Samstag, 31. März 2012

Orientierungslos - Abgebrannt - Ersoffen: Neue Politikformen und altes Gedankengut

Vergangenen Sonntag hat wieder einmal die politische Erde gebebt: es fanden die Neuwahlen im Saarland statt. Nun ist das Saarland wohl nicht nur wegen seiner Größe eins der wahrscheinlich unwichtigsten Bundesländer Deutschlands, aber der Aufruhr, den diese Wahl verursacht hat, war gewaltig. Es ging um die Frage, wer die Frage nach der Tilgung der überhohen Schulden beseitigen kann: die CDU mit Frau Kramp Karrenbauer? Oder doch die SPD mit Herrn Maas? Eventuell der gute Herr Lafontaine mit der Linken?

Wenn man sich das Wahlergebnis anguckt, stellt man wohl nur eins fest: es ist NICHT die FDP, die Deutschland retten soll! 1,2% ist wohl das unterirdischste Ergebnis, das die FDP je erreicht hat. Was sie allerdings nicht davon abhält, sich weiterhin kräftig im Land unbeliebt zu machen. Nicht nur, dass sie sich selbst im Saarland politisch erhängt haben, als sie die Ursache für das Scheitern der landesweit einzigen und ersten "Jamaika-Koalition" waren... erst in dieser Woche trat Parteivorsitzender Philip Rösler nochmal kräftig nach: im Streit um die Auffanggesellschaft, die Tausende Jobs in der "Schlecker"-Pleite noch vorläufig retten sollte, sagte er einfach mal "Nein". Prompt wurde nach dem Scheitern der Verhandlungen diskutiert, ob der Kurs der FDP in dieser Sache einfach nur "grandios mutig und geradeheraus" war oder schlichtweg "dämlich". Beides ist möglich, merkwürdigerweise hilft der "mutige" Kurs der FDP nicht, neue Wählerstimmen zu gewinnen. Es scheint fast, als wäre die FDP die "unwählbare Partei" geworden, gebranntmarkt mit dem scharlachroten "A", als hätten sie Ehebruch begangen. Aber an wem nur? Am Wähler? An der CDU? Viel merkwürdiger als alles andere ist doch nur, dass für die Misserfolge von schwarz-gelb nur die Gelben verantwortlich gemacht werden, die Werte der CDU allerdings unaufhörlich weitersteigen.

Frau Merkel scheint es in dieser Hinsicht immer wieder zu schaffen, die Mehrheit der Wählerstimmen auf ihre Seite zu ziehen. Im Saarland ist nun auch zum dritten Mal Heiko Maas bei der Wahl zum Ministerpräsidenten gescheitert, muss in einer großen Koalition den Juniorpartner neben Annegret Kramp-Karrenbauer spielen. Wahrscheinlich ist für den Bürger das Ärgerlichste an dieser Sache nur, dass dieses Ergebnis auch ohne Neuwahlen funktioniert hätte, wenn Heiko Maas nicht tollkühn nach der Macht im Saarland gestrebt hätte.

Durch die Neuwahlen gab es somit fast auf allen Seiten Verlierer: die FDP ist raus aus dem Landtag, die Grünen sind dank Zitterpartie, die schlimmer war als jeder "Stirb langsam"-Film, doch noch drin und auch die SPD könnte sich wohl ein Monogramm in den Hintern beißen, weil es einfach nicht geklappt hat mit der Führung, obwohl die Prognosen vor der Wahl eine ganz andere Sprache gesprochen haben.

Doch wie gesagt, es gab FAST nur Verlierer. Wo es Verlierer und Verluste gibt, muss es naturgemäß auch Gewinner geben. Darin unterscheiden sich politische Wahlen nicht von Kriegsgefechten. Und die Gewinner sind in diesem Jahr wohl eindeutig die Piraten. Orange zieht überall dort in die Landtage ein, wo sie wohl kein Mensch braucht. Aber wahrscheinlich ist der Politikverdruss derart groß, dass die Menschen sich nicht mehr anders zu helfen wissen. Wenn man gar nichts mehr wählen mag, wählt man einfach das Ungeeignetste. Oder eben das, von dem man sich doch noch einen Erfolg verspricht.

