Freitag, 22. Juli 2011

"Die aktuelle Sündenwoche" - 5. Tag: Freitagswissenschaft

Weiter in der Wochenserie zum Thema Gandhi's Versuch, der Welt die Todsünden der Modernen Welt näherzubringen. Ganz ehrlich, zu dem Thema "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" hatte ich die meisten Probleme, mir wirklich Gedanken zu machen. Es gibt zur Zeit einfach zu viele Dinge, die weit entfernt von der Wissenschaft stattfinden. Und bereits letzte Woche war mir das Thema "Hungersnot in Ostafrika" einfach viel wichtiger.

Doch ähnlich wie oft die Wissenschaft in den unterschiedlichsten Belangen bin ich mit meinem Blogthema letzte Woche an die Grenzen gestoßen. Es scheint die Menschen nur sehr wenig zu interessieren, was sich in dieser Region abspielt. Man bekommt das Gefühl, die Menschen können gut zusehen, wie kleine Kinder an Hunger und Durst sterben. Die Hilfen kommen viel zu langsam in Gang, schlimmer noch, eigentlich sind die Medien verantwortlich, denn die haben es vorher nicht für nötig gehalten, darüber zu berichten. Die Warnungen der Vereinten Nationen in der Dringlichkeitsform kommen ebenfalls viel zu spät. Es scheint als würde erst über ein Thema gesprochen, wenn es dringlich genug ist, wenn das Fass schon bei Weitem am Überlaufen ist. Damit ist das Reden über Probleme doch sehr verwandt mit der Wissenschaft, denn diese befasst sich auch erst in intensivster Form mit einem Problem, wenn es längst in unser aller Wohnzimmer beim Kaffeetrinken sitzen.

Nun, ganz so ungerecht darf man der Wissenschaft gegenüber nicht sein, sie setzt sich über Jahre dafür ein, dass Lösungen gegen bestimmte Krankheiten gefunden werden. Doch Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaft und nicht jede Wissenschaft arbeitet im Interesse des Menschen.

Die Wissenschaft allgemein gliedert sich auf in viele verschiedene Bereiche, von der Chemie über die Physik, die Medizin oder auch die Wirtschaft. Ja, über's Geld zu philosophieren ist auch eine Wissenschaft. Es müssen Lösungen gefunden werden für bestimmte Wirtschaftsstrukturen, wie zum Beispiel gerade mit der Euro-Krise, in der wir alle bis zum Hals mit drin stecken.
Auf der anderen Seite gibt es Mediziner, die an der Heilung von bisher unheilbaren Krankheiten forschen: Krebs, AIDS, Alzheimer... in jahrelangen und endlosen wirkenden Studien mit Experimenten und Pharmaversuchen versuchen die Forscher nicht nur die Ursache der Erkrankungen zu entschlüsseln, sondern auch ein Gegenmittel zur Heilung dieser Kranheiten zu finden.

Und dafür sind die Menschen insgeheim den Forschern unendlich dankbar. Kaum auszudenken wäre ein Welt, in der fast jeder durch eine schwere Grippe dem Tode geweiht wäre. Wie gut ist es da doch, dass hochbezahlte Wissenschaftler an der Entschlüsselung und Heilung von Krankheiten arbeiten. Wirklich? Ist das alles nur gut?

Wissenschaft hat (wenn man sie näher betrachtet) wenig mit Herzensgüte oder Brüderlichkeit zu tun. Wer als Wissenschaftler arbeitet, dem geht es in erster Linie darum, in einen Wettbewerb mit anderen Wissenschaftlern zu treten. Und dieser Wettbewerb dreht sich zunächst um Forschungsgelder, die von allen möglichen Sponsoren ergattert werden wollen, damit Thesen, die von dem Wissenschaftler aufgestellt wurden, in Studien geprüft und gegebenenfalls bestätigt werden können. Also gleichen sich Wissenschaftler und Politiker enorm, denn beide müssen erst einmal fleißig bei Leuten positiv in Erscheinung treten, damit sie gesponsert werden. Die Arbeit, die danach auf Wissenschaftler oder Politiker wartet, unterscheidet sich allerdings gewaltig.

Ein Politiker hat den entscheidenden Vorteil, dass er die Thesen, die er aufstellt, nicht beweisen muss. Wenn ein Wissenschaftler aber etwas behauptet, muss er das auch beweisen können. Und selbst WENN er das kann, heißt das noch lange nicht, dass der Beweis wirklich einer ultimativen Wahrheit entspricht. In Studien wird behauptet, Butter sei ungesund wegen Cholesterin, damit dann in der nächsten Studie behauptet wird, Butter sei doch weit ungefährlicher für das Herz-/Kreislaufsystem als vorher angenommen. Das ist nur ein Beispiel für die Fehlbarkeit der Wissenschaft, zugegebenermaßen kein glänzendes, aber es ist immerhin ein Beispiel dafür, dass alles, was man erforschen kann, nicht unbedingt richtig ist.

