht das bedeutet, was die Taten von 9/11 oder anderen Anschlägen repräsentieren.

Dabei müssten die Christen doch schlauer sein, als an den Islam als Terrorreligion zu glauben. Auch das Christentum hat über die Jahrtausende viele Leichen im Keller - und keine dieser Leichen ist auf eine schönere oder ehrenwertere Weise zustande gekommen. Sie entstanden auch aus religiösem Fanatismus heraus. Genau wie die Leichen von hinduistischen Fanatikern in Indien, die Moslems und Christen verfolgen und töten - oder auch umgekehrt. Eigentlich ist der "Totentanz der Religionen" ein munterer Ringelreihen der Kulturen, Weltanschauungen und "Was machen wir alle vor der Geburt und nach dem Tod"-Philosophen. So schön Religion ist, so gefährlich ist sie eben auch.

Wenn der Mensch allgemein einen großen Fehler begeht, dann ist es zu denken, dass sein Glaube und seine Weltanschauung nicht nur zu 100% richtig, sondern so richtig sind, dass nur sie auf jeden anderen Menschen passt. Und daraus resultiert zum Teil auch religiöser Fanatismus. Immer dann, wenn ein Mensch nicht nur meint, die geeignete Religion für sich gefunden zu haben, sondern behauptet, diese Religion passt auf alle knapp 7 Milliarden Erdenbürger.
Dabei sollten wir es doch alle besser wissen! Das klappt schließlich schon nicht in der Politik - und das ist etwas, bei dem es nicht auf "Gut Glück und viel Hoffnung" ankommt wie in der Religion. Die Ergebnisse einer Politik sind messbar, einschätzbar und man weiß immer, was die Politik tut - der Glaube ist im Politikgeschäft fehl am Platze. Trotzdem können wir uns nicht weltweit auf eine Partei, eine Regierungsform einigen, die das gesamte Erdenschiff schaukelt. Und wie soll das dann mit einer einzigen Religion funktionieren? Etwas, das so fragil ist wie eine Seifenblase, gestützt auf dem Glauben, dem "vielleicht ist es so, ich weiß es nicht, aber ich glaube daran"-Gefühl im Bauchraum, im Kopf und im Herzen.

Witzig wird die Religion erst, wenn man sie in ihre Einzelteile zerpflückt, verschiedene Prophetengeschichten unter die Lupe nimmt und feststellt, dass dort so einiges nicht wahr sein kann. Vor allem wird die Religion aber witzig, wenn in heiligen Schriften steht, dass Gott keine Gotteshäuser errichtet haben möchte und man an ihn auch ohne große Rituale glauben kann, aber jeder gute Christ meint, einmal wöchentlich (vorzugsweise sonntags) in die Kirche laufen zu müssen. Oder wenn Moslems darauf bestehen, dass es mehr und immer mehr Moscheen in Deutschland gibt. Wozu? Wenn man glaubt, kann man doch überall glauben, das hat Gott doch über seine Propheten der Menschheit mitteilen lassen. Warum braucht es dann Moscheen, Kirchen, Tempel etc., die den Propheten und Gott/Allah oder wem auch immer huldigen? Wird ein Mensch wirklich besser, wenn er einmal pro Woche in die Kirche geht? Was hat der Gläubige von diesem Ritual?

Oder geht es um die Ordnung, die ein jeder Mensch in seinem Leben braucht? Die Orientierung, wie etwas abzulaufen hat, wie lange ein Prozess dauern darf, wo er stattfindet, in welcher Reihenfolge er stattfindet etc. scheint uns allen verdammt wichtig zu sein. Als hätten wir sonst Angst, im luftleeren Raum zu schweben. Dinge, die nicht nach bestimmten Regeln ablaufen, sind uns suspekt. Wie Religionen, die wir nicht kennen - oder politische Systeme, die wir nicht verstehen.

Gandhi sprach von der Opferbereitschaft in der Religion, die jeder gläubige Mensch braucht. Nun, er meinte bestimmt nicht das, was Anders Behring Breivik letzte Woche getan hat. Mit "Opferbereitschaft" ist nicht gemeint, andere für seine Ideale zu opfern.... allerdings sind Selbstmordattentäter mit ihrem Selbstmord auf der genauso falschen Spur. Sich selbst und damit andere zu töten hat auch nichts mit religiöser Opferbereitschaft zu tun. Indem Gandhi dies ansprach, mahnte er vielmehr zum Verzicht für den Glauben, die Fähigkeit, Dinge zu lassen und selbst auch mal den Kürzeren zu ziehen im Rennen um die Spitze der Weltherrschaft.

Das Machtstreben ist keine neue Tugend, sie zieht sich durch sämtliche Zeit- und Raumschichten der menschlichen Existenz. Und doch steht dieses Machtstreben in absolutem Gegensatz zu dem, was wir mit unserer Religion eigentlich repräsentieren. Wir wollen Menschen sein, die einen Glauben haben, wertvolle Menschen, die alles tun, um die Anerkennung der göttlichen Allmacht zu bekommen. Gleichzeitig wissen wir, dass in sämtlichen religiösen Schriften zwar die eigene Entfaltung, gleichzeitig aber auch die Bescheidenheit als höchste Tugend gemahnt wird. Und trotz dieses Wissens sind wir nur danach bestrebt, im egoistischen Erfolgsbad zu schwimmen.

Der Weg zur Religion ist der zum Verzicht. Das ist wahrscheinlich auch der Hauptgrund, warum religiöser Fanatismus nicht funktioniert. Im religiösen Fanatismus (sei er jetzt basierend auf islamistischen, christlichen oder hinduistischen Schriften) geht es nie um den Verzicht, es geht nie um Bescheidenheit und es geht auch nie um Brüderlichkeit. Religiöse Fanatisten sehen sich - sich ganz allein und keinen neben sich. Sie wollen die Welt beherrschen, wollen, dass alle das glauben, was sie selbst glauben und sehen die eine, ultimative Wahrheit in ihrem eigenen Glauben. Das wiederum widerspricht komplett den Grundfesten des Glaubens und eigentlich sind Religionsfanatiker das, was sie allen anderen unterstellen: Gotteslästerer, die ihre "Religion" darauf begründen, dass Gott nur sie liebt, weil sie sind, wie sie sind.

Ähnlich muss auch Anders Behring Breivik denken. Seine Taten waren richtig und gut - und wenn das nur in seinem Kopf so ist, so ist es trotzdem immer noch richtig, zumindest für ihn selbst. Die Welt um ihn herum existiert seit langer Zeit anscheinend nicht mehr. Wer ein 1500seitiges Manifest schreibt und 9 Jahre an einer Tat arbeitet, die nur Leid und Tod bringt, 77 Menschen das Leben kostet und ein ganzes Land in Schock versetzt, kann kein Gläubiger sein, der Brüderlichkeit und Frieden vertritt. Und er kann niemand sein, der die "Gesetze" oder "Philosophien" Gottes verstanden hat.

Die Religion hat schlussendlich einen großen Haken, der so groß ist, dass sogar ein Weißer Hai daran ersticken würde: Religion ist (trotz der Tatsache, dass sie Gott vertreten soll) nicht von ihm/ihr oder Es höchstpersönlich verfasst! In jeder Religion gibt es "nur" Vertreter, Propheten, die das "Wort Gottes" verbreiten... allerdings gibt es keine Schrift, die von Gott persönlich verfasst worden wäre. Und damit sind religiöse Schriften frei interpretierbar von dem, der sie liest. Jeder Mensch, der die Bibel, den Koran oder eine andere "heilige Schrift" liest, kann das Gelesene so auslegen, wie er es gerne möchte (mit Ausnahme von ein paar unumstößlichen Vorschriften). Aber genau das macht die Religion so angreifbar: wenn ein Mensch entscheidet, seine Interpretation den Massen zugänglich zu machen und damit Anhänger für seine Interpretation findet, wird er früher oder später durch seine Verbiegung der heiligen Schriften dazu beitragen, religiösem Fanatismus den Nährboden zu geben.

Erst, wenn die Menschen verstehen, dass Religion vom Menschen geschaffen und geprägt wird, kann er sich mit offenem Geist bewusst werden, was wahrhaftig ist und was nicht. Ein Mensch, der meint, mit regelmäßigen Besuchen in der Kirche seine Pflicht Gott und dem Nachbarn gegenüber erfüllt zu haben, liegt gewaltig daneben. Religion braucht die Opferbereitschaft, zu geben und zu teilen, die Brüderlichkeit zu akzeptieren und zu respektieren - so wie jeder Prophet es in seinen Schriften zu vermitteln versucht hat.

Menschen, die wahrhaft ihr Leben der Religion verschrieben haben, praktizieren den Verzicht und die Brüderlichkeit, ohne etwas für ihr eigenes Leben abzuverlangen. Es geht nicht um Ruhm, darum in die Geschichte einzugehen (egal ob negativ oder positiv) oder um eine große Menge Geld. Es geht um Seelenfrieden - was nach dem Weg der Ungewissheit das Ziel jeder Religion darstellt. Geistige Erfüllung und damit verbundenen Seelenfrieden - das kann keine Waffen bewirken und kein Blutvergießen.

Da wir allerdings in einer Welt mit fünf verschiedenen Weltreligionen und wahrscheinlich tausenden kleiner "Splitterreligionen" leben, wird der "Krieg der Religionen" noch lange weitergehen. Der "heilige Krieg", das Unterdrücken anderer Meinungen zum Begünstigen der Meinung von ein paar Männern, die in den Bergen irgendwo im Kaschmirgebiet leben. Wenn man genau darüber nachdenkt, wurden die Religionen nicht nur vom Menschen statt von Gott gemacht, sie wurden auch allesamt von Männern gemacht. Aber diese Bemerkung soll natürlich nicht heißen, dass Frauen eine bessere Religion entwickeln könnten. Wo verschiedene Meinungen aufeinanderprallen, wird es immer dazu kommen, dass nicht alle Sehnsüchte und Wünsche erfüllt werden.

Doch das Leben ist bekanntermaßen kein Wunschkonzert - und die Sündenwoche damit unaufhaltsam fast zu Ende. Es bleibt mir nur (bevor ich mich ins Wochenende verabschiede) mein tiefes Mitgefühl mit den Familien der Opfer mitzuteilen (auch wenn diese es wahrscheinlich nie lesen werden!). Und darauf aufmerksam zu machen, dass Religion im Kopf und Herzen beginnt - das sollte sich jeder vor Augen führen, wenn er das nächste Mal aus dem Haus geht und die Macht und das Geld vor die Menschlichkeit oder Brüderlichkeit stellt.