Von Null auf 7,4% hieß es denn auch für die Piraten und es folgten heiße Diskussionen um die Kompetenz und den Nutzen der jungen, dynamischen Piraten. Seit der Berlinwahlen im letzten Jahr ist die Piratenpartei wohl der neueste Schrei, ähnlich der neuesten Kollektion von "Dolce & Gabbana" (obwohl die im Vergleich vielleicht schon zu sehr Mainstream sind!).  Wofür die "Piraten" allerdings stehen, das wissen erstaunlicherweise nur ein Viertel ihrer Wählerschaft im Saarland. Frei nach dem Motto: "Ich weiß nicht, was ich da wähle - aber Hauptsache, es ist mal "was Anderes"!" Ja, so oder so ähnlich funktioniert wohl Politik - oder der Beginn einer neuen Diktatur!

Gut, die Piraten werden wohl kaum die Anarchie auslösen oder ähnlich der NSDAP einen neuen totalitären Staat ausrufen, trotzdem ist es erschreckend, dass die Menschen inzwischen wohl so wenig über Politik wissen, dass sie einfach das wählen, was viele Leute aus Protest wählen. Protest ist wohl das Schlagwort, das "Ich bin dagegen!"-Gefühl, dass sich inzwischen in allen Dingen unserer Gesellschaft einschleicht. Uns passt etwas nicht, weil es nicht zu unserem persönlichen Vorteil dient? Wir sind dagegen! Wir haben Probleme mit Entscheidungen, weil wir sie nicht verstehen? Wir sind dagegen! Das scheint das neue Credo vieler Menschen in diesem Land zu sein.

Die Durchschnittsbevölkerung war wohl noch nie sonderlich politikinteressiert, wer unser Bundespräsident war, hat die Menschen nie interessiert, bis Christian Wulff ins Schloss Bellevue einzog und ein Skandal den nächsten jagte. Das Fassungsvermögen im Kopf der meisten Menschen scheint allerdings so begrenzt, dass es allgemein nicht reicht für eine politisch ausgereifte Meinung. Nun, das ist auch nicht weiter verwunderlich, das Leben wird (dank unserer eigenen Erfindungen und selbstkreierten Notwendigkeiten!) so komplex, dass wir über viele Dinge nachdenken können, nur nicht über die Verantwortungsträger dieses Landes. Was zur politischen Meinungsbildung bleibt, passt auf die Titelseite der Tages"zeitung" mit vier Buchstaben. Da sich die "BILD" allerdings hauptsächlich an die Meinungsbildung dank Skandale und Polemik hält, bleibt nicht mehr viel Raum für ein ausgereiftes politisches Weltbild.

Nur eins mal vorneweg: ich habe nichts gegen die Piraten - das Problem ist nur, ich habe auch nichts für sie. Ich verstehe nicht den Hype um die Piraten, kann die Begeisterung um ein sehr unausgereiftes Wahlprogramm nicht nachvollziehen oder warum die Menschen kollektiv den Drang verspüren, "orange" zu wählen. Protest ist eine gute Sache, Protest hilft überall auf der Welt, seinem Ärger über das Weltgeschehen Luft zu machen. Einziger Haken ist in diesem Land, dass diese Form des Protestes uns persönlich nicht sonderlich weiterbringen wird. Die Menschen hoffen bei den Piraten auf "neue Politiker", die wahrhaft in der Lage sind, die Wünsche des Bürgers zu vertreten. Aber was haben die Menschen eigentlich für Wünsche? Nun, an diesem Punkt setzt der wahrhaft clevere Schachzug der Piraten an: sie "hören" sich die Meinungen der Bürger wirklich an, sind dank Internet immer direkt mit dem Wähler verknüpft und haben dieses Instrument aufgegriffen, wo die etablierten Parteien Winterschlaf gehalten haben.

