Freitag, 8. Juli 2011

"Die aktuelle Sündenwoche" - 4. Tag: Donnerstagsgeschäft

Die Sommerzeit hat (neben all ihren Annehmlichkeiten) so ihre Tücken. Dies ist wohl eine simple Feststellung, die sich für mich in den letzten Wochen wieder einmal bewahrheitet hat. Nicht, dass ich das gute Wetter verfluche oder die warmen Temperaturen (wobei es einigen ja immer noch nicht heiß genug ist)... die Tücken des Sommers liegen wohl an ganz anderer Stelle. Wenn nämlich nicht nur die Temperaturen, sondern auch das Gemüt der Menschen überkocht. Ob das nun an den warmen Außentemperaturen liegen mag, ist mir persönlich ein Rätsel.
Doch genau dieses Überkochen an Emotionen hat mich nachdenklich gemacht, ein Zögern in mir geschaffen mit der Frage: "Warum mache ich das hier eigentlich?"

Nein, ich zweifle nicht an der Art, wie ich schreibe oder was ich schreibe. Viel mehr zweifle ich daran, wieviel (und vor allem WAS) in den Köpfen der Menschen hängenbleibt. Wenn es in Kommentaren zu wichtigen Blogthemen (gerade, wenn es um Umwelt geht) nur darum geht, warum ich wann "dass" statt "das" schreibe, oder ob es "im Ende" statt "am Ende" heißt (oder doch vielleicht "ums Ende herum"?). Vielleicht geht es dabei nur darum, mich besser zu machen, womit ich mich dann fast wie eine 4jährige Eliteschülerin fühlen darf. "Das Genie muss schließlich zu 100% perfekt sein!"
Genau an diesem Punkt kommen mir dann die Gedanken: muss ich überhaupt perfekt sein? Muss ein Text, den ich ganz ohne technische Rechtschreibhilfen innerhalb von maximal 90 Minuten schreibe, wirklich einwandfrei in der Rechtschreibung sein? Muss ich damit wirklich sogar über Zeitungen stehen, die stundenlang geschrieben, gesetzt, Korrektur gelesen und dann gedruckt werden und trotzdem Rechtschreibfehler enthalten?

Diese Fragen gebe ich nun an jeden Leser weiter, bevor er sich von diesem ganzen Eintrag nur die gravierenden, tödlichen Rechtschreibfehler merkt, statt sich auf das Kernthema zu konzentrieren.

Und damit weg vom persönlichen "Wort zum Sonntag" und hin zur Sündenwoche. Gandhi's Ansichten teilen sich in diesem Blog sozusagen in der Mitte, denn es kommt hier zum 4. von 7 Todsünden der Modernen Welt. Und bevor aus dem Titel dieses Blogeintrags jemand etwas Zweideutiges ersehen will, erstmal Stop! Es mag sein, dass das, was man manchmal nach der Verdauung als Endprodukt zurücklässt, vornehm als "Geschäft" bezeichnet wird. Doch bei dem hier behandelten Geschäft geht es ausschließlich um den Handel, nicht um die Verdauung. Außerdem geht es um Moral... Moment, um was? Nun gut, es wird jetzt nicht so schlimm mit der Gesellschaft stehen, dass keiner mehr weiß, was Moral ist.... oder doch?

Zumindest hat die "Moral" einen sehr negativen Ruf. Ob das an der Religion liegt, die immer von "Moral" spricht oder ob es einfach eine sehr veraltete Tugend ist, die man eher in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts sieht als im modernen 2011? Man kann's nicht sagen, doch die Moral gilt immer als etwas, dass der Menschheit potenziell "den Spaß verdirbt". Als Begriffserklärung wird neben der Moral auch die "Sitte" erwähnt und spätestens bei dem Begriff sieht jeder steife Hemdkragen und eingeklemmte Gemüter vor sich.

Wie es in der Religion "Himmel und Hölle" gibt, so gibt es neben der Moral auch die Unmoral. Meist wird dann auch die Moral mit etwas Gutem, fast Himmlischen gleichgesetzt und die Unmoral mit dem passenden Gegenstück. Ein "unmoralisches Angebot" ist dann auch schon der Grundbegriff für ein "Geschäft ohne Moral", denn nicht nur seit dem gleichnamigen Film mit Robert Redford und Demi Moore wissen wir, dass es sich bei einem solchen Angebot um nichts handelt, dass die Sittenwächter erfreuen dürfte.

Doch ein "unmoralisches Angebot" schließt nicht unbedingt die Klausel "Sex gegen Geld" ein. Es geht auch anders (und Demi Moore muss auch nicht darin verwickelt sein). Das zeigen unter anderem auch die Nachrichten in dieser Woche.