In diesem Sinne, ein schönes Wochenende an alle Leser - und bis zum nächsten Freitag!

LG Gene :-)

PS: Ich möchte (neben all der Trauer und dem Schock wegen Norwegen) nochmal auf die Hungerkatastrophe in Ostafrika aufmerksam machen. Alle 6 Minuten stirbt dort ein Kind zur Zeit an Hunger. Damit sind während der Zeit, in der ich diesen Blog geschrieben habe (etwas länger als sonst) 24 Kinder gestorben.

Um diesem Leid ein Ende zu setzen, bleibt nur eine Geldspende und die Hoffnung, das möglichst viel von ihr davon als Lebensmittelgüter in den betroffenen Gebieten ankommt. Für alle Interessierten hier einige Links:

Aktion-Deutschland hilft

Welthungerhilfe

MISEREOR

UNO-Flüchtlingshilfe

UNICEF

Freitag, 22. Juli 2011

"Die aktuelle Sündenwoche" - 5. Tag: Freitagswissenschaft

Weiter in der Wochenserie zum Thema Gandhi's Versuch, der Welt die Todsünden der Modernen Welt näherzubringen. Ganz ehrlich, zu dem Thema "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" hatte ich die meisten Probleme, mir wirklich Gedanken zu machen. Es gibt zur Zeit einfach zu viele Dinge, die weit entfernt von der Wissenschaft stattfinden. Und bereits letzte Woche war mir das Thema "Hungersnot in Ostafrika" einfach viel wichtiger.

Doch ähnlich wie oft die Wissenschaft in den unterschiedlichsten Belangen bin ich mit meinem Blogthema letzte Woche an die Grenzen gestoßen. Es scheint die Menschen nur sehr wenig zu interessieren, was sich in dieser Region abspielt. Man bekommt das Gefühl, die Menschen können gut zusehen, wie kleine Kinder an Hunger und Durst sterben. Die Hilfen kommen viel zu langsam in Gang, schlimmer noch, eigentlich sind die Medien verantwortlich, denn die haben es vorher nicht für nötig gehalten, darüber zu berichten. Die Warnungen der Vereinten Nationen in der Dringlichkeitsform kommen ebenfalls viel zu spät. Es scheint als würde erst über ein Thema gesprochen, wenn es dringlich genug ist, wenn das Fass schon bei Weitem am Überlaufen ist. Damit ist das Reden über Probleme doch sehr verwandt mit der Wissenschaft, denn diese befasst sich auch erst in intensivster Form mit einem Problem, wenn es längst in unser aller Wohnzimmer beim Kaffeetrinken sitzen.

Nun, ganz so ungerecht darf man der Wissenschaft gegenüber nicht sein, sie setzt sich über Jahre dafür ein, dass Lösungen gegen bestimmte Krankheiten gefunden werden. Doch Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaft und nicht jede Wissenschaft arbeitet im Interesse des Menschen.

Die Wissenschaft allgemein gliedert sich auf in viele verschiedene Bereiche, von der Chemie über die Physik, die Medizin oder auch die Wirtschaft. Ja, über's Geld zu philosophieren ist auch eine Wissenschaft. Es müssen Lösungen gefunden werden für bestimmte Wirtschaftsstrukturen, wie zum Beispiel gerade mit der Euro-Krise, in der wir alle bis zum Hals mit drin stecken.
Auf der anderen Seite gibt es Mediziner, die an der Heilung von bisher unheilbaren Krankheiten forschen: Krebs, AIDS, Alzheimer... in jahrelangen und endlosen wirkenden Studien mit Experimenten und Pharmaversuchen versuchen die Forscher nicht nur die Ursache der Erkrankungen zu entschlüsseln, sondern auch ein Gegenmittel zur Heilung dieser Kranheiten zu finden.

Und dafür sind die Menschen insgeheim den Forschern unendlich dankbar. Kaum auszudenken wäre ein Welt, in der fast jeder durch eine schwere Grippe dem Tode geweiht wäre. Wie gut ist es da doch, dass hochbezahlte Wissenschaftler an der Entschlüsselung und Heilung von Krankheiten arbeiten. Wirklich? Ist das alles nur gut?

Wissenschaft hat (wenn man sie näher betrachtet) wenig mit Herzensgüte oder Brüderlichkeit zu tun. Wer als Wissenschaftler arbeitet, dem geht es in erster Linie darum, in einen Wettbewerb mit anderen Wissenschaftlern zu treten. Und dieser Wettbewerb dreht sich zunächst um Forschungsgelder, die von allen möglichen Sponsoren ergattert werden wollen, damit Thesen, die von dem Wissenschaftler aufgestellt wurden, in Studien geprüft und gegebenenfalls bestätigt werden können. Also gleichen sich Wissenschaftler und Politiker enorm, denn beide müssen erst einmal fleißig bei Leuten positiv in Erscheinung treten, damit sie gesponsert werden. Die Arbeit, die danach auf Wissenschaftler oder Politiker wartet, unterscheidet sich allerdings gewaltig.

Ein Politiker hat den entscheidenden Vorteil, dass er die Thesen, die er aufstellt, nicht beweisen muss. Wenn ein Wissenschaftler aber etwas behauptet, muss er das auch beweisen können. Und selbst WENN er das kann, heißt das noch lange nicht, dass der Beweis wirklich einer ultimativen Wahrheit entspricht. In Studien wird behauptet, Butter sei ungesund wegen Cholesterin, damit dann in der nächsten Studie behauptet wird, Butter sei doch weit ungefährlicher für das Herz-/Kreislaufsystem als vorher angenommen. Das ist nur ein Beispiel für die Fehlbarkeit der Wissenschaft, zugegebenermaßen kein glänzendes, aber es ist immerhin ein Beispiel dafür, dass alles, was man erforschen kann, nicht unbedingt richtig ist.

Thesen werden geschaffen, um be- oder widerlegt zu werden. Diese Vorgehensweise hilft uns Menschen, Wissen zu erlangen und damit Erfahrungen zu sammeln. Und sie wird in allen Sparten des Lebens angewandt, in den persönlichen wie den öffentlichen. Doch die Wissenschaft ist keine Maschinerie, die individuell agiert, sie befasst sich mit Menschenmassen und deren Bedürfnissen. Gilt genauso für die Wirtschaftswissenschaft, die flächendeckend die finanziellen Bedürfnisse einer Gesellschaft beurteilt wie für die Mediziner, die forschen, um für eine Vielzahl von Menschen dienlich zu sein. Ob es dabei um eine Krankheit oder eine neue Hautcreme geht, spielt dabei so gut wie keine Rolle.

Das gravierendste Problem an der Wissenschaft ist schlussendlich wohl nur das der Unmenschlichkeit. Es geht nie um einen einzelnen Menschen, dem geholfen werden muss, es geht darum, ein Problem flächendeckend zu lösen. Das Hauptmotiv für diese Denkweise bei den Wissenschaftlern liegt wohl weniger im Gutmenschtum, dass die Wissenschaftler umgibt, sondern eher um den Ruhm, der am Ende harter Studien und Forschungen bei erfolgreichen Ergebnissen auf sie wartet. Der Forscher ist damit dann wohl, was das "It-Girl" für die Promiszene ist: keiner weiß so wirklich, was er geleistet hat, aber meine Güte, wir lieben ihn dafür!

Ganz so hart darf man die Arbeit von Forschern natürlich nicht sehen, gerade wenn man sich die Werbung anguckt. "Forschung ist die beste Medizin", so heißt der Slogan einer Werbekampagne, in der vorgeführt wird, wie wichtig die Forschung für die Menschheit ist. Wenn man Ghandi's Todsünde "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" mal aufs Korn nimmt, entdeckt man einige Dinge, die an der vermeintlich gutmenschlichen Wissenschaft falsch laufen.

Ein Punkt dabei ist (wie eigentlich immer im Leben!) das Geld. Forschung besteht in erster Linie aus Geld, es geht um Sponsoren, die Studien finanzieren, es geht in der Pharmaindustrie später um die möglichst lukrative Vermarktung von Medikamenten und es geht um immer höher dotierte Verträge für die Wissenschaftler. Nicht nur Politiker wissen, wie sie sich meistbietend verkaufen können, Wissenschaftler stehen dem nämlich in nichts nach.
Man kann davon ausgehen, dass Wissenschaftler ihren Beruf anfangs aus edlen, brüderlichen Motiven wählen. Aber am Ende des Tages entscheidet immer noch das Geld, wer den Zuschlag für was bekommt - warum er das tut, ist eigentlich egal, Hauptsache es springt genug Geld dabei heraus.

Dramatisch ist diese Entwicklung immer dann, wenn Forschung wichtig für das Überleben eines Menschen ist. Sichtbar wird dies vor allem in der Forschung rund um die schlimmste Krankheit der Neuzeit: AIDS, die Krankheit, die nun seit mehr als 30 Jahren ihr Unwesen treibt, auch weitreichend bekannt ist und zum Hauptthema jedes Sexualkundekurses gehört (oder zumindest gehören sollte). Forscher beschäftigen sich seitdem mit dem Thema HIV-Infizierung und wie man den Virus bekämpfen kann mit einer Akribie und Leidenschaft, die ihresgleichen sucht.

Ganz erfolglos ist man im Kampf gegen den HI-Virus ja nicht, immerhin hat man schon einige medikamentöse Therapien entwickelt, die helfen, das Leben der Infizierten erheblich zu verlängern. So gut sogar, dass HIV nicht mehr zwangsläufig ein Todesurteil sein muss. Dies gilt allerdings nur für diejenigen, die krankenversichert sind und in westlichen Wohlstandsstaaten leben. Denn die Pharmaindustrie, die die Mittel vertreibt, die entwickelt wurden im Kampf gegen den HI-Virus, wollen teuer verkauft werden. Immerhin hat die Industrie viel Geld in die Studien und Forschungen gesteckt, die liefen, um die Medikamente zu testen und als wirksam zu etablieren.

Warum sollten also die hiesigen Pharmakonzerne die gleichen Medikamente, die sie für Tausende von Euros dem versicherten Wohlstandsbürger verkaufen können, kostenlos an afrikanische HIV-Infizierte weitergeben, damit dort nicht die Menschen an dem Virus wie die Fliegen wegsterben? Alles im Leben ist ein Geschäft, auch die Gesundheit. Das würde mir jetzt jeder Pharmavertreter sagen. Moralische Bedenken werden im Namen des Geldes da gerne weggewischt.