Also hören die Piraten dort hin, wo die anderen Parteien längst taub geworden sind? Wahrscheinlich und das ist auch der einzige Erklärungsversuch, den man anstellen kann, wenn man den Erfolg der Piraten analysieren will. Am Parteiprogramm kann es nicht liegen... freies Internet für alle, freie Musik und Filme für alle, ein bedingungsloses Grundeinkommen. Willkommen im "Robin Hood"-Land! Vielleicht auch in der Neuauflage der DDR. Nun, ich gebe zu, ein wenig obskur erscheinen mir diese Forderungen der Piraten schon, auch wenn man ergänzend hinzufügen möchte, dass das nicht die einzigen Punkte auf dem Wahlprogramm der Piraten ist. Was im Ende nur wirklich Angst machen kann, ist die Unberechenbarkeit der Piraten, weil man nicht weiß, wofür sie eigentlich stehen; wenn selbst die Leute, die sie wählen, gar nicht wissen, warum sie sie wählen, bedarf das schon einiger Gründe zur Nachdenklichkeit.

Ähnlich wie den Piraten ging es vor 30 Jahren den Grünen! Das zumindest sagen alle Befürworter der Piraten, die sich auf die Parteigeschichte der Grünen stürzen und plötzlich wieder Ahnung von Politik haben. Einerseits wissen sie nicht, was sie wählen sollen, haben kaum noch Ahnung vom Parteiensystem und den Wahlprogrammen der einzelnen Parteien - aber wenn es ums Verteidigen der Piraten geht, da kennen die Wähler auf einmal die Parteigeschichte der Grünen? Interessant, was der Kampfeswille doch so alles bewirken kann! Ganz unrecht haben sie damit nicht, immerhin wurden die Grünen in den 80er Jahren noch als "Ökopartei" belächelt. Andererseits: werden sie das teilweise nicht heute noch? Oder sind sie nicht schon so weit weg von ihrem Ökoimage, dass die Menschen gar nicht mehr wissen, wofür sie stehen?

Der Neoliberalismus hat sich verlagert - von der FDP hin zu den Grünen. Mehr Bessergestellte denn je wählen die Grünen, nicht, weil sie plötzlich den Drang haben, die Umwelt zu retten, sondern weil das Parteiprogramm nach ihrem Geschmack ist. Damit haben sich die Grünen auch gleichzeitig ein Eigentor geschossen: von der Öko- zur Yuppiepartei in 0,5 Sekunden? Sie haben den Wandel wohl vollzogen und klar, Geld ist immer wichtiger als die Rettung des Planeten. Dadurch sucht sich die Wählerschaft allerdings Alternativen, die ihnen das bieten, was sie hören wollen, was sie erreichen wollen - Willkommen, all ihr Piraten in die Landtage der Bundesrepublik Deutschland!

Grün wählen ist allerdings nicht nur durch den Imagewandel der Partei mehr als zweifelhaft geworden. Auch die Tatsache, dass die "Weltprobleme" in Sachen Umweltpolitik oberflächlich gelöst sind, hat Stimmen gekostet. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hatten die Grünen ein subtropisches Sommerhoch, ihre Wählerschaft erhöhte sich auf weit über 20% und selbst die SPD musste als zweitstärkste Partei des Landes um ihre Stellung zittern. Allerdings wäre Frau Merkel nicht mehr Frau Merkel, wenn sie sich dieses Hoch nicht selbst zunutze gemacht hätte: plötzlich war die CDU, der Liebling der Atomlobby, der Vorreiter in der Umweltpolitik und schrie: "Erneuerbare Energien für alle!". Da man mit Speck Mäusen fängt, hatte sich die Sache kurze Zeit später erledigt und die CDU galt als neue Ökopartei... dass die Kanzlerin noch einige Monate zuvor das Zugpferd für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland war, war plötzlich vergessen. Die Euphorie des Ausstiegs aus der Atomkraft konnte die CDU (gepaart mit dem Sparkurs in Sachen Eurokrise) mitnehmen und auf den Schwingen absoluter Wählerbeliebtheit in den Sonnenuntergang fliegen.

