Sonntag, 30. Dezember 2012

(Untitled) - Eine Hommage ohne Namen

Ich gebe zu, ich hätte auch schon früher wieder einen Blogeintrag schreiben können. Fakt ist, ich hatte einen Eintrag angefangen, doch dieser wird wohl ewig im Archiv Staub fangen. Es war zu wenig Zeit, dann erschien mir alles zu banal, irgendwann war es einfach beides zusammen. Weihnachten kam dann auch noch um die Ecke und fertig ist ein Blogeintrag, der wohl nie fertig wird.

Nun, ich hätte nicht gedacht, dass ich doch noch einen Eintrag in diesem Jahr verfassen würde und es tut mir wahnsinnig leid, dass ich in diesem Jahr meine Einträge so habe schleifen lassen (immerhin hatte ich im letzten Jahr eine Sommerlochserie und eine Vorweihnachtsserie verfasst!). Allerdings: wenn man keine Zeit hat, hat man keine Zeit. Unumstößliche Tatsachen lassen sich einfach nicht schön reden. Ich kann nicht einmal versprechen, dass es besser wird. Was bleibt, ist die Hoffnung, die stirbt zuletzt. Nun, wenn man es aber sehr pessimistisch sehen will, stirbt sogar sie.

Es brauchte für mich einen Grund, einen neuen Eintrag zu schreiben, einen anderen als nur etwas zu schreiben und die Zeilen mit Buchstaben und Wörtern zu füllen. Eine knappe Woche lang habe ich überlegt, was ich zu diesem Thema schreiben könnte, was mich so bewegt hat, aber ich fand (und finde eigentlich immer noch) nicht die richtigen Worte.

Die indische Kultur ist mir nicht fremd und das nicht nur, weil ich indische Filme gucke. Wahrscheinlich gehöre ich zum Kreis jener, die nicht nur die Glitzerwelt von Bollywood sehen, wenn sie an Indien denken, sondern hinter die Fassade blicken können, wenn auch nur aus der Ferne. Viele Dinge habe ich bereits erlebt und gesehen, was dieses Land betrifft und nein, nicht alles war schön. Kinderarbeit, Kinderprostitution, Bandenkriminalität in Großstädten wie Mumbai, Religionskonflikte mit blutigen Hetzjagden zwischen Hindus und Moslems oder auch Hindus, die Christen verfolgen, teilweise sogar töten. Es ist nicht einfach, über Indien zu schreiben und mich verbindet fast schon eine Hassliebe zu diesem Land. Einerseits gibt es viele schöne Seiten in Indien (nein, nicht nur Bollywood!), eine faszinierende Kultur, tolle Bräuche und wahnsinnig viele Facetten in diesem Land. Andererseits geschehen in diesem Land viele Dinge, die einen fassungslos machen, wenn man sie aus der Ferne betrachtet. Ein Land, dass als die "größte Demokratie der Welt" gilt (gemessen an der Einwohnerzahl), das aber weit davon entfernt ist, eine wirkliche Demokratie zu sein. Zu sehr wird in Indien immer noch nach dem Kastensystem speziell in ländlichen Gebieten gelebt, zuviel Gewicht besitzt das Geld, das jemand hat (oder eben nicht hat) und es gibt bei weitem viel zuviel Korruption in Indien. Man kann dort quasi alles bezahlen, jeden kaufen, wenn man nur gewillt ist, genug Geld hinzublättern. Zumindest scheint es so.

Lichtblicke gibt es nur selten in diesem Land. Sehr selten gibt es Menschen, die gegen die Korruption kämpfen, oder die Kinderarbeit in Indien oder Menschen, die sich gegen die unterwürfige Stellung der Frauen zur Wehr setzen. Seit Jahren wird darum gekämpft, dass indische Mädchen z.B. nicht den Gifttod sterben müssen, weil es in ländlichen Gebieten, wo die Menschen arm sind, immer noch eine Schande oder der finanzielle Ruin ist, ein Mädchen zu bekommen.

Allgemein jedoch ist die Frau als Wesen in Indien immer noch so gefährdet wie in alten Zeiten. Modernes Leben? Es ist in Indien möglich, aber dort haben es Frauen (im Gegensatz zu westlichen Ländern) sehr schwer, wirklich anerkannt zu sein und nicht als Objekt betrachtet zu werden. Für westliche Verhältnisse sind die Maßstäbe in Indien schwer zu verstehen, die unterwürfige Rolle der Frau ist für deutsche Frauen meist schwer nachzuvollziehen. Trotzdem nimmt man es hin, es ist eine andere Kultur, andere Wertvorstellungen und wenn die Frauen damit zufrieden sind, die starke Hausfrau zu spielen, die in erster Linie die Kinder erzieht und traditionell mit ihren Schwiegereltern zusammenlebt und der eigenen Familie den Rücken kehrt, dann sei es so.