Gandhi hatte wohl recht, wenn er die "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" als Todsünde bezeichnete. Immerhin soll Wissenschaft den Menschen doch nutzen und nicht schaden. Und trotzdem steht zwischen dem Menschen und dem Nutzen der Wissenschaft immer wieder das Geld. Wenn du kein Geld hast, wirst du nicht (oder nur sehr unzureichend) behandelt.

Übrigens nicht nur in Afrika, bei denen es schlichtweg an genug Medizinkapazitäten fehlt. Lange schon wird die deutsche Gesundheitsreform kritisiert, der Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatienten, die länger auf einen Arzttermin allgemein und dann länger im Wartezimmer warten müssen, damit sie im Ende die schlechtere Behandlung erfahren und mit billigeren und eventuell weniger wirksamen Medikamenten abgespeist werden.

Den umgekehrten Fall gibt es natürlich auch: dort, wo eigentlich kein Geld investiert werden müsste, wird munter draufloskassiert. Ob es jetzt um unnötige Röntgenaufnahmen geht oder Medikamente, die man komplett selbst bezahlen soll und die im Ende nichts wirken... der Gesundheitsapparat im Ganzen und die Pharmaindustrie als großes Rädchen im Getriebe wissen, wie sie sich am Leben erhalten sollen. Im Ende gibt es wohl nur den Trost der Pharmaindustrie, dass neben hohen Managergehältern und sinnlosem Geldausgeben für Werbekampagnen der Rest wieder an die Forschung geht. Und damit geht das muntere Untersuchen an den Ursachen und der Bekämpfungen von Erkrankungen von vorne los.

Sicher ist das eine gute Sache, keiner bestreitet, dass Forschung und Medizin wichtig sind, wenn man eine Welt haben will, in der jeder überlebt und wo Überbevölkerung herrscht. Katastrophen wie die Pest oder ein Massensterben durch einen Virus wären schier undenkbar in unserer heutigen Zeit und wenn dann mal eine Krankheit auftaucht, die gefährlich werden könnte (sprich: Vogelgrippe, Schweinegrippe oder EHEC diesen Sommer!) bricht sofort Massenpanik aus. Wir sehen uns alle schon auf dem Sterbebett - bis es zwei Tage später Entwarnung gibt, weil wir doch einen Impfstoff gegen die Krankheit haben oder einen anderen Weg finden, die Krankheit einzudämmen.

Gute Sache, wenn dadurch die Weltbevölkerung immer weiter steigen kann, bei immer weniger Platz auf dem Planeten Erde, der immer mehr umwelttechnisch zerstört wird... nun, ich hör schon auf mit dem Sarkasmus!

Wahrscheinlich wollte Gandhi mit dieser Todsünde nur darauf aufmerksam machen, dass der Mensch bei der Wissenschaft im Vordergrund stehen sollte. Und zwar nicht der Forscher als Mensch, der viel Geld verdienen wird, sondern jeder einzelne Mensch, der von einer Forschung profitieren könnte. Forschung soll nutzen, nie schaden - und ein Forscher sollte sich in einem Ethos nie über die Menschlichkeit hinwegsetzen in der blinden Hatz auf Geld und Ruhm. Doch dieses Problem haben im Ende nicht nur Forscher und Wissenschaftler - viele Menschen vergessen über den Überlebensdrang (und die damit verbundene Geldgier) die Menschlichkeit. Nicht nur Menschen mit Verantwortung, nicht nur Politiker, Wissenschaftler, Banker... sondern schlichtweg jeder, du und ich eingeschlossen.

Mit diesen Worten verabschiede ich mich von meinen Lesern für diese Woche. Ich bin ehrlich, dieses Thema war für mich das schwierigste in der Sündenreihe, denn es gibt so viele andere Dinge, die in meinem Kopf aus aktuellem Anlass umherschwirren. Wir hoffen deswegen alle auf Besserung für die nächste Woche.

Ein schönes Wochenende an alle und bis zum nächsten Freitag!

LG Gene :-)

Freitag, 15. Juli 2011

Summer Break 2011: Warum werden wir nicht satt?

"Irgendwann musste das ja passieren!", war in dieser Woche mein erster Spontangedanke, als sich in meinem Kopf das Thema für den Freitagsblog ankündigte. Wie alle regelmäßigen Leser wissen, bin ich mitten in der "Sündenwoche" gefangen und eigentlich erst nach drei weiteren Einträgen aus dem Thema raus. Doch, wer mich länger kennt (und wer zusätzlich andere Medien kennt) weiß, dass keine Serie im Leben ohne Unterbrechung über die Bühne geht.

Auch bei mir nicht. Ich hatte schon mehrere Serieneinträge hier in meinem Blog, aber keine Serie habe ich flüssig aus dem Handgelenk in einer regelmäßigen Reihenfolge runtergeschrieben. Diesmal sah es so aus, als könnte es soweit sein: eine Wochenserie, die von Anfang bis Ende ohne Unterbrechung beendet wird. Aber nun kann ich allen sagen: "Pustekuchen! Ist nicht!". Und ich kann auch genau sagen, weshalb es dazu gekommen ist. Doch vorerst die Versicherung an alle, die sich Sorgen machen: in der nächsten Woche wird (so Gott will!) die Sündenwoche mit dem Thema "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" fortgesetzt.

Nun zum Grund für diese Unterbrechung (ausnahmsweise mal ganz ohne Werbung!): vor drei Tagen hat uns alle ein altes Nachrichtenphänomen wieder eingeholt, mitten im Sommerloch. Man könnte meinen, jetzt haben die Nachrichtenagenturen endgültig nichts mehr, worüber sie berichten könnten. Doch seien wir mal ehrlich: es passiert allerhand diesen Sommer in und um Deutschland herum. Die europaweite Eurofinanzkrise, gefolgt von der wahrscheinlich weitaus größeren US-amerikanischen Finanzkrise. Und mitten in diese Probleme um das Geld von Jedermann platzen Nachrichten über die absolute Armut: nach Angaben der Vereinten Nationen steht Somalia die größte humanitäre Hungerskatastrophe der Geschichte bevor. Zehn Millionen Menschen leiden an Hunger und laut UN brauchen Somalia, Kenia und Äthiopien eine sofortige finanzielle Hilfe von 150 Millionen Euro.

Bilder von Kindern, die verhungern, beherrschten plötzlich wieder die TV-Bildschirme, abgemagerte Menschen, aus deren Augen das Leben fast völlig entwichen ist. Mit einem Mal fühle ich mich wieder in meine Kindheit zurückkatapultiert, denn damals gab es immer mal wieder die Schlagzeilen um Menschen in absoluter Hungersnot. Und wenn man sich dann in einem Nachrichtenstrudel zwischen den Themen "Hungersnot in Somalia" und "Wo ist unser Sommer?" hin- und herbewegt, könnte einem schon gewaltig übel werden. Es ist wohl offiziell: die Welt ist ein Rummelplatz und wir befinden uns dauerhaft auf einer Achterbahnfahrt.

Nach dem anfänglichen Schock über die Bilder aus Somalia wich all das der unbändigen Wut. Denn ausgerechnet in dieser Woche ist unser aller Liebling, Bundeskanzlerin Merkel, unterwegs in Afrika. Und wie reagiert sie auf die Nachricht der andauernden Hungersnot? Planmäßig und mustergültig, wie es sich für einen Politiker gehört: mit wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund und den menschlichen Problemen im emotionalen Keller. Statt einer großzügigen Summe zur Soforthilfe für die Hungerleidenden wird dann nur über den Aufbau von Verteidigungsstrukturen gesprochen und Soforthilfen, damit die Verteidigungspolitik dieser Länder in Gang kommt.

Nein, das ist nicht verwerflich. Aber 1 Millionen Soforthilfe für Somalia, Kenia und Äthiopien, wo es an 150 Millionen mangelt, ist verwerflich. Mit einem Mal wird wieder die gleiche Frage aufgeworfen, die uns alle betrifft, die sich aber keiner eingestehen will: Warum werden wir in unseren eigenen Gier nicht satt?

Egal, wie schwerwiegend die Krise der europäischen Staaten Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und neuerdings auch Italien sein mag, es bleibt Tatsache, dass die meisten Menschen in Europa nicht am Hungertuch nagen. Selbst wenn sie arm sind, die Armut in Europa reitet gegen die in Afrika auf einem relativ hohen Ross. Unterschätze ich gerade die Armut in Europa zugunsten der in Afrika? Ich kann ehrlich gesagt Armut genauso schlecht beurteilen wie Reichtum. In meinem Leben musste ich nie unter freiem Himmel schlafen, weil ich kein Zuhause mehr hatte oder musste auf eine Mahlzeit unter Zwang verzichten, weil ich nicht genug Geld für ein Essen hatte. Natürlich gibt es das auch in Europa. Selbst die UNO hat nun kritisiert, dass Deutschland in der Sozialpolitik nicht gerade gerecht oder vorbildlich agiert, der Hartz IV-Satz viel zu niedrig ist, arme Kinder und Migranten nicht genug gefördert und gar diskrimiert werden etc pp.

Wenn man eins an der Problematik direkt sehen müsste (neben der Tatsache, dass die Regierung wieder einmal viel Bockmist baut in Sachen Sozialpolitik), ist es die Tatsache, dass Sozialpolitik das vielleicht schwierigste politische Minenfeld ist, dem sich Politiker gegenübergestellt sehen. Denn sozialpolitische Gerechtigkeit kann man (realistisch gesehen) nur als Wunschtraum abtun. Und diese Erkenntnis fällt mir mit großer Wahrscheinlichkeit schwerer als vielen anderen Menschen.

Von einer Freundin habe ich einmal zu hören bekommen, dass Freundschaft immer mit Geben und Nehmen zu tun hat. Merkwürdigerweise kommen diese Sätze, in denen es um "Geben und Nehmen" geht immer von den Menschen, die bevorzugt nehmen statt zu geben. Ein Mensch, der gibt, tut dies mit Freuden, solange, bis er merkt, dass er ausgenutzt wird.

In der Gesellschaft verläuft so etwas ähnlich: wir reden von Sozialpolitik, vom Geben. Aber wer von uns gibt schon gerne? Wer öffnet freiwillig seinen Geldbeutel und gibt etwas von seinem "hart verdienten" Geld ab? Nachdem man einen Monat lang jeden Tag Vollzeit gearbeitet hat, befindet man sich doch in dem Glauben, dass unabhängig von der Höhe des Verdienst, man sein Geld zu 100% verdient hat. Und das dann so sehr, dass man gar nicht einsieht, etwas an Menschen, die weniger haben, abzutreten.