Aber genug von Karl May Romantik, auch wenn der Mann in dieser Woche seinen 100. Todestag feiert. Schlussendlich haben Cowboys, Indianer und Piraten recht wenig miteinander zu tun, auch wenn die Rahmenbedingungen wohl die gleichen sind. Erst in dieser Woche wurde zum Thema jedoch passenderweise der FDP Generalsekretär Patrick Döhring gefragt, ob er vor den Piraten Angst habe. Kleiner Schenkelklopfer an dieser Stelle gefällig? Nun, kommt in Form seiner Antwort: "Ich habe keine Angst vor den Piraten - weder vor denen in Deutschland noch vor denen in Afrika!" Knaller, oder? Mit solch einer Naivität 1. die politischen deutschen Piraten mit den Terrorpiraten vor den Küsten Afrikas zu vergleichen und 2. die "echten" Piraten in Afrika so zu unterschätzen ist politisch wohl kaum noch politisch tragbar, erklärt aber dann doch wohl unter anderem, warum die FDP so gewaltigen "Schiffbruch" erleidet (das war dann nun mein Schenkelklopfer zu diesem Thema, danke für den Applaus!).

Wohin aber jetzt mit der "neuen" Partei, die die Welt (zumindest die Deutsche) retten soll? Der Aufschwung dieser Partei ist wohl kaum aufzuhalten, denn je mehr die politischen Experten vor der Unerfahrenheit dieser "Politiker" warnt, desto mehr werden sich die Menschen darauf stürzen. Gehört wohl auch zu Murphys Gesetz: "Alles was schiefgehen kann, geht auch schief". Mit anderen Worten: wenn Deutschland die Politik schon nicht mehr für Voll nimmt, dann kann man auch gleich Spaßparteien in den Bundestag berufen und die Kompetenz der Politik komplett begraben. Vielleicht funktioniert Politik im üblichen Sinne auch nicht mehr. Wenn die Reichen immer reicher werden, die Armen immer ärmer und die Schere zwischen beiden Parteien immer weiter auseinanderdriftet, der Mittelstand (immerhin die Hauptwählerschaft der FDP) langsam aber sicher zur aussterbenden Art gehört, ist es wohl an der Zeit, die Politik als Institution an den Nagel zu hängen... oder alles in Schutt und Asche zu legen, damit man es wieder aufbauen kann.

Abwarten kann man nun die Entwicklung bis zum nächsten Jahr, wenn die gesamte Republik wieder wählen darf. Es steht wohl bereits jetzt fest, dass die Piraten in den Bundestag einziehen werden, die Beliebtheit der Piraten ist dank der Wahl im Saarland noch einmal kräftig angestiegen. Mit wie vielen "Jack Sparrows" sie das tun werden, wird die Zukunft zeigen. Eins ist sicher: wenn die FDP weiterhin mit dummen Sprüchen und unbeliebten Entscheidungen glänzt, schafft sie den Einzug wohl nicht mehr. DAS wäre dann an dieser Stelle doch eine Sensation, wenn auch keine wirklich unangenehme. Den Absturz von über14,6% auf fast Null ist schon bemerkenswert. Bei einer Autofahrt einen Aufprall von 100 Stundenkilometer gegen eine Mauer zu überleben ist auch eher unwahrscheinlich, also warum sollte die FDP diesen Absturz politisch überleben. Es bleibt wohl nur noch das Begräbnis der FDP zu organisieren - vielleicht erklären sich dafür die Piraten bereit, wenigstens eine Internetpräsenz in diesem Rahmen könnten sie doch gründen.

Wie die Piraten sich indes schlagen werden, sobald sie auch bundesweit Mitspracherecht haben, wird wohl erst den Beweis bringen, ob diese Partei überhaupt zu irgendetwas taugt oder nicht. Ich bin immer sehr vorsichtig mit zuviel Euphorie und Vorschusslorbeeren, gerade weil es sich bei den Piraten um eine nicht von der Gründung, sondern auch vom durchschnittlichen Mitgliedsalter her um eine sehr junge Partei handelt. Wenn sich die Piraten aber als die neuen Weltenretter herausstellen sollten, werde ich die letzte sein, die diesem Glück im Wege stehen wird. Ich bin ja schließlich kein FDP-Mitglied!