Der Fall, der in der letzten Woche auch hier Schlagzeilen machte, hat jedoch alles verändert. Persönlich verspüre ich immer noch Ekel, wenn ich an die Tat, die beschrieben wurde, denke: eine junge 23jährige Studentin, von 6 Männern in einem Bus vergewaltigt, mit einer Eisenstange verprügelt und anschließend aus dem fahrenden Bus geworfen wie ein Stück Abfall. Es ist wohl egal, wo sich dieser Fall ereignet hätte, er hätte überall für einen Schockzustand und absolute Fassungslosigkeit gesorgt. Fatal ist an diesem Fall wohl nur, dass er so in einem westlichen Land kaum möglich gewesen wäre. Vielleicht wage ich mich mit dieser Theorie weit aus dem Fenster, aber ich glaube kaum, dass sich so ein Fall in Deutschland oder den USA hätte ereignen können... zumindest noch nicht! Wer weiß schließlich, was in 10 oder 20 Jahren zur täglichen Lebensart gehören wird. Vor 20 Jahren wäre es in Deutschland wohl auch kaum denkbar gewesen, dass Jugendliche in Gruppen sturzbetrunken in U-Bahnen Passanten aus Lust an der Freude zusammenschlagen. Damals war so etwas kaum vorstellbar - heute ist es nicht trauriger Alltag, aber gehört in die Kategorie des Möglichen, der Dinge, die passieren können.

Egal, ob solch eine Tat einer Massenvergewaltigung im öffentlichen Raum in Deutschland irgendwann auch mal möglich sein wird, es hat mich zutiefst betroffen und wütend gemacht, was dort dieser jungen Frau geschehen ist, die gestern schließlich nach fast 2wöchigem Kampf ihren Verletzungen erlegen ist. Es stellt sich mir nicht mehr die Frage nach dem "Warum?", denn für solch eine Tat gibt es kein Warum, es gibt keine Begründung, dass sechs Männer, die körperlich schon allein wohl überlegen wären aber in einer Gruppe nicht zu schlagen sind, sich einer einzelnen Frau bemächtigen, Freude daran empfinden, sie körperlich zu schänden und dann noch die Aggression zu besitzen, sie so zu schlagen, dass sie schwerste Verletzungen davonträgt. Viele Dinge habe ich schon in den Nachrichten gesehen oder gelesen, es gibt kaum eine Perversion, von der ich noch nicht gehört habe (was nicht heißt, dass ich sie als "normal" empfinde!), sogar das Phänomen "Massenvergewaltigung" dürfte jedem, der sich mit Kriegsgeschichte auseinandersetzt, nicht unbekannt sein; doch so schrecklich diese Ereignisse auch waren und wie sehr man auch in diesen Fällen mit dem Kopf geschüttelt hat, diese Vorfälle ereigneten sich in Kriegssituationen. Das macht die Sache keineswegs besser, aber der Krieg scheint allgemein in allen Menschen einen Schalter umzulegen, sodass nichts mehr so ist, wie es vorher war, eine Art Blackout-Situation, zumindest aber fallen Hemmungen, die vorher nicht da waren.

Dieser Fall ist allerdings anders, er geschah in einer sogenannten "Zivilgesellschaft", keinem Kriegsszenario und es gibt wirklich keinen, aber auch gar keinen rationalen Grund für diese Art außer dem einen: dem absoluten Hass der Frau an sich gegenüber! Männer, die Frauen so tief hassen, dass sie sie nur noch demütigen, schänden und schädigen wollen. Man stößt an seine Grenzen, wenn man sich die Tat ansatzweise vor Augen zu führen versucht, selbst im Hinblick auf Pädophilie oder ähnlich gruselige Perversionen.

Traurig ist, dass dieser Fall hier in Deutschland und weltweit nur Schlagzeilen gemacht hat, weil Tausende Demonstranten mehrfach (auch gewalttätig) demonstriert haben für härtere Strafen bei Vergewaltigung für die Täter und mehr Schutz für die Frauen. Ganz ehrlich: wir hätten wahrscheinlich nie von der Massenvergewaltigung erfahren und auch nicht, dass alle 20 Minuten in Indien eine Frau vergewaltigt wird, wenn die Menschen (speziell der Mittelschicht und viele Studenten) auf die Straße gegangen wären und aktiv gegen dieses Unrecht demonstriert hätten, zuerst in der Hoffnung auf die baldige Gesundung des Opfers, nun in tiefer Trauer wegen ihrem Tod. Es ist gut, dass die Regierung und der Rechtsstaat in Indien nun gefordert sind, neue Lösungen für dieses Problem zu finden, mehr zu tun, als nur das Problem unter den Teppich zu kehren. Wie gerne kehrt speziell der indische Rechtsstaat Ungerechtigkeiten unter den Teppich und wie oft werden Täter, wenn sie nur das nötige Kleingeld haben, einfach freigesprochen.