Das mag daran liegen, dass man seine eigene Arbeit subjektiv immer als etwas sehr Wertvolles einschätzt. Ein Mensch dagegen, der nicht arbeiten geht, sollte auch am Anfang des Monats nicht die Möglichkeit haben, sich das Gleiche zu kaufen wie derjenige, der arbeiten geht. So sagt es jeder arbeitende Durchschnittsbürger, so sagt es jeder Politiker. Aber in genau diesem Moment beginnt soziale Ungerechtigkeit, denn man kann nicht einkalkulieren, warum z.B. ein Mensch keine Arbeit hat, ob er körperlich in der Lage ist zu arbeiten etc. Keiner kann ab diesem Moment mehr sagen, was sozial wirklich gerecht ist oder nicht. Jeder kann ab dort nur noch sagen, was er persönlich für sozial gerecht hält. Doch zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Realität liegt mindestens ein kleiner, feiner Unterschied. Dieser wird mit der Höhe des monatlichen Gehalts dann nur immer größer.

Gut, wir leben in Zeiten, in denen wir uns um unsere Währung Sorgen machen. Die USA trifft es schlimmer, die haben sogar Angst, dass ab einem gewissen Zeitpunkt überall die Lichter ausgehen, weil das Land komplett zahlungsunfähig ist. Ängste an die Wirtschaftskrise des Jahres 1929 werden laut, Inflationen soweit das Auge reicht. Wie ich schon gesagt habe, haben wir immer Angst um unser Geld - doch merkwürdigerweise waren die Meisten von uns noch nie so arm dran, dass sie sich das tägliche Brot oder die eigene Unterkunft gar nicht mehr leisten konnten.

Vielleicht sind es Bilder wie die aus Somalien, die uns diese Angst unbewusst beibringen. Und gerade in dieser Zeit, in der wir Angst um die eigene Existenz haben, sind die Geldbörsen nicht nur geschlossen, wir haben anscheinend noch ein Vorhängeschloss und einen Reißverschluss mit Zahlenkombination hinzugekauft, damit wir bloß nicht in die Versuchung kommen, unsere Geldbörsen für arme verhungernde Kinder zu öffnen.

Sicher, es gibt zwei Faktoren, die gegen eine Spende an Somalia sprechen: eigene Armut und Korruption.

Immer, wenn ich von Armut in Afrika (oder in anderen armen Regionen dieser Erde) spreche, kommen direkt die sozial Korrekten mit erhobenem Zeigefinger und predigen von der Kinderarmut in Deutschland. Der Bericht der Vereinten Nationen bestätigt ja auch diese Problematik, nur habe ich bereits gesagt, dasss die Armut in Deutschland auf einem ganz anderen Niveau stattfindet als die in Somalia. Wenn ein Kind in Deutschland Hunger leidet, dann ist das ein individuelles Problem, geschaffen meist von der Armut oder dem Desinteresse der Eltern, dem Versagen der Behörden und dem Weggucken der gesamten Gesellschaft. Doch Institutionen wie "Die Arche e.V." machen auf das Problem aufmerksam, geben einem armen Kind zu essen und bemühen sich nach Kräften, diese Kinder zu unterstützen.
Was aber macht ein Kind in Somalia? KANN es überhaupt etwas tun? Somalia steht seit gut 23 Jahren im Bürgerkrieg. Das ist neben dem fehlenden Regen im Land seit über zwei Jahren der Hauptgrund für die immer wiederkehrende Hungersnot. Die Menschen, die Nahrung brauchen, können nicht irgendwo in ihrer Stadt zu einer Institution gehen, um Essen zu bekommen. Sie müssen fliehen. Weite Wege bis zur Grenze nach Kenia in Kauf nehmen, wo sie in überfüllte Notunterkünfte aufgenommen werden und erst dort (wenn sie nicht auf dem Weg verhungert und verdurstet sind) bekommen sie Essen. Allein dieser Vergleich hilft zu verdeutlichen, dass Deutschland in seiner Armut auf einem ganz anderen Niveau als Somalia steht.

Der zweite Grund (Korruption) ist bereits durch das Stichwort "Bürgerkrieg" deutlich. Im Jahr 2010 hat die UN die Nahrungsmittellieferungen an den südlichen Teil Somalias gestoppt, da die Bedrohung gegen die Lieferanten durch islamische Terrorgruppen aus dem Land zu groß wurden, Teile der Spenden wurden unterschlagen, konnten nicht ankommen. All das bestätigt natürlich jeden Spendenmuffel in seinem Geiz. Warum sollte man 20 Euro spenden, wenn nichtmal die Hälfte des Geldes ankommt?

Man kann sogar noch weiter gehen im Anti-Spenden-Chor: Spenden schaden einem Land mehr, als sie helfen! Diese Erkenntnis durfte ich in vollem Umfang machen, als ich das Buch "Dead Aid" der Wirtschaftswissenschaftlerin Dambisa Moyo lesen durfte. Hier geht es um den wirtschaftlichen Schaden, den ständige Finanzspritzen ohne Konditionen an afrikanische Staaten durch westliche Wohlstandsländer verursachen. Wer meint, Bob Geldorf oder Bono von U2 seien Wohltäter, weil sie sich mit Spendenaktionen für Afrika einsetzen, der wird eines Besseren belehrt. Denn ein Staat kann nur durch geschäftlich faire Aktionen aus dem Elend gerissen werden, nicht durch Geld, dass regelmäßig ohne Konditionen geschenkt wird.

Speziell ein Beispiel hat dies verdeutlicht: wenn ein kleiner afrikanischer Geschäftsmann eine Ware produziert und zum gleichen Zeitpunkt aus wohlhabenden Staaten in Massen billig produziert die gleiche Ware zu Dumpingpreisen auf den afrikanischen Markt geworfen werden, kann der Produzent, der im eigenen Land mit einheimischen Mitarbeitern produziert und naturgemäß allein dadurch teurer verkaufen muss, sein Geschäft nicht am Leben erhalten. So ging es auch den deutschen Unternehmen, die ihre Produktionen reihenweise ins Ausland verlegen mussten, um mit billig produzierter Ware aus anderen Unternehmen überhaupt noch in Konkurrenz treten zu können.

Afrika wird in der Perspektive "wirtschaftliche Unabhängigkeit" immer wieder ein Bein gestellt. Ein Beispiel sind Massenlieferungen von Milchpulver. Ein afrikanischer Bauer, der Kühe hält und Milch produziert, ist nie und nimmer konkurrenzfähig zu Milchpulver, hergestellt aus subventionierter deutscher Milch, dass zum niedrigsten Preis auf den afrikanischen Markt geworfen wird. Ab diesem Punkt sind Afrikaner mit Deutschen doch sehr gleich: wenn man an einem Produkt sparen kann, tut man das - und zwar mit Freuden! Was interessiert den Konsumenten, dass sein Nachbar seine Kühe nicht mehr halten kann, weil er keine Milch mehr verkauft? Doch es geht nicht nur um Milch beim Elendsproblem in Afrika: die Wohlstandsstaaten stehen in einem absoluten Gerangel um die Rohstoffe der Afrikaner. Sei es Rohöl oder Edelmetalle: China, Indien, Russland, Europa und die USA wetteifern um diese Rohstoffe - sehen dabei aber nicht ein, dass Afrika wirklich viel davon haben sollte, seine Rohstoffe herzugeben. Also wird alles zu Billigpreisen aufgekauft oder schlichtweg ausgeraubt.

Wer Sarkast ist (wie ich!) wird sagen, im Tausch für gute Rohstoffe bekommt Afrika zum Schluss dann die zuvor bis aufs Letzte verbrauchte und ausgelutschten Rohstoffe in Form von alten Fernsehern, Kühlschränken oder Computern wieder zurück. Und das in einem Land, das nicht einmal genug Möglichkeiten hat, diese Abfallprodukte vernünftig zu recyclen. Damit stellen wir uns dann alle wieder ein Bein, weil die unsachgemäße Verbrennung von Plastik und anderen Abfallstoffen in die Atmosphäre gelangt und nachhaltig die Umwelt zerstört.

Okay, nun habe ich so viele gute Gründe dem Leser gegeben, NICHT zu spenden. Und trotzdem plädiere ich für das Spenden nach Afrika, denn es geht hier nicht um eine Spende, die Afrika nachhaltig helfen soll, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. In diesem Punkt gebe ich Miss Moyo Recht: ein Staat kann nachhaltig wirtschaftlich nur auf die Füße kommen, wenn er durch ein gutes System auf den rechten Weg gebracht wird. Mit Krediten, die nicht so honorend hoch sind, dass sie unbezahlbar sind, aber gleichzeitig mit der Verpflichtung, dass für die Geldspritzen eine Leistung erbracht werden muss. Also quasi das gleiche Problem, das auch Griechenland, Irland oder Portugal zur Zeit haben.

Im Fall Somalia geht es allerdings nicht um Wirtschaftsspenden, es geht um das Elend einer großen Menge Menschen und ihr blankes Überleben. Und dort, wo die Politik versagt, ist jeder einzelne Bürger gefragt. Sich mit der Ausflucht "Ich bezahle ohnehin schon hohe Steuern!" zu verstecken reicht nicht. Das "Geben und Nehmen"-Prinzip ist gefragt. Wir nehmen jeden Monat für unsere Arbeit Geld an, dann können wir auch mal etwas geben. So ganz ohne darüber nachzudenken, was mit dem Geld passiert. Wenn nur die Hälfte von jeder Spende im Ende in Nahrungsmittel investiert werden, die bei den Hungernden in Kenia und Äthiopien ankommen, hat jeder Spender verdammt viel erreicht und darf stolz auf sich sein.

Vielleicht plädiere ich auch nur für das "Geben ohne Nehmen", weil der umgekehrte Fall, dass "Nehmen ohne Geben" zu einem Alltagsphänomen geworden ist. An diesem wird sich nie gestört, erst, wenn es darum geht, zu geben ohne wirklich zu wissen, ob man etwas zurückbekommt, ist die Zurückhaltung verdammt groß. Geht es dabei um die Angst vor der eigenen Verelendung auf hohem Niveau? Haben wir Angst, wenn wir 20 Euro für hungernde Kinder spenden, kein Geld mehr für den alljährlichen Mallorcaurlaub übrig zu haben? Oder rechnen wir 20 Euro prompt in den Sprit um (nicht für's Auto, sondern den aus der Disco!)? Steht das eigene Vergnügen über allem?