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern des Blogs ein schönes Wochenende und verabschiede mich bis zum Ostersamstag, an dem es wieder einen neuen Beitrag geben wird.

LG Gene :-) 

Samstag, 24. März 2012

Guck, was "gauckt" von draußen rein...!

Zeit für ein Comeback - mein Comeback! Ich gebe zu: ich habe mich zurückgezogen, keinen neuen Beitrag verfasst. Das Einzige, wofür im letzten Monat Zeit blieb, war ein neuer Header. Der ist dann auch passend zum derzeitigen Frühlingsaufbruch. Ansonsten kann ich mich nur bei der Leserschaft (die etwa eine Handvoll beträgt) entschuldigen, ich war stress- und krankheitsbedingt nicht zum Schreiben neuer Einträge in der Lage. Doch das ist wohl nicht der einzige Grund.

Auch wenn es schwerfällt, bei Krankheit überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen, so hatte ich in den letzten Wochen auch so meine Zweifel, den Blog überhaupt weiterzuführen. Nicht, weil nicht genug Leute diese Beiträge hier lesen, sondern weil ich manchmal glaube, ich habe bereits alles gesagt. Irgendwann hat man ausgeredet, jede Rede, jeder Vortrag und jedes Buch haben mal ein Ende... und an der Stelle heißt es dann "Schluss, Aus, Feierabend! Ich geh dann mal nach Hause!". Blöd nur, dass ich herausgefunden habe, dass ich noch nicht nach Hause gehen will, kann oder soll (was passt, kann sich wohl jeder selbst aussuchen).

Es ist dann auch so einiges passiert in den letzten Wochen. Der Terror in Toulouse, das Busunglück in der Schweiz und ... Gauck! Immer wieder Gauck! Unser neuer (und damit 11.) Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Und meine Güte, was sind wir alle erfreut über die Wahl! Alle? Nun, Frau Merkel freut sich immer noch eher verhalten über den neuen ersten Mann im Staat. Aber warum nur? Gut, es ist wohl offensichtlich, dass Gauck alles außer eine Marionette für Frau Merkel spielen möchte - ganz abgesehen davon, dass er es wohl auch kaum könnte. Wulff hat diese Rolle (als einzige Rolle von allen!) meisterhaft ausgefüllt. Da Gauck nun nicht als Witzfigur herhalten kann, hat Frau Merkel naturgemäß Angst, dass sie nicht mehr die einzige "Frau" ist, die in diesem Land was zu sagen hat. Bei all dem Machtkampf fragt man sich mehr denn je, ob Angela Merkel zur Frau überhaupt noch taugt. Oder ist es die Aufgabe einer gut empanzipierten Frau, sich so sehr gegen die Männerwelt durchzusetzen, dass sie mehr Mann als jeder Mann ist?

Nun, diesen Fakt mal auf Seite gelassen, geht es doch in dieser Woche nur um Herrn Gauck. Gestern wurde er nun endlich vereidigt und darf seines "Amtes walten". Und das hat er auch gleich in seiner ersten Rede getan, hat den Nazis den Kampf angesagt. "Euer Hass ist unser Ansporn!" ... große Worte! Vor allem aber wahre Worte, denn den Meisten von uns geht es darum, die Nazis endlich zu eliminieren. Zumindest die Ideologie aus den Köpfen der Betroffenen zu verbannen, töten wollen wir schließlich niemanden, wir sind ja alle Pazifisten. Mehr oder weniger. Die Tatsache, dass wir allerdings immer noch über das Verbot der NPD diskutieren müssen, dass die Politik immer wieder Gründe findet zu sagen: "Tut uns leid, das geht aus Grund XY nicht", lässt jeden Menschen mit gesundem Menschenverstand verzweifeln und an der Geistesgesundheit der gesamten Politik zweifeln.