Das Entsetzen war groß, als bekannt wurde, dass die Regierung plant, 200 Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu schicken. Die Opposition wettert heftig dagegen und wird damit zum Moralapostel, den eigentlich die spielen sollten, die die Regierung führen. Doch die sehen sich in keinster Weise schuldig, schweigen hartnäckig zu den Plänen unter dem Credo "Geheimhaltung" und werden wahrscheinlich bereits Ende des Sommers mit Testlieferungen beginnen. Was diesen Deal so unmoralisch macht ist wohl "nur" die Tatsache, dass Saudi-Arabien eine absolutistische Monarchie ist, bei der befürchtet werden darf, dass die "Leopard"-Panzer nicht zum Eigenschutz gegen den Iran, sondern gegen das eigene Volk richten könnte. Immerhin leben wir in Zeiten der großen Revolutionen in arabischen Staaten und da liegt es nicht gerade fern, dass ein Panzer, der mühelos auch in der Stadt agieren kann (und gerade deswegen als so populär gilt) für etwas "Unmoralisches" genutzt wird. Gerade in der Stückzahl.

Doch sind nur die Politiker die unmoralischen Erdenbürger unter uns? Okay, sie bekommen ab nächstem Jahr um 292 Euro mehr Gehalt pro Monat, um dann 2013 gleich nochmal die gleiche Summe zusätzlich mehr Gehalt im Monat zu bekommen. Im Vergleich: damit bekommen Politiker ab 2013 insgesamt 584 Euro mehr Gehalt im Monat, während ein Hartz IV Empfänger als Höchstsatz ungefähr die gleiche Summe im Monat erhält. Allerdings ist das dann die Totalsumme beim Arbeitslosen, beim Bundestagsabgeordneten ergibt sich daraus eine Summe von 8252 Euro. Pro Monat.

Natürlich kann man jetzt anmerken: "Der Hartz IV Empfänger muss sein "Einkommen" ja nicht versteuern!" Stimmt auch wieder, aber 8252 Euro? Ernsthaft? Für einen Job? Schlimmer geht's nur bei den Managerposten der Wirtschaftsriesen. Natürlich hatte ich jetzt schon oft das Thema "Wieviel Geld ist gerechtfertigt für welche Arbeit?" und meine Meinung ändert sich auch nicht zu dem Thema. Wenn ich mir anhören darf, wie Millionäre darüber philosophieren, dass sie "hart arbeiten" müssen, kann ich da nur mit einem moralisch entsetzten Kopfschütteln reagieren.

Erst in der vergangenen Woche gab es das Interview eines erfolgreichen Geschäftsmannes und Millionärs, der seinen Reichtum damit rechtfertigte, dass ein "normaler Arbeiter vielleicht 8-10 Stunden am Tag arbeitet, während er 15-17 Stunden arbeitet". Hätte ich dem Mann antworten können, hätte ich wahrscheinlich gesagt "15-17 Stunden was? Pro Woche?" Sicher, er meinte pro Tag. Doch an dieser Stelle dürften bei jedem vernünftigen Menschen die Alarmglocken im Kopf schrillen. Wenn man sich an die Industrialisierungszeit Ende des 19. Jhd. erinnert, in der Menschen 16 Stunden am Tag an Dampfmaschinen arbeiteten, kann man sich kaum vorstellen, dass ein Millionär wirklich so viel arbeiten sollte.

Und selbst wenn man sich vorstellt, dass ein Millionär wirklich so hart arbeiten sollte wie ein indischer Arbeiter, der Tag für Tag 16 Stunden lang Jeansstoffe mit ätzenden und gesundheitsschädlichen Azofarbstoffen einfärbt.... wie kann der Millionär dann noch nach Jahren des harten Schuftens gesund und wohl aussehen und Zeit haben, Interviews zu geben, während der indische Arbeiter an einer Lungenkrankheit in absoluter Armut stirbt?

So wirklich geht die Rechnung mit dem "hart arbeiten" im Zusammenhang mit "Millionär sein" nicht auf. Man könnte die Bezeichnung "ab und zu mehr arbeiten als ein normaler Arbeitnehmer" durchgehen lassen, allerdings klänge das nicht ganz so schick und beeindruckend wie "hart arbeiten wie ein Mann im Kohlebergwerk".