Die meisten Menschen werden mir (die oft die Mängel der Welt in ihrem Blog anprangert) entgegnen, dass man auch Spaß am Leben haben sollte. Damit bin ich auch vollends einverstanden und wer denkt, ich gehe zum Lachen nur in den Keller, der täuscht sich gewaltig! Auch ich kenne den Spaß am Leben, ich verstehe den Spaß am Leben - und ich liebe den Spaß am Leben. Auch ich gehöre in gewissen Dingen zur Verschwendernation dazu, bewundere allerdings gleichzeitig Menschen, die mit so viel weniger auskommen als ich selbst.

Der springende Punkt ist meiner Meinung nach jedoch, dass der eigene Spaß am Leben nie die eigene Übersicht, was die Welt betrifft, trüben darf. Denn der wahre Spaß ist der, der anderen Menschen nicht schadet, sondern ebenfalls Freude bereitet.

Aus diesem Grund und aus der Verantwortung eines jeden Wohlstandsbürgers heraus, plädiere ich für die Spende an die Welthungerhilfe. Nicht, um das eigene Gewissen zu erleichtern - sondern um richtig zu machen, was die Politik so grandios und sehenden Auges falsch macht.

Und wer jetzt hilflos ist und nicht weiß, wie spenden, wo spenden, wann spenden, hier die Daten:

WIE und WO? Entweder per Onlineformular (auf der folgenden Webseite): https://www.welthungerhilfe.de/spenden_formular.html

oder per Banküberweisung (die Kontodaten der Welthungerhilfe befinden sich auf der gleichen Seite rechts oben!)

WANN? Am besten vorgestern! Da das nicht möglich ist, wäre heute vor morgen der beste Zeitpunkt! :-)

Wieviel jeder spendet, sei jedem selbst überlassen. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass möglichst viele Menschen begreifen, wie wichtig die sofortige Hilfe gegen diese humanitäre Katastrophe ist.

Mit diesen Worten beschließe ich meinen dieswöchigen Blogeintrag und hoffe, ein paar Nerven im Kopfbereich getroffen zu haben. Nächste Woche gibt es dann den nächsten Beitrag zur Sommerlochserie - und da ich denke, dass das Sommerloch vor September nicht vorbei ist, kann die Serie diese wahrscheinlich einmalige Unterbrechung locker verkraften.

In diesem Sinne - ein schönes Wochenende an alle, egal ob mit Regen oder Sonne (immer daran denken, dass es wichtigere Probleme als das Wetter gibt).Bis nächsten Freitag!

LG Gene :-)

Freitag, 8. Juli 2011

"Die aktuelle Sündenwoche" - 4. Tag: Donnerstagsgeschäft

Die Sommerzeit hat (neben all ihren Annehmlichkeiten) so ihre Tücken. Dies ist wohl eine simple Feststellung, die sich für mich in den letzten Wochen wieder einmal bewahrheitet hat. Nicht, dass ich das gute Wetter verfluche oder die warmen Temperaturen (wobei es einigen ja immer noch nicht heiß genug ist)... die Tücken des Sommers liegen wohl an ganz anderer Stelle. Wenn nämlich nicht nur die Temperaturen, sondern auch das Gemüt der Menschen überkocht. Ob das nun an den warmen Außentemperaturen liegen mag, ist mir persönlich ein Rätsel.
Doch genau dieses Überkochen an Emotionen hat mich nachdenklich gemacht, ein Zögern in mir geschaffen mit der Frage: "Warum mache ich das hier eigentlich?"

Nein, ich zweifle nicht an der Art, wie ich schreibe oder was ich schreibe. Viel mehr zweifle ich daran, wieviel (und vor allem WAS) in den Köpfen der Menschen hängenbleibt. Wenn es in Kommentaren zu wichtigen Blogthemen (gerade, wenn es um Umwelt geht) nur darum geht, warum ich wann "dass" statt "das" schreibe, oder ob es "im Ende" statt "am Ende" heißt (oder doch vielleicht "ums Ende herum"?). Vielleicht geht es dabei nur darum, mich besser zu machen, womit ich mich dann fast wie eine 4jährige Eliteschülerin fühlen darf. "Das Genie muss schließlich zu 100% perfekt sein!"
Genau an diesem Punkt kommen mir dann die Gedanken: muss ich überhaupt perfekt sein? Muss ein Text, den ich ganz ohne technische Rechtschreibhilfen innerhalb von maximal 90 Minuten schreibe, wirklich einwandfrei in der Rechtschreibung sein? Muss ich damit wirklich sogar über Zeitungen stehen, die stundenlang geschrieben, gesetzt, Korrektur gelesen und dann gedruckt werden und trotzdem Rechtschreibfehler enthalten?

Diese Fragen gebe ich nun an jeden Leser weiter, bevor er sich von diesem ganzen Eintrag nur die gravierenden, tödlichen Rechtschreibfehler merkt, statt sich auf das Kernthema zu konzentrieren.

Und damit weg vom persönlichen "Wort zum Sonntag" und hin zur Sündenwoche. Gandhi's Ansichten teilen sich in diesem Blog sozusagen in der Mitte, denn es kommt hier zum 4. von 7 Todsünden der Modernen Welt. Und bevor aus dem Titel dieses Blogeintrags jemand etwas Zweideutiges ersehen will, erstmal Stop! Es mag sein, dass das, was man manchmal nach der Verdauung als Endprodukt zurücklässt, vornehm als "Geschäft" bezeichnet wird. Doch bei dem hier behandelten Geschäft geht es ausschließlich um den Handel, nicht um die Verdauung. Außerdem geht es um Moral... Moment, um was? Nun gut, es wird jetzt nicht so schlimm mit der Gesellschaft stehen, dass keiner mehr weiß, was Moral ist.... oder doch?

Zumindest hat die "Moral" einen sehr negativen Ruf. Ob das an der Religion liegt, die immer von "Moral" spricht oder ob es einfach eine sehr veraltete Tugend ist, die man eher in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts sieht als im modernen 2011? Man kann's nicht sagen, doch die Moral gilt immer als etwas, dass der Menschheit potenziell "den Spaß verdirbt". Als Begriffserklärung wird neben der Moral auch die "Sitte" erwähnt und spätestens bei dem Begriff sieht jeder steife Hemdkragen und eingeklemmte Gemüter vor sich.

Wie es in der Religion "Himmel und Hölle" gibt, so gibt es neben der Moral auch die Unmoral. Meist wird dann auch die Moral mit etwas Gutem, fast Himmlischen gleichgesetzt und die Unmoral mit dem passenden Gegenstück. Ein "unmoralisches Angebot" ist dann auch schon der Grundbegriff für ein "Geschäft ohne Moral", denn nicht nur seit dem gleichnamigen Film mit Robert Redford und Demi Moore wissen wir, dass es sich bei einem solchen Angebot um nichts handelt, dass die Sittenwächter erfreuen dürfte.

Doch ein "unmoralisches Angebot" schließt nicht unbedingt die Klausel "Sex gegen Geld" ein. Es geht auch anders (und Demi Moore muss auch nicht darin verwickelt sein). Das zeigen unter anderem auch die Nachrichten in dieser Woche.

Das Entsetzen war groß, als bekannt wurde, dass die Regierung plant, 200 Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu schicken. Die Opposition wettert heftig dagegen und wird damit zum Moralapostel, den eigentlich die spielen sollten, die die Regierung führen. Doch die sehen sich in keinster Weise schuldig, schweigen hartnäckig zu den Plänen unter dem Credo "Geheimhaltung" und werden wahrscheinlich bereits Ende des Sommers mit Testlieferungen beginnen. Was diesen Deal so unmoralisch macht ist wohl "nur" die Tatsache, dass Saudi-Arabien eine absolutistische Monarchie ist, bei der befürchtet werden darf, dass die "Leopard"-Panzer nicht zum Eigenschutz gegen den Iran, sondern gegen das eigene Volk richten könnte. Immerhin leben wir in Zeiten der großen Revolutionen in arabischen Staaten und da liegt es nicht gerade fern, dass ein Panzer, der mühelos auch in der Stadt agieren kann (und gerade deswegen als so populär gilt) für etwas "Unmoralisches" genutzt wird. Gerade in der Stückzahl.

Doch sind nur die Politiker die unmoralischen Erdenbürger unter uns? Okay, sie bekommen ab nächstem Jahr um 292 Euro mehr Gehalt pro Monat, um dann 2013 gleich nochmal die gleiche Summe zusätzlich mehr Gehalt im Monat zu bekommen. Im Vergleich: damit bekommen Politiker ab 2013 insgesamt 584 Euro mehr Gehalt im Monat, während ein Hartz IV Empfänger als Höchstsatz ungefähr die gleiche Summe im Monat erhält. Allerdings ist das dann die Totalsumme beim Arbeitslosen, beim Bundestagsabgeordneten ergibt sich daraus eine Summe von 8252 Euro. Pro Monat.

Natürlich kann man jetzt anmerken: "Der Hartz IV Empfänger muss sein "Einkommen" ja nicht versteuern!" Stimmt auch wieder, aber 8252 Euro? Ernsthaft? Für einen Job? Schlimmer geht's nur bei den Managerposten der Wirtschaftsriesen. Natürlich hatte ich jetzt schon oft das Thema "Wieviel Geld ist gerechtfertigt für welche Arbeit?" und meine Meinung ändert sich auch nicht zu dem Thema. Wenn ich mir anhören darf, wie Millionäre darüber philosophieren, dass sie "hart arbeiten" müssen, kann ich da nur mit einem moralisch entsetzten Kopfschütteln reagieren.

Erst in der vergangenen Woche gab es das Interview eines erfolgreichen Geschäftsmannes und Millionärs, der seinen Reichtum damit rechtfertigte, dass ein "normaler Arbeiter vielleicht 8-10 Stunden am Tag arbeitet, während er 15-17 Stunden arbeitet". Hätte ich dem Mann antworten können, hätte ich wahrscheinlich gesagt "15-17 Stunden was? Pro Woche?" Sicher, er meinte pro Tag. Doch an dieser Stelle dürften bei jedem vernünftigen Menschen die Alarmglocken im Kopf schrillen. Wenn man sich an die Industrialisierungszeit Ende des 19. Jhd. erinnert, in der Menschen 16 Stunden am Tag an Dampfmaschinen arbeiteten, kann man sich kaum vorstellen, dass ein Millionär wirklich so viel arbeiten sollte.