Es ist ein Paradoxum: eine Partei, die die Demokratie abschaffen will, darf von der Demokratie selbst nicht verboten werden, weil die Demokratie die absolute Meinungsfreiheit vertritt. Diese Logik kommt einem Menschen gleich, der selbst gewaltfrei lebt und sich ständig verprügeln lässt, die gewaltfreie Ideologie aber für alle möchte und trotzdem nicht verhindern kann, dass ihm Gewalt angetan wird, weil Gewalt darf laut seiner eigenen Ideologie trotzdem weiterexistieren. Noch nicht verwirrt genug? Es ist schon verwirrend, wenn das Gesetz so aufgebläht und ausschweifend ist, dass die Menschen immer wieder Wege finden, der vermeintlichen "Gerechtigkeit", zu dessen Erfüllung das Gesetz ja eigentlich dient, zu entfliehen. Also "eigentlich" sollte das Gesetz dafür sorgen, dass die NPD endlich verboten wird, nach allem, was speziell in den letzten Jahren geschehen ist, nach all der falschen Ideologie, die diese Partei in die Welt hinausgetragen hat. Trotzdem... passiert... nix! Es ist wohl entweder egal, ob diese Ideologie sich immer weiter ausbreitet oder die Politik weiß, dass ein Verbot der NPD nur der Anfang eines sehr langen Weges gegen Rechts sein kann.

Lange Zeit habe auch ich geglaubt, dass Rechtsextremismus eine Randerscheinung ist, irgendwo vor allem im Osten aufgrund von hoher Arbeitslosenquote existiert und nur die gnadenlose Dummheit dieser Menschen widerspiegelt... oder deren Naivität. In einigen Fällen mag diese Theorie auch richtig sein, aber der Rechtsextremismus hat sich weiterentwickelt in diesem Land. Was haben wir aus der Zeit der NSDAP und Hitler gelernt? Anscheinend nicht viel. Dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte ist zum vollkommenen Langeweiler im Geschichtsunterricht geworden, die derzeitige Jugend versteht diese Zeit nicht mehr und die gesamte Bevölkerung entfernt sich immer mehr von dem Schrecken, den diese Epoche mit sich gebracht hat. "Zeit heilt alle Wunden" sagt der Volksmund. Er verschweigt aber, dass Zeit auch wie Alzheimer wirkt - man vergisst alles, es muss einfach nur weit genug von uns entfernt sein. Weiß ich noch, wo ich vor 10 Jahren stand? Ja, allerdings nur, wenn ich ganz angestrengt darüber nachdenke. An einige Dinge erinnere ich mich, andere habe ich erfolgreich verdrängt, vergessen oder sie sind mir leider entfallen.

Ähnlich geht es der gesamten deutschen Bevölkerung mit der Vergangenheit dieses Landes. Es ist schwierig, die Erinnerung an den Schrecken lebendig zu halten, wenn man gut 60 Jahre lang in absolutem Frieden lebt und die fast einzige Sorge in aller Leben die nach den finanziellen Möglichkeiten ist. Erschwerend kommt das Image hinzu, dass Deutschland durch Hitler's Schreckensregime erhalten hat - für die Amerikaner sind wir immer noch alle Nazis, für die Griechen dank rigorosem Sparprogramm ebenfalls. Auch Polen und andere Oststaaten kramen gerne das "Alle-wie-Hitler"-Image gegen die Deutschen aus, wenn ihnen irgendetwas nicht passt. Da ist es kein Wunder, dass die Deutschen nicht nur vergessen, weil die Zeit einfach verdammt lange her ist, sie wollen auch vergessen. Wer will schon freiwillig zu den Dorftrotteln der Weltgemeinde zählen? Deutschland bestimmt nicht, allein in den 12 Jahren seiner Diktatur galt Deutschland als "schrecklich", "diabolisch" und spätestens nach 1945 als "absolute Vollidioten", dass wir überhaupt jeweilig solch einen Geisteskranken als Staatsoberhaupt wählen konnten. Wer sich genau mit der Geschichte beschäftigt weiß, dass die Machtergreifung Hitlers nur sehr wenig mit "demokratischen Wahlen" zu tun hatte, aber das sei mal auf Seite gestellt. Deutschland hat bis heute einfach sein "Fett weg", wenn es um Rassenhass und nicht demokratische Regierungsformen geht. Egal, wie sehr wir uns für die Demokratie in allen Ländern einsetzen und gegen Intoleranz und Rassenhass kämpfen, wir stoßen immer wieder an unsere Grenzen. Nicht nur in der Auslandspolitik, auch im eigenen Land. Der Rassenhass und die Ideologie der Neonazis sind nur ein Teil dieser Grenzen.