Ich gebe zu, ich bin ein erklärter Gegner der Todesstrafe und finde es barbarisch, Menschen wegen eines Verbrechen hinzurichten. Seit der letzten Woche ist meine Meinung allerdings ins Wanken geraten. Nicht nur die Demonstranten in Neu Delhi fordern für die 6 Täter die Todesstrafe, auch ich frage mich inzwischen, ob das nicht die einzig richtige, klare Botschaft ist. Nicht wegen dem Fall an sich, sondern wegen dem Problem, dass in diesem Land vorherrscht. Alle 20 Minuten wird eine Frau in Indien vergewaltigt, es gilt dort als Kavaliersdelikt, in etwa wie Falschparken in Deutschland. Dabei sind die Folgen für die Frauen in Indien weitaus schlimmer als in Deutschland: dort sind die Frauen derart geschändet, dass sie sich oft das Leben nehmen - oder einer ihrer nahen Verwandten (oft der Vater oder die Mutter) nehmen sich das Leben. Eine Frau, die vergewaltigt wurde, gilt als unrein in Indien, ob die Vergewaltigung nun ihre Schuld war oder nicht. In Indien war sie immer ihre Schuld, das Endresultat ist nunmal eine Frau, die keine Jungfrau mehr ist und somit kaum einen Mann findet, der sie heiratet. Und ja, in Indien ist es nunmal viel wichtiger für eine Frau, geheiratet zu werden, als hier in Deutschland!

Es muss sich etwas ändern in Indien und ich hoffe, dass dieser Fall in dieser Zeit genau diese Änderung herbeiführt. Die Männer in Indien müssen sehen, dass eine Frau den gleichen Wert hat wie ein Mann, dass sie kein Stück Dreck ist, dem man sich einfach ermächtigen und das man dann wegwerfen kann. Wenn es dafür die Todesstrafe für solch eine barbarische Tat bedarf, damit der Rest des Landes zu Verstand kommt, so muss es wohl sein. Allerdings hoffe ich inständig, dass damit das Thema an sich wieder unter den Teppich gekehrt wird und anschließend so verfahren wird wie zuvor. Diese Massenvergewaltigung war nicht die erste in Indien, es wird auch nicht die letzte sein, wenn sich an den Gesetzen dort nichts ändert! Genau dieser Umstand sollte der Regierung dort einmal mehr zu denken geben, gerade, wenn sie sich damit brüstet, zu solch einer wirtschaftsstarken, großen Demokratie zu gehören.

 Das Ende dieses Jahres ist damit wohl sehr unrühmlich zu Ende gegangen. Natürlich könnte ich jetzt einen Jahresrückblick veranstalten, wie es gerade sämtliche Fernsehsender tun, aber es gibt für mich nichts zu erzählen, was nicht schon erzählt wurde und den gleichen Mist wieder und wieder zu erzählen, finde ich furchtbar langweilig.

Deswegen habe ich mich entschlossen, dieses Thema zum Ende des Jahres für sich stehen zu lassen in der Hoffnung, dass auch hier in Deutschland für das Thema Vergewaltigung nachgedacht wird. Nein, Vergewaltigung heißt nicht nur "Jörg Kachelmann" und falsche Beschuldigungen einer Ex-Freundin. Jeden Tag werden unzählig viele Frauen vergewaltigt und das mit schlimmen seelischen und teilweise körperlichen Folgen für die Frauen. Wir befinden uns angeblich in ein paar Stunden im Jahr 2013, trotzdem sind wir bei weitem nicht so modern, wie wir uns das alle vorgestellt haben. Die utopischen Visionen von Filmen wie "2020" sind immer noch in weiter Ferne und egal, wie technisch ausgerüstet wir sind, es fehlt uns immer mehr am Respekt füreinander. Auch eine Vergewaltigung ist ein Symbol für Disrespekt am Gegenüber. Körperliche und seelische Gewalt allgemein ist der Ausdruck für das Nichtvorhandensein von Respekt einem anderen Menschen gegenüber. Sage ich, dass wir in einer gewaltfreien Welt leben sollten? Ich glaube nicht, dass es möglich ist, aber der tägliche Versuch wäre eine Anstrengung, die sich für uns alle lohnen würde. Ein friedfertigeres Leben miteinander wäre profitabler für alle Menschen... aber profitabler für alle hieße ja, dass alle Menschen erfolgreich wären. Das wiederum wäre wahnsinnig vielen Menschen ein Dorn im Auge.

Zum Schluss wünsche ich den Demonstranten in Indien genug Durchhaltevermögen, damit sich wirklich etwas ändert und die Regierung handeln muss, die sonst so gerne vor sich hinzuschnarchen scheint.

Ansonsten wünsche ich allen Lesern dieses Blogs (egal, wie wenig es nun sein mögen) einen guten Rutsch in das neue Jahr 2013. Einen guten Vorsatz für das neue Jahr wie "Werde mehr Blogeinträge schreiben!" werde ich jetzt nicht liefern, es geht schließlich auch um die Klasse eines jeden Eintrages. Wenn es sich einrichten lässt, werde ich in nächster Zeit aber gerne wieder mehr von mir hören lassen. ;-)

LG Gene :-)

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