Thesen werden geschaffen, um be- oder widerlegt zu werden. Diese Vorgehensweise hilft uns Menschen, Wissen zu erlangen und damit Erfahrungen zu sammeln. Und sie wird in allen Sparten des Lebens angewandt, in den persönlichen wie den öffentlichen. Doch die Wissenschaft ist keine Maschinerie, die individuell agiert, sie befasst sich mit Menschenmassen und deren Bedürfnissen. Gilt genauso für die Wirtschaftswissenschaft, die flächendeckend die finanziellen Bedürfnisse einer Gesellschaft beurteilt wie für die Mediziner, die forschen, um für eine Vielzahl von Menschen dienlich zu sein. Ob es dabei um eine Krankheit oder eine neue Hautcreme geht, spielt dabei so gut wie keine Rolle.

Das gravierendste Problem an der Wissenschaft ist schlussendlich wohl nur das der Unmenschlichkeit. Es geht nie um einen einzelnen Menschen, dem geholfen werden muss, es geht darum, ein Problem flächendeckend zu lösen. Das Hauptmotiv für diese Denkweise bei den Wissenschaftlern liegt wohl weniger im Gutmenschtum, dass die Wissenschaftler umgibt, sondern eher um den Ruhm, der am Ende harter Studien und Forschungen bei erfolgreichen Ergebnissen auf sie wartet. Der Forscher ist damit dann wohl, was das "It-Girl" für die Promiszene ist: keiner weiß so wirklich, was er geleistet hat, aber meine Güte, wir lieben ihn dafür!

Ganz so hart darf man die Arbeit von Forschern natürlich nicht sehen, gerade wenn man sich die Werbung anguckt. "Forschung ist die beste Medizin", so heißt der Slogan einer Werbekampagne, in der vorgeführt wird, wie wichtig die Forschung für die Menschheit ist. Wenn man Ghandi's Todsünde "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" mal aufs Korn nimmt, entdeckt man einige Dinge, die an der vermeintlich gutmenschlichen Wissenschaft falsch laufen.

Ein Punkt dabei ist (wie eigentlich immer im Leben!) das Geld. Forschung besteht in erster Linie aus Geld, es geht um Sponsoren, die Studien finanzieren, es geht in der Pharmaindustrie später um die möglichst lukrative Vermarktung von Medikamenten und es geht um immer höher dotierte Verträge für die Wissenschaftler. Nicht nur Politiker wissen, wie sie sich meistbietend verkaufen können, Wissenschaftler stehen dem nämlich in nichts nach.
Man kann davon ausgehen, dass Wissenschaftler ihren Beruf anfangs aus edlen, brüderlichen Motiven wählen. Aber am Ende des Tages entscheidet immer noch das Geld, wer den Zuschlag für was bekommt - warum er das tut, ist eigentlich egal, Hauptsache es springt genug Geld dabei heraus.

Dramatisch ist diese Entwicklung immer dann, wenn Forschung wichtig für das Überleben eines Menschen ist. Sichtbar wird dies vor allem in der Forschung rund um die schlimmste Krankheit der Neuzeit: AIDS, die Krankheit, die nun seit mehr als 30 Jahren ihr Unwesen treibt, auch weitreichend bekannt ist und zum Hauptthema jedes Sexualkundekurses gehört (oder zumindest gehören sollte). Forscher beschäftigen sich seitdem mit dem Thema HIV-Infizierung und wie man den Virus bekämpfen kann mit einer Akribie und Leidenschaft, die ihresgleichen sucht.

Ganz erfolglos ist man im Kampf gegen den HI-Virus ja nicht, immerhin hat man schon einige medikamentöse Therapien entwickelt, die helfen, das Leben der Infizierten erheblich zu verlängern. So gut sogar, dass HIV nicht mehr zwangsläufig ein Todesurteil sein muss. Dies gilt allerdings nur für diejenigen, die krankenversichert sind und in westlichen Wohlstandsstaaten leben. Denn die Pharmaindustrie, die die Mittel vertreibt, die entwickelt wurden im Kampf gegen den HI-Virus, wollen teuer verkauft werden. Immerhin hat die Industrie viel Geld in die Studien und Forschungen gesteckt, die liefen, um die Medikamente zu testen und als wirksam zu etablieren.