Und selbst wenn man sich vorstellt, dass ein Millionär wirklich so hart arbeiten sollte wie ein indischer Arbeiter, der Tag für Tag 16 Stunden lang Jeansstoffe mit ätzenden und gesundheitsschädlichen Azofarbstoffen einfärbt.... wie kann der Millionär dann noch nach Jahren des harten Schuftens gesund und wohl aussehen und Zeit haben, Interviews zu geben, während der indische Arbeiter an einer Lungenkrankheit in absoluter Armut stirbt?

So wirklich geht die Rechnung mit dem "hart arbeiten" im Zusammenhang mit "Millionär sein" nicht auf. Man könnte die Bezeichnung "ab und zu mehr arbeiten als ein normaler Arbeitnehmer" durchgehen lassen, allerdings klänge das nicht ganz so schick und beeindruckend wie "hart arbeiten wie ein Mann im Kohlebergwerk".

Womit ich allerdings schon im Kern des Themas bin: die Unmoral gibt es nicht nur in einer kleinen Gesellschaftsschicht, mit der die Mehrheit der Menschen nichts zu tun hat. Sonst hätte die "Moral" nicht so einen schlechten Ruf bei der Allgemeinheit. Moral gilt immer als etwas, dass sogenannten Moralaposteln vorbehalten ist, steifen, strengen Menschen, die zum Lachen in den Keller gehen. Manchmal werde auch ich als solcher bezeichnet, wenn ich allgemein so spaßmachende Sachen wie "Grillen mit Holzkohle" als unnötig empfinde. Aber ich gebe zu, zum Moralapostel tauge ich in diesem Leben nicht, dafür bin auch ich zu sehr von der Unmoral verführt.

Das "Geschäft ohne Moral" geschieht nicht nur in Panzerdeals der Regierung mit arabischen Scheichs, es geschieht jeden Tag und zwar nicht im Großen, sondern auch im ganz kleinen. Wer hat nicht schonmal alles getan, um sein hart verdientes Geld bei einem Einkauf zu sparen. Wer greift nicht lieber zur Billigsupermarktware statt zu artgerechter Biohaltung oder fair gehandelten Produkten, ganz einfach weil der Unterschied am Gusto ja nicht zu bemerken ist, der Unterschied im Portemonaie doch gewaltig wehtun würde, wenn man das "moralisch Richtige" tun würde.

Ob man nun Kaffee kauft, der fair gehandelt ist oder doch den, der einfach nur fast nix kostet, ist nicht nur eine Sache von Moral oder Anstand, es ist auch eine Gewissensfrage. Wie wichtig ist es mir, dass ich einen Handel abschließe, von dem beide Seiten etwas haben? Möchte ich wirklich, dass der, der mein Produkt herstellt, auch was von dem Handel hat? Oder geht es mir doch nur eher darum, dass ich möglichst gut aus einem Deal herauskomme?

Ich habe Verständnis für alle die, die die zweite Frage als ihr Credo sehen, schließlich gibt es so viele Menschen, die tagtäglich versuchen, einen über den Tisch zu ziehen... wozu sollte man selbst da noch ehrlich bleiben? Speziell das Vorführen der Reichen, wie es am unehrlichsten geht und man damit am weitesten kommt, hat die Gesellschaft immer weiter verleitet, die Moral mal im Keller verrotten zu lassen, wenn's drauf ankommt.

Das "Geschäft ohne Moral" ist immer darauf abgezielt, den eigenen Vorteil über die Fairness zu stellen. Merkwürdigerweise verstehen wir Menschen Fairness im Sport verdammt gut, regen uns über unfaire Entscheidungen von Schiedsrichtern beim Fussballspiel oder eine unfaire Spielweise von Spielern auf, aber im eigenen Leben drücken wir gerne ein Auge zu. Denn Fairness ist auch eng mit Regeln verknüpft, an die sich am Besten jeder halten sollte. Doch man kann feststellen, dass so sehr der Mensch für eine Regel ist, er genau so lange für diese Regel ist, solange sie ihn nicht selbst betrifft. Wenn eine Regel den eigenen Vorstellungen im Weg steht, ist es schnell dahin mit der "Moral" und wir drücken bei uns selbst beide Augen ganz fest zu, bevor wir durch die Regelmauer hindurchpreschen.

Das Motto "Was für andere gilt, gilt nicht für mich!" ist vielleicht die Grundvoraussetzung, ein Geschäft ohne Moral abzuschließen. Der eigene Vorteil ist wichtiger, der Triumph über das ergatterte Schnäppchen angenehmer als die Gewissheit, mit einem fairen Geschäft den Zwei vom Hersteller bis zum Händler in einem angemessenem Rahmen befriedigt und gleichzeitig selbst ein hochwertiges Produkt ergattert zu haben. So entsteht auch die Massenproduktion, das Einkaufen in rauen Mengen zu Schrottpreisen, nicht nur im Bereich Lebensmittel, sondern auch bei Bekleidung oder Technik.

Es ist schön, in einer Welt zu leben, in der sich jeder alles leisten kann. Unter diesem Grundprinzip werden Produkte in großen Mengen zu Dumpingpreisen hergestellt und zu einem erschwinglichen Preis veräußert. Wir sehen zunächst darin nur die Möglichkeit, am Besten alles zu besitzen und das in reichhaltiger Vielfalt. Warum sollte eine Frau nur zwei paar gute Schuhe im Schrank stehen haben, wenn sie auch 200 Paar haben kann? Und warum sollte ein Mann nur einen Ferneher mit DVD-Player besitzen, wenn er das UND eine Heimkinoanlage mit allem Schnickschnack besitzen kann?

Das hat nicht nur mit Narzissmus zu tun, es ist einfach durch die Billigpreise der heutigen Zeit möglich. Was das für Konsequenzen hat, ist nur wenigen Menschen bewusst. Ob in afrikanischen Staaten Erze und Edelmetalle in rauen Mengen aus Gesteinen für massenhaft Mobiltelefone gefördert werden, interessiert den Otto Normalverbraucher in Deutschland nicht im Geringsten. Oder ob Schneiderinnen in Bangladesh oder China 16 Stunden am Tag in Massen vom einfachen T-Shirt bis zum H&M Billigabendkleid alles in Massen produzieren, damit sich jede Frau in jeder neuen Saison einen kompletten neuen Kleiderschrank voller Klamotten leisten kann.
Ein Kleid zu einem fairen Preis unter fairen Bedingungen zu kaufen ist nicht nur nicht befriedigend für die eigene Geldbörse, die Haltung der Gesellschaft hat es auch immer schwerer gemacht. Fairer Handel ist zwar immer wieder gern propagiert, jedoch total out. Er befriedigt das allgemeine Jagdprinzip des Shoppingjägers nicht und selbst, wenn man mit fairem Handel etwas gutes tut, hat dieser einen entscheidenden Nachteil: man sieht das Gute an diesem Handel nicht.

Was interessiert es den Käufer, ob es einer Schneiderin in Bangladesh mit ihren Arbeitsbedingungen wirklich gut geht? Dafür soll der Käufer ernsthaft für ein T-Shirt 7,99 Euro statt 3,99 Euro zahlen? Und ist dieses T-Shirt dann auch wirklich gut für den Käufer selbst? Immerhin muss auch der Faktor "eigene Gesundheit" gerade im Hinblick auf Kleidung mit eingerechnet werden. Ob in dem teureren Kleidungsstück wirklich keine Azofarbstoffe enthalten sind, ist wieder auf einem anderen Blatt geschrieben.

Und der Schnäppchenjäger kann sich selbst mit folgender Info beruhigen: selbst teurere Textilien werden teilweise in den gleichen Werkstätten zu den gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen hergestellt wie billige Textilien. Also, die einzige Frage, die sich am Ende des Tages stellt, kann nur lauten: Wo ist das "Geschäft mit Moral"? Wie kann man die Todsünde meiden und gleichzeitig die eigene Befriedigung in punkto Einkaufen finden?

Es wird von niemandem verlangt, dass er sein Geld auf Teufel komm raus ausgibt, bis er nichts mehr übrig hat. Ob Billigproduktion oder teures Markenprodukt, es wäre zunächst einmal wichtig, die Augen und Ohren offenzuhalten, zu welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wird. Klar, das mag schwierig erscheinen, allerdings ist es im Zeitalter von hemmungslosem Internetgebrauch nicht mehr ganz so anstrengend wie früher, wo es viele Telefonate und noch mehr Geduld kostete, um herauszufinden, woher ein Produkt kam und welche Inhalts- bzw. Schadstoffe sich darin befanden. Aber auch das Internet erfordert Geduld und etwas Intelligenz, um an die nötigen Informationen zu kommen.

Man wird jedoch feststellen, wenn man sich wirklich ernsthaft mit einer Materie auseinandersetzt, kann das Geschäft mit Moral sogar funktionieren. Die Todsünde, das "Geschäft OHNE Moral" entsteht nämlich in erster Linie nicht nur aus Geiz oder dem Hetzen nach dem eigenen Vorteil. Wahrscheinlich entsteht es in erter Linie aus reiner Faulheit. Die Bequemlichkeit, sich keinen Zentimeter von der Couch wegzubewegen, ist weitaus verführerischer, als jedes gute Gewissen. Das erklärt wohl alles: das Schweigen des Verbrauchers zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in anderen Ländern oder das der Regierung, wenn es um unmoralische Geschäfte mit zwielichtigen Staaten.

Eine gute Nachricht zum Schluss: wir sind nicht alle unmoralisch, weil wir nach einem Schnäppchen geifern. Denn der Verbraucher ist ja nicht der entscheidende Hebel im internationalen Handel und Wandel. Schlussendlich ist der Verbraucher nur ein Hebel in dieser Maschinerie... aber wie bei jedem Uhrwerk und jeder Maschinerie muss jeder Hebel funktionieren, damit alles läuft. Und damit haben wir alle auch eine Entscheidungsgewalt, was wir kaufen und damit, was wir uns gefallen lassen und was nicht.

Der Rest ist Entscheidungsfreiheit. In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein schönes Wochenende und verabschiede mich bis zum nächsten Freitag!