Womit ich allerdings schon im Kern des Themas bin: die Unmoral gibt es nicht nur in einer kleinen Gesellschaftsschicht, mit der die Mehrheit der Menschen nichts zu tun hat. Sonst hätte die "Moral" nicht so einen schlechten Ruf bei der Allgemeinheit. Moral gilt immer als etwas, dass sogenannten Moralaposteln vorbehalten ist, steifen, strengen Menschen, die zum Lachen in den Keller gehen. Manchmal werde auch ich als solcher bezeichnet, wenn ich allgemein so spaßmachende Sachen wie "Grillen mit Holzkohle" als unnötig empfinde. Aber ich gebe zu, zum Moralapostel tauge ich in diesem Leben nicht, dafür bin auch ich zu sehr von der Unmoral verführt.

Das "Geschäft ohne Moral" geschieht nicht nur in Panzerdeals der Regierung mit arabischen Scheichs, es geschieht jeden Tag und zwar nicht im Großen, sondern auch im ganz kleinen. Wer hat nicht schonmal alles getan, um sein hart verdientes Geld bei einem Einkauf zu sparen. Wer greift nicht lieber zur Billigsupermarktware statt zu artgerechter Biohaltung oder fair gehandelten Produkten, ganz einfach weil der Unterschied am Gusto ja nicht zu bemerken ist, der Unterschied im Portemonaie doch gewaltig wehtun würde, wenn man das "moralisch Richtige" tun würde.

Ob man nun Kaffee kauft, der fair gehandelt ist oder doch den, der einfach nur fast nix kostet, ist nicht nur eine Sache von Moral oder Anstand, es ist auch eine Gewissensfrage. Wie wichtig ist es mir, dass ich einen Handel abschließe, von dem beide Seiten etwas haben? Möchte ich wirklich, dass der, der mein Produkt herstellt, auch was von dem Handel hat? Oder geht es mir doch nur eher darum, dass ich möglichst gut aus einem Deal herauskomme?

Ich habe Verständnis für alle die, die die zweite Frage als ihr Credo sehen, schließlich gibt es so viele Menschen, die tagtäglich versuchen, einen über den Tisch zu ziehen... wozu sollte man selbst da noch ehrlich bleiben? Speziell das Vorführen der Reichen, wie es am unehrlichsten geht und man damit am weitesten kommt, hat die Gesellschaft immer weiter verleitet, die Moral mal im Keller verrotten zu lassen, wenn's drauf ankommt.

Das "Geschäft ohne Moral" ist immer darauf abgezielt, den eigenen Vorteil über die Fairness zu stellen. Merkwürdigerweise verstehen wir Menschen Fairness im Sport verdammt gut, regen uns über unfaire Entscheidungen von Schiedsrichtern beim Fussballspiel oder eine unfaire Spielweise von Spielern auf, aber im eigenen Leben drücken wir gerne ein Auge zu. Denn Fairness ist auch eng mit Regeln verknüpft, an die sich am Besten jeder halten sollte. Doch man kann feststellen, dass so sehr der Mensch für eine Regel ist, er genau so lange für diese Regel ist, solange sie ihn nicht selbst betrifft. Wenn eine Regel den eigenen Vorstellungen im Weg steht, ist es schnell dahin mit der "Moral" und wir drücken bei uns selbst beide Augen ganz fest zu, bevor wir durch die Regelmauer hindurchpreschen.

Das Motto "Was für andere gilt, gilt nicht für mich!" ist vielleicht die Grundvoraussetzung, ein Geschäft ohne Moral abzuschließen. Der eigene Vorteil ist wichtiger, der Triumph über das ergatterte Schnäppchen angenehmer als die Gewissheit, mit einem fairen Geschäft den Zwei vom Hersteller bis zum Händler in einem angemessenem Rahmen befriedigt und gleichzeitig selbst ein hochwertiges Produkt ergattert zu haben. So entsteht auch die Massenproduktion, das Einkaufen in rauen Mengen zu Schrottpreisen, nicht nur im Bereich Lebensmittel, sondern auch bei Bekleidung oder Technik.

Es ist schön, in einer Welt zu leben, in der sich jeder alles leisten kann. Unter diesem Grundprinzip werden Produkte in großen Mengen zu Dumpingpreisen hergestellt und zu einem erschwinglichen Preis veräußert. Wir sehen zunächst darin nur die Möglichkeit, am Besten alles zu besitzen und das in reichhaltiger Vielfalt. Warum sollte eine Frau nur zwei paar gute Schuhe im Schrank stehen haben, wenn sie auch 200 Paar haben kann? Und warum sollte ein Mann nur einen Ferneher mit DVD-Player besitzen, wenn er das UND eine Heimkinoanlage mit allem Schnickschnack besitzen kann?