Im Jahr 2009 hat der Journalist Günther Wallraff mit seiner Dokumentation "Schwarz auf Weiß" aufgezeigt, wie weit die Intoleranz gegenüber Menschen anderer Hautfarbe geht. Natürlich ist solch eine Dokumentation auch ein gefundenes Fressen für alle, die jedem Deutschen den "Nazistempel" aufdrücken wollen. Trotzdem ist diese Dokumentation mehr als erschreckend. Ein Land, dass sich Demokratie schimpft, offen für alle Nationen, Religionen und Hautfarben, dessen Vertreter (sprich: jeder einzelne von uns) allerdings nicht in der Lage sind, einen Menschen nach seinem Charakter und seinem Benehmen statt seiner Hautfarbe zu beurteilen. Diese Dokumentation war nicht nur erschreckend, sondern auch beklemmend, weil sie aufzeigte, wie rückständig viele Menschen in diesem Land mit ihrem Denken sind. Wer redet da noch von der "Zwickauer Terrorzelle"? Es geht nicht immer nur um die, die eine Waffe in die Hand nehmen und im Rassenwahn auf Menschen einer anderen Herkunft schießen, die Intoleranz beginnt bereits, wenn man sich demonstrativ von einem Menschen anderer Hautfarbe wegsetzt oder ihm Lokalverbot ohne ersichtlichen Grund gibt.

An dieser Stelle kann man nur die Frage stellen: Was kann/wird/soll Gauck da eigentlich verändern? In seiner Antrittsrede stellte er den Kampf gegen den Rechtsextremismus als ein zentrales Thema seiner Amtszeit vor und knüpft darin an das Hauptthema Wulffs in dessen sehr kurzer Amtszeit an. Die Spitzenpolitik ist sich einig, dass sich etwas ändern muss, dass Rassenhass und Rechtsextremismus in diesem Land kein Platz hat. Doch ist das Verbot der NPD wirklich der entscheidende Schlüssel zum vollkommenen Glück ohne Nazis? Wahrscheinlich nicht, denn einen zentralen Schlüssel, einen entscheidenden Handgriff gegen Rechts gibt es nicht. Wenn es ihn gäbe, würde dieses Thema wohl wirklich nur noch in den Geschichtsbüchern existieren.

Fest steht an dieser Stelle allerdings eins: es ist wichtig, dass Vorbilder aufzeigen, was in diesem Land schiefläuft und dass die Vorbilder sich stark machen gegen Ungerechtigkeit. Wenn einer es schafft, diese Funktionen zu erfüllen, dann ist es wohl Bundespräsident Gauck. Die Rede zu seinem Amtsantritt hat zumindest ansatzweise bewegt, sie lässt die Menschen wenigstens nicht kalt - und das ist schon ein Fortschritt in Zeiten der Gleichgültigkeit allem gegenüber außer dem eigenen Geldbeutel! Ein Mensch, der die Massen mit seinen Worten wirklich erreichen kann - das hat es wohl seit Martin Luther King und Mahatma Gandhi nicht mehr gegeben. Doch wir wissen alle, wie gerne die Menschen manipuliert werden wollen, genau deswegen sind auch Menschen nötig, die uns mit ihren Worten in die richtige Richtung lenken. In den letzten Jahren neigte die Schafherde (also die Bevölkerung) immer dazu, aufgrund falscher Richtungsweisungen zu reagieren, sich genau in die falsche Richtung hin manipulieren zu lassen. Man traut Gauck allerdings zu, dass er die Menschen in die richtige Richtung lenkt, dass seine Worte motivieren und führen... und das überall hin außer in die Irre! Also: Ende gut, alles gut?