LG Gene :-)

Freitag, 1. Juli 2011

"Die aktuelle Sündenwoche" - 3. Tag: Mittwochswissen

Es soll sie tatsächlich geben - Leute, die meinen Blog lesen! Nun, ich gebe mich da etwas zu bescheiden, denn inzwischen ist der Leserkreis doch nicht mehr an einer Hand abzuzählen. Und ich bin auch immer wieder dankbar, wenn mich Leser auf Fehler aufmerksam machen. An dieser Stelle ist mir die letzten zwei Wochen ein gar unverzeihlicher und peinlicher Fehler passiert: ich habe der "Großen Seele" Gandhi einen falschen Namen gegeben! Das h im Namen ist doch um ein paar Stellen zu weit nach vorne gewandert. Also, ich entschuldige mich bei Mohandas Karamchad Gandhi in aller Form posthum und schwöre, das h immer an die richtige Stelle zu setzen.

Womit wir schon wieder beim Thema wären, denn das Sommerloch frisst sich ja weiterhin gut durch die schönste Jahreszeit. Aber: die Hälfte ist ja (laut Sommerlochserie) fast erreicht. Heute kommen wir zum dritten Tag, dem Sommerlochmittwoch. Und hier geht es um ein Thema, das teilweise doch sehr persönlich anzusiedeln ist. Auf der Gandhi-Agenda steht zum Thema die Todsünde: "Wissen ohne Charakter".

Es klingt eigentlich einleuchtend, dass es eine Sünde ist, charakterlos zu sein, aber über Wissen zu verfügen. Oder Wissen zu verbreiten und sich dabei wie ein Egomane aufzuführen... da wären wir ja schon fast wieder beim Thema "Narzissmus". Aber so ganz einfach ist es ja nicht. Nur, weil man selbstverliebt ist, ist man längst nicht charakterlos; man ist auf dem besten Weg dahin, aber am Ziel "Charakterlosigkeit" längt nicht angekommen.

In dieser Woche gab es bei mir einige hitzige Diskussionen zum Thema "Sinn und Unsinn moderner Techniken". Dabei ging es hauptsächlich um den Nutzen von immer mehr technischem Schnickschnack in unserem Leben. Alle Geräte werden inzwischen so sehr in den Leben der meisten Menschen benötigt, dass sie sich ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen können. Dabei ist der Computer (inklusive dem Internet) eine Selbstverständlichkeit. Selbst in Schulen wird schon erwartet, dass den Kindern zu Hause ein Computer und ein Internetanschluss zur Verfügung steht; ob sich die Eltern überhaupt so etwas für sich selbst, geschweige denn für ihre Kinder leisten können, steht dabei auf einem anderen Blatt. Schließlich geht es ja um die "Bildung der Kinder" bei dieser Idee. Wenn ein Kind einen Computer und Internetzugang hat, kann es sich mehr Wissen aneignen, für seine Hausaufgaben besser recherchieren und so weiter... ein Schelm, wer einen bösen Gedanken wie den folgenden zusammenfasst: "Durch das Internet wird es für die Kinder leichter, Informationen zu finden - um sie gleich darauf wieder zu vergessen!"

Wie gesagt, Computer und Internet haben inzwischen fast den Standardgedanken des Fernsehers oder Radios eingenommen. Jeder braucht diese Dinge, um informiert zu sein, über das Weltgeschehen... und um Informationen anderer Art zu ergattern. Doch der moderne Zivilisationsmensch geht noch weiter: da braucht er dann ein Mobiltelefon und einen Tabletcomputer. Ein normaler Laptop oder ein sperriger Rechner scheinen schon derart unkomfortabel zu sein wie die Entscheidung "Mit dem Bus oder dem eigenen Auto zur Arbeit fahren".
Selbstredend müssen diese Accessoires modernen Lebens von der Innovationsfirma mit dem angebissenen Apfel stammen. Weil wer kein iPhone und kein iPad hat, hat nicht nur diese Sachen nicht (wie die Werbung wunderbar sinnig in Szene setzte!) sondern ist auch nicht hip, im Trend - nicht angesagt. Wer sich früher über die Oberflächlichkeit der Frauen beschwerte, nur Handtaschen von Luis Vuitton oder Chanel haben zu wollen, sollte sich die Oberflächlichkeit der Männer in diesem Punkt besser schenken. Denn sie ist weitaus schlimmer und in ihrer Verbohrtheit gehen die Männer derart weit zu behaupten, es sei wichtig, diese Dinge zu besitzen, damit die Menschen sich weiterentwickeln.

An diesem Punkt habe ich mich unwillkürlich (als Verfechter der "Bin dagegen"-Bewegung) gefragt: "Wo entwickeln wir uns weiter mit technischem Schnickschnack?" Meiner Meinung nach werden die Menschen tendenziell fauler durch Technik - ein Punkt, den viele Menschen nicht einsehen.
Dabei würde ich der Technik nie die Vorteile absprechen, die sie durchaus hat: 1. wir können alles bequemer erledigen (zumindest, ohne uns ein Bein auszurenken!), 2. wir können alles wesentlich schneller machen (was bedeutet, mehr Freizeit für alle!) und 3. wir haben mehr Effektivität in unserem Leben (weil viele Dinge in mehrere Richtungen recherchiert oder erledigt werden können und damit mehr potenzielle Aufgaben des Lebens abgedeckt werden).

Soweit so gut, das haben wir alle soweit eingesehen. Aber braucht man dafür wirklich ein iPad bzw. einen Tablet-PC? Es ist eine nette Spielerei, das sehe ich auch, wenn ich mir die Fernsehwerbung angucke. Doch der Impuls, dafür rund 700 Euro auszugeben, ist in mir nicht wirklich aufgetaucht.

Die Diskussion um "Sinn oder Unsinn von Tablet-PC's" nahm allerdings schier makabere Züge an, als der Befürworter meinte, Kinder würden sich durch einen Tablet-PC besser entwickeln und intelligenter werden. "Schließlich müsste man ja mit der Technik gehen und sich weiterentwickeln!"
Ganz konträr zu diesem Gedanken musste ich an die Schlagzeilen dieser Woche denken, dass zig tausende von Ausbildungsplätzen noch frei sind und nicht besetzt werden können. Dazu dann die Aussage eines Vorsitzenden der DIHK, der sagte, dass 20% der Schulabgänger "nicht ausbildungsfähig" seien. Nun kann man sich fragen: "Wäre das mit einem Tablet-PC im Alltagsgebrauch nicht passiert?"

Man kann es zu bezweifeln wagen. So nützlich die Technik im Ende ist, sie macht (wie schon erwähnt) bequem. Und je früher sich der Mensch an die Technik gewöhnt (sprich: im Kindesalter), umso bequemer wird er. Die Tendenz, sich auf Dinge zu verlassen, die man von der Kindheit an kennt, ist sehr groß. Das kann man auch an sich persönlich beobachten. Alles, was man von der Kindheit her kennt, ist einem als Erwachsener so selbstverständlich, dass man nie und nimmer darauf verzichten könnte - auch wenn es Generationen vor uns durchaus konnten. Wenn man dabei in Extremen denkt könnte man nicht nur den Computer, den Fernseher oder das Telefon erwähnen, sondern sogar den Strom an sich oder die Zentralheizung.
Ähnlich geht es uns dieser Tage mit dem "Smartphone" und dem Tablet-PC. Wenn Kinder mit diesen Spielereien aufwachsen, ohne selbst aktiv zu werden, wenn es um die Informationsbeschaffung geht, werden die Kinder in ihren Köpfen zwar vermeintlich schlauer, aber auch immer träger und sind später nicht in der Lage, auch mal ohne diese Wissensbeschaffungsquellen nach Informationen zu suchen.

Aber nicht nur die zukünftigen Generationen haben dieses Problem, denn erschreckend schnell haben sich die Erwachsenen bereits an diese Entwicklung gewöhnt. Es scheint außer den Höhen des Himalayas fast keinen Ort mehr zu geben, an denen es nicht mindestens eine Person gibt, die mit dem Zeigefinger nervös über einen kleinen oder größeren Bildschirm wischt. Und an der Stelle teilt sich das Wissensmeer in zwei Lager: die eine Seite ist die eigentlich gut erdachte und gemeinte, die zur Informationsbeschaffung und zur Bildung beitragen soll; die andere Seite ist die tatsächlich genutzte, auf Unterhaltung, Chatting und facebook-Updates ausgerichtete. Und zweitere ist die weitaus stärker genutzte, man kann inzwischen sagen, dass sich mindestens 80% der Freizeitgestaltung im Internet auf soziale Netzwerkseiten oder private Kommunikation beschränkt. Wer begibt sich im Internet denn noch freiwillig auf Wissensbildung und -erweiterung?

Doch der Spagat zwischen immer mehr Bildung im Gegensatz zu immer wengier Bildungsbereitschaft ist nicht das einzige Problem. Es ging doch um das Thema "Wissen ohne Charakter". Dieser Titel könnte vieles bedeuten, eindeutig wäre zu sagen, dass einem das größte Wissen nichts nützen mag, wenn man dafür einen schlechten oder gar keinen Charakter hat.
Die Verbreitung von Wissen geschieht heutzutage primär aus zwei Gründen: Reichtum und Ruhm (okay, mit zweiterem ist ersteres ebenfalls verknüpft, allerdings nicht ausschließlich!).
Jeder Mensch süchtet mit immer größerer Bildung und immer höheren Bildungsansprüchen danach, gesehen und wahrgenommen zu werden mit dem, was er zu sagen hat. Selbst wenn er nichts zu sagen hat, er will gesehen und wahrgenommen werden. Doch angenehmer ist es, wenn der Aufmerksamkeitssüchtige etwas zu sagen hat.

In diesem Punkt leben wir doch in einer tollen Gesellschaft. Jedem Kind wird eine Schulbildung (unabhängig von sozialer Herkunft, Religion oder Rasse) zugestanden. Was die Kinder (bzw. ihre Eltern) nun daraus machen, steht auf einem anderen Blatt. Ob nun Immigranten ihren Kindern zu Hause untersagen, die deutsche Sprache zu sprechen und damit indirekt der Bildung des Kindes in Deutschland im Wege stehen, steht gar nicht in diesem Zusammenhang auf dem Blatt. Oder ob es Eltern wirklich gelingt, ihr Kind bei den Hausaufgaben zu helfen. Oder wieviel Nachhilfe und Unterstützung Kinder in der Bildung brauchen, damit sie möglichst weit im Bildungssystem kommen. Am Anfang steht nur der Fakt, dass jedem Kind eine Schulbildung zusteht. Und das ist nicht in jedem Land selbstverständlich.