Das hat nicht nur mit Narzissmus zu tun, es ist einfach durch die Billigpreise der heutigen Zeit möglich. Was das für Konsequenzen hat, ist nur wenigen Menschen bewusst. Ob in afrikanischen Staaten Erze und Edelmetalle in rauen Mengen aus Gesteinen für massenhaft Mobiltelefone gefördert werden, interessiert den Otto Normalverbraucher in Deutschland nicht im Geringsten. Oder ob Schneiderinnen in Bangladesh oder China 16 Stunden am Tag in Massen vom einfachen T-Shirt bis zum H&M Billigabendkleid alles in Massen produzieren, damit sich jede Frau in jeder neuen Saison einen kompletten neuen Kleiderschrank voller Klamotten leisten kann.
Ein Kleid zu einem fairen Preis unter fairen Bedingungen zu kaufen ist nicht nur nicht befriedigend für die eigene Geldbörse, die Haltung der Gesellschaft hat es auch immer schwerer gemacht. Fairer Handel ist zwar immer wieder gern propagiert, jedoch total out. Er befriedigt das allgemeine Jagdprinzip des Shoppingjägers nicht und selbst, wenn man mit fairem Handel etwas gutes tut, hat dieser einen entscheidenden Nachteil: man sieht das Gute an diesem Handel nicht.

Was interessiert es den Käufer, ob es einer Schneiderin in Bangladesh mit ihren Arbeitsbedingungen wirklich gut geht? Dafür soll der Käufer ernsthaft für ein T-Shirt 7,99 Euro statt 3,99 Euro zahlen? Und ist dieses T-Shirt dann auch wirklich gut für den Käufer selbst? Immerhin muss auch der Faktor "eigene Gesundheit" gerade im Hinblick auf Kleidung mit eingerechnet werden. Ob in dem teureren Kleidungsstück wirklich keine Azofarbstoffe enthalten sind, ist wieder auf einem anderen Blatt geschrieben.

Und der Schnäppchenjäger kann sich selbst mit folgender Info beruhigen: selbst teurere Textilien werden teilweise in den gleichen Werkstätten zu den gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen hergestellt wie billige Textilien. Also, die einzige Frage, die sich am Ende des Tages stellt, kann nur lauten: Wo ist das "Geschäft mit Moral"? Wie kann man die Todsünde meiden und gleichzeitig die eigene Befriedigung in punkto Einkaufen finden?

Es wird von niemandem verlangt, dass er sein Geld auf Teufel komm raus ausgibt, bis er nichts mehr übrig hat. Ob Billigproduktion oder teures Markenprodukt, es wäre zunächst einmal wichtig, die Augen und Ohren offenzuhalten, zu welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wird. Klar, das mag schwierig erscheinen, allerdings ist es im Zeitalter von hemmungslosem Internetgebrauch nicht mehr ganz so anstrengend wie früher, wo es viele Telefonate und noch mehr Geduld kostete, um herauszufinden, woher ein Produkt kam und welche Inhalts- bzw. Schadstoffe sich darin befanden. Aber auch das Internet erfordert Geduld und etwas Intelligenz, um an die nötigen Informationen zu kommen.

Man wird jedoch feststellen, wenn man sich wirklich ernsthaft mit einer Materie auseinandersetzt, kann das Geschäft mit Moral sogar funktionieren. Die Todsünde, das "Geschäft OHNE Moral" entsteht nämlich in erster Linie nicht nur aus Geiz oder dem Hetzen nach dem eigenen Vorteil. Wahrscheinlich entsteht es in erter Linie aus reiner Faulheit. Die Bequemlichkeit, sich keinen Zentimeter von der Couch wegzubewegen, ist weitaus verführerischer, als jedes gute Gewissen. Das erklärt wohl alles: das Schweigen des Verbrauchers zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in anderen Ländern oder das der Regierung, wenn es um unmoralische Geschäfte mit zwielichtigen Staaten.

Eine gute Nachricht zum Schluss: wir sind nicht alle unmoralisch, weil wir nach einem Schnäppchen geifern. Denn der Verbraucher ist ja nicht der entscheidende Hebel im internationalen Handel und Wandel. Schlussendlich ist der Verbraucher nur ein Hebel in dieser Maschinerie... aber wie bei jedem Uhrwerk und jeder Maschinerie muss jeder Hebel funktionieren, damit alles läuft. Und damit haben wir alle auch eine Entscheidungsgewalt, was wir kaufen und damit, was wir uns gefallen lassen und was nicht.

Der Rest ist Entscheidungsfreiheit. In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein schönes Wochenende und verabschiede mich bis zum nächsten Freitag!

LG Gene :-)

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