Warum sollten also die hiesigen Pharmakonzerne die gleichen Medikamente, die sie für Tausende von Euros dem versicherten Wohlstandsbürger verkaufen können, kostenlos an afrikanische HIV-Infizierte weitergeben, damit dort nicht die Menschen an dem Virus wie die Fliegen wegsterben? Alles im Leben ist ein Geschäft, auch die Gesundheit. Das würde mir jetzt jeder Pharmavertreter sagen. Moralische Bedenken werden im Namen des Geldes da gerne weggewischt.

Gandhi hatte wohl recht, wenn er die "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" als Todsünde bezeichnete. Immerhin soll Wissenschaft den Menschen doch nutzen und nicht schaden. Und trotzdem steht zwischen dem Menschen und dem Nutzen der Wissenschaft immer wieder das Geld. Wenn du kein Geld hast, wirst du nicht (oder nur sehr unzureichend) behandelt.

Übrigens nicht nur in Afrika, bei denen es schlichtweg an genug Medizinkapazitäten fehlt. Lange schon wird die deutsche Gesundheitsreform kritisiert, der Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatienten, die länger auf einen Arzttermin allgemein und dann länger im Wartezimmer warten müssen, damit sie im Ende die schlechtere Behandlung erfahren und mit billigeren und eventuell weniger wirksamen Medikamenten abgespeist werden.

Den umgekehrten Fall gibt es natürlich auch: dort, wo eigentlich kein Geld investiert werden müsste, wird munter draufloskassiert. Ob es jetzt um unnötige Röntgenaufnahmen geht oder Medikamente, die man komplett selbst bezahlen soll und die im Ende nichts wirken... der Gesundheitsapparat im Ganzen und die Pharmaindustrie als großes Rädchen im Getriebe wissen, wie sie sich am Leben erhalten sollen. Im Ende gibt es wohl nur den Trost der Pharmaindustrie, dass neben hohen Managergehältern und sinnlosem Geldausgeben für Werbekampagnen der Rest wieder an die Forschung geht. Und damit geht das muntere Untersuchen an den Ursachen und der Bekämpfungen von Erkrankungen von vorne los.

Sicher ist das eine gute Sache, keiner bestreitet, dass Forschung und Medizin wichtig sind, wenn man eine Welt haben will, in der jeder überlebt und wo Überbevölkerung herrscht. Katastrophen wie die Pest oder ein Massensterben durch einen Virus wären schier undenkbar in unserer heutigen Zeit und wenn dann mal eine Krankheit auftaucht, die gefährlich werden könnte (sprich: Vogelgrippe, Schweinegrippe oder EHEC diesen Sommer!) bricht sofort Massenpanik aus. Wir sehen uns alle schon auf dem Sterbebett - bis es zwei Tage später Entwarnung gibt, weil wir doch einen Impfstoff gegen die Krankheit haben oder einen anderen Weg finden, die Krankheit einzudämmen.

Gute Sache, wenn dadurch die Weltbevölkerung immer weiter steigen kann, bei immer weniger Platz auf dem Planeten Erde, der immer mehr umwelttechnisch zerstört wird... nun, ich hör schon auf mit dem Sarkasmus!

Wahrscheinlich wollte Gandhi mit dieser Todsünde nur darauf aufmerksam machen, dass der Mensch bei der Wissenschaft im Vordergrund stehen sollte. Und zwar nicht der Forscher als Mensch, der viel Geld verdienen wird, sondern jeder einzelne Mensch, der von einer Forschung profitieren könnte. Forschung soll nutzen, nie schaden - und ein Forscher sollte sich in einem Ethos nie über die Menschlichkeit hinwegsetzen in der blinden Hatz auf Geld und Ruhm. Doch dieses Problem haben im Ende nicht nur Forscher und Wissenschaftler - viele Menschen vergessen über den Überlebensdrang (und die damit verbundene Geldgier) die Menschlichkeit. Nicht nur Menschen mit Verantwortung, nicht nur Politiker, Wissenschaftler, Banker... sondern schlichtweg jeder, du und ich eingeschlossen.

Mit diesen Worten verabschiede ich mich von meinen Lesern für diese Woche. Ich bin ehrlich, dieses Thema war für mich das schwierigste in der Sündenreihe, denn es gibt so viele andere Dinge, die in meinem Kopf aus aktuellem Anlass umherschwirren. Wir hoffen deswegen alle auf Besserung für die nächste Woche.

Ein schönes Wochenende an alle und bis zum nächsten Freitag!

LG Gene :-)

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