Wie weit das deutsche Kind dann von der Grundschule aus mit seinem Wissen kommt, sei dahingestellt. Ob es je ein Gymnasium von innen sieht, ist leider immer noch in erster Linie eine Frage des Geldes. Kinder von Eltern mit gutbezahlten Berufen erreichen viel häufiger das Gymnasium als Kinder aus sozial schwachen Familien. Ist das ungerecht? Natürlich ist es das. Die Frage ist im Ende allerdings, ob Kinder, die am Gymnasium ihre Bildung erhalten, wirklich die besseren, weil gebildeteren Menschen werden. Womit man noch tiefer greifen dürfte: ist Bildung wirklich im Ende gleich Wissen? Oder anders gefragt: wieviel weiß ich zehn bis zwanzig Jahre später noch von meiner Bildung?

Wahrscheinlich recht wenig. Ich persönlich kann mich nur an sehr wenige Themen erinnern, die ich in der Schule wochenlang quälend durchgekaut habe. Vielleicht ist das ein weiteres Problem des Bildungssystems: viele Themen werden einem als derart trockene Materie serviert, dass man sie stur auswendig lernt, ohne wirklich Interesse zu haben. Allein der Note wegen. Damit beginnen Kinder allerdings nur, was sie als Erwachsene weiterführen: Dinge ausführen, die man nicht wirklich mag oder tun will. Nur macht man dies später nicht für die Note, sondern schlicht für's Geld.

Aber wie gesagt: Wissen ist nicht mit Bildung gleichzusetzen. Oft bin ich Menschen begegnet, die einen sehr hohen Bildungsgrad vorweisen konnten, deren Intelligenz sich aber meist auf auswendig gelernte Formeln beschränkte. Wissen an sich zeichnet sich hingegen doch dadurch aus, dass es jeder haben kann - und das auf erschreckend einfach Art und Weise. Doch dazu später mehr.

Wie gesagt, es gibt Menschen, die ihre Intelligenz mehr auf das Auswendiglernen von Formeln oder Definitionen beschränken. Solch einen Fall hatte ich erst vor einigen Wochen. Dieser Mann war der Ansicht, dass man jeden Begriff (von "Motivation" über "Innovation") quälend in einzelne Theorien zerpflücken und interpretieren musste, dass eine Konversation mit ihm sehr schwer viel. Okay, ich will jetzt nicht zu weit in diese Konversation greifen, doch mir wurde in dem Moment eins schnell klar: es mag zwar auf den ersten Blick wirken, als sei ein Mensch intelligent, weil er in Dinge bestimmte Theorien und Meinungen hineininterpretieren kann, aber ob er das im Ende wirklich ist, kann nicht mit Sicherheit und objektiv bewertet werden.

Bildung ist im Ende nicht der Schlüssel zur Intelligenz oder zum allumfassenden Wissen, er kann nur eine Stütze sein. Wenn ein Kind Jahr für Jahr Bestnoten in der Schule schreibt, weil es besonders gut auswendig lernt, hat das wenig mit Intelligenz zu tun, sondern mehr mit einem guten Kurzzeitgedächtnis. Würde man dieses Kind einige Jahre später den gleichen Stoff abfragen, stünde es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Schlauch. Aber über die Bestnoten, die das Kind erreicht, erlangt es später einen guten Abschluss und damit eine Ausbildung oder einen Studienplatz, über den es dann später Spitzengehälter kassiert.

Das ist wohl das Einzige, was Bildung und Wissen gemein haben: wir benutzen beides, um ans große Geld zu kommen. Und von dem Vorwurf kann sich keiner freisprechen, denn jeder Mensch träumt von seinem finanziell sicheren Leben. Doch was ist Wissen nun genau? Und ab wann wird Wissen zur Todsünde?

Wissen ist Macht, heißt es im Volksmund. Und wenn Wissen wenig mit Bildung zu tun hat, so hat es mehr mit Intelligenz zu tun, da es nicht nur um Informationen geht, die man erlernt, sondern auch um die Kombinationsfähigkeit der einzelnen Informationen zu einem Machtgeflecht.
An dieser Stelle gibt es zwei Sorten von Wissensmenschen: die einen, die ihr Wissen aus Herzensgüte weitergeben, damit der Empfänger etwas aus dem Wissen des Gebers lernt. Und diejenigen, die ihr Wissen weitergeben, um einen möglichst großen Vorteil zu erlangen.

Wahrscheinlich kann man bei zweiterer Kategorie von der Todsünde "Wissen ohne Charakter" sprechen. Ein Mensch, der sein Wissen nur als Waffe einsetzt, den größtmöglichen Vorteil daraus zu ziehen, ist meist auch ein Mensch, der über wenig bis gar keinen Charakter verfügt. Was nutzt ein Mensch, der vermeintlich viel weiß, aber im Ende seinen Wissensvorsprung dazu nutzt, andere Menschen vorzuführen oder zu demütigen? Oder ein Mensch, der nur sehr viel weiß, es aber nicht einsetzt, um anderen Menschen zu helfen, sondern wartet, bis in einem Problem das Kind in den Brunnen gefallen ist... nur damit er dann später als "Superman" im Supercape auftreten kann und auf die billigste Tour den Karren aus dem Dreck zieht?

Doch wo verliert ein Mensch seinen Charakter? Beim Geld, würden die meisten Menschen schnell vermuten. Nur verliert ein Mensch nicht nur seinen Charakter durch das Geld, es steckt weit mehr dahinter. Wie groß ist der Wunsch, gleichzeitig Donald Trump und Mutter Theresa zu verkörpern? Leider ist beides nicht möglich (was man am unterschiedlichen Verhalten dieser beiden Persönlichkeiten sehen kann!). Ein Mensch muss sich ab einem gewissen Punkt entscheiden, wohin ihn sein Wissen tragen soll: zur Hilfe anderer oder zur Eigenhilfe.

Noch ein Punkt mag beim Thema "Wissen" wichtig sein: Meinungsbildung und -vertretung. Und da trennt sich in der heutigen Zeit so gewaltig die Spreu vom Weizen, dass es weh tut. Um auf das Thema "Tablet-PC's und Technik" zurückzukommen: selten war der große Teil der Bevölkerung so gut informiert wie heute. Gleichzeitig war es im Vergleich so selten, dass Menschen eine fundierte und ausführliche Meinung zum Zeitgeschehen haben. Auch das kann zur Charakterlosigkeit zählen: den Mund nicht aufzumachen, obwohl einen etwas stört und einfach mit dem Strom schwimmen statt gegen ihn. Wie bei den Lemmingen, aber das Thema hatten wir ja bereits!
Was ich damit sagen will: die Informationsflut der heutigen Zeit ermutigt aktiv, dass der Mensch sich selbst einen Reim auf die Gesellschaft und ihre Probleme macht. Trotzdem ist der Widerstand der Massen so weich wie Butter, die eine Stunde in praller Sonne gestanden hat. Bis auf die Demonstrationen in den nordafrikanischen Staaten, die teilweise immer noch anhalten und unter Militäreinsatz blutig niedergeschlagen werden, ist der "Widerstand des Volkes" sehr gering.

Zuletzt konnte man in Deutschland zwei Phänomene von Demonstrationen beobachten: eins ist (immer noch aktuell) der Widerstand gegen den Bau von "Stuttgart 21". Die andere Demonstrationswelle liegt dagegen schon wieder Jahre zurück und richtete sich gegen die Einführung von Hartz IV. So erfolglos die Demonstrationen waren, so stumm sind die Leute inzwischen auch. Wenn es mit der Demonstration nicht klappt, Pech gehabt... dann akzeptieren wir einfach die Dinge so, wie sie sind.
Wenn sich die Demonstranten in Tunesien, Libyen, Ägypten oder Syrien benehmen würden, hätten die Aufstände es wohl nie ins Fernsehen geschafft. Man kann im Vergleich behaupten, dass die Demonstranten dieser Länder ihr Wissen zumindest nutzen, um für die Freiheit der Masse zu kämpfen, sich wehren gegen die Umstände, die ihnen nicht gefallen. Und im Hinterkopf das Wissen innehaben, Lösungsvorschläge zu präsentieren.

Die Frage ist, was der Deutsche mit all seinem Wissen, dass er haben könnte über den technischen Fortschritt und die demokratische Meinungsvielfalt, machen soll. Laut Gandhi müsste er Charakter entwickeln; genug Charakter, sein Wissen nicht nur zum eigenen Vorteil einzusetzen. Genug Charakter, um sein Wissen nicht meistbietend zu verkaufen. Und genug Wissen, mindestens zu einer eigenen Meinungsbildung fähig zu sein.
Solange der Großteil der Deutschen allerdings seine Meinung über die Zeitung mit den vier Großbuchstaben bildet, habe ich da so meine Zweifel, ob da nicht reihenweise weiterhin Todsünden begangen werden. Aber nicht nur in diesem Bereich werden tagtäglich Todsünden begangen.

Wie ich sagte, Wissen lässt sich durch eine erschreckend einfache Art und Weise aneignen. Dabei geht es nicht primär darum, brav auswendig zu lernen oder Wissen teuer zu erkaufen. Auch Wissen vorheucheln (wie Menschen, die sich ihren Doktortitel erkaufen!) ist nicht der Weg, der zu wählen ist.

Wissen ist laut dem Philosophen Platon als "wahre, gerechtfertigte Meinung" definiert und diskutiert. Was man da nun hineininterpretieren will, könnte mehr als nur ein Buch füllen. Doch in einem muss sich die Menschheit einig sein: um eine Meinung zu haben, braucht es Erfahrung. Wieviel Erfahrung das ist, bleibt dahingestellt - manche Menschen machen in 5 Tagen mehr Erfahrungen als andere in 30 Jahren. Aber nur aus Erfahrungen und dem Öffnen für Erfahrungen und den dadurch gewonnen Informationen kann man Wissen formen. Sicher ist ein wenig Bildung nicht unnütz... doch der ständige Lernprozess des Lebens und die Bereitschaft, immer weiter lernen und Erfahrungen machen zu wollen machen im Ende einen Menschen mit genug Wissen aus, um eine wahre, gerechtfertigte Meinung zu formen.

In diesem Sinne - auf das wir alle in der kommenden Woche viele Erfahrungen machen und daraus auch lernen.

Ein schönes Wochenende und bis nächsten Freitag - LG Gene :-)

English Blog