Leider wäre das wohl zu einfach. So sympathisch ist Gauck auch finde, so sehr ich finde, dass sein Amtsantritt bereits vor zwei Jahren hätte stattfinden müssen und so groß meine Hoffnung auch ist, dass Gauck dem Job des Bundespräsidenten die nötige Würde zurückgeben wird ist es doch schwer, ihn nur mit Lob zu überschütten. Speziell für den Fall, dass er auf ähnliche oder andere Weise wie Wulff dem Amt mehr schadet als nützt. Nun, ich bezweifle, dass das geschehen wird, denn Gauck hat die nötige Weisheit und Intelligenz, dem Amt nicht zu schaden und ihm mit seinem Wissen zu nutzen. Trotzdem stoßen wahrscheinlich einige seiner Äußerungen vor dem Amtsantritt (so z.B., dass die "Occupy"-Bewegung gegen die Weltbanken lächerlich seien) vielen Menschen sauer auf, gerade, weil es bei diesen Themen um so viel mehr geht als nur um die Freiheit, die Gauck immer wieder propagiert und die für ihn über alles anderem steht. Ob nun die soziale Gerechtigkeit in Zukunft für Gauck ebenfalls in den Fokus treten wird, bleibt abzuwarten. Eine schöne Rede hat er gehalten, die richtigen Worte gefunden, nun muss er sich an den nächsten 5 Jahren Amtszeit messen lassen.

Und was ist mit den Nazis? Nun, die Altlasten verschwinden langsam aber merklich. In der letzten Woche verstarb John Demjanjuk im Alter von 91 Jahren in einem Pflegeheim. Die langjährigen Prozesse, selbst die Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Juden konnte nicht dafür sorgen, dass ihm seine gerechte Strafe zuteil wurde. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt, das Urteil war nicht rechtskräftig, also hat Demjanjuk sein Leben in "Freiheit" in einem Pflegeheim statt hinter Schloss und Riegel bei Wasser und Brot verbracht. Quintessenz? Es wird im Jahr 2012 wohl kaum noch Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen der Opfer geben, die Kriegsverbrecher der Vergangenheit sind lange tot oder haben sich so gut versteckt, dass sie in ihrem greisen Alter wohl nicht mehr geschnappt werden. Selbst wenn... wem nützt das noch? Wer jahrzehntelang in Freiheit verbracht hat nach solchen Gräueltaten, der kann gar nicht mehr genug bestraft werden, denn er ist doch schon längst mit seinen Verbrechen davongekommen. Gerechtigkeit findet dich, egal wann und wo? Nun, das ist wohl ein Mythos, den wir uns gerne einreden, damit wir weiterhin an die Gerechtigkeit glauben können, von der wir jedoch einsehen müssen, dass sie nicht immer existiert.

"Guck, was gauckt von draußen rein...", Terror von extrem rechts, Terror von extrem links, Terror mit extrem-islamisch lila gestreiften Hintergrund... die Friedensbewegung ist entweder nur ein Wunschdenken, das in uns allen wohnt oder der Terror ist nur mit ein paar unschönen Flecken auf einer weißen Weste vergleichbar. Nicht ernstzunehmen, wird schon alles wieder? Wenn wir die Bewegung ignorieren und uns so gar nicht wehren, wird die Bewegung nur unaufhörlich wachsen und dafür sorgen, dass aus einer "Randerscheinung" eine "Modeerscheinung" wird, die schließlich zu einem "Trend" heranwächst und dann irgendwann zum "Common Sense" reift. Feindlichkeit und Intoleranz an der Tagesordnung? Zyniker könnten behaupten, wir sind längst soweit. Aber man wird sich doch wohl noch gegen diese Entwicklung wehren dürfen. Selbst wenn wir bereits in einer intoleranten und feindlichen Welt angekommen sind heißt das noch lange nicht, dass wir diese Ideologie in uns allen nicht ändern können. Unsere Philosophie entsteht schließlich nicht irgendwo im Mutterleib, hat nichts Angeborenes an sich, sondern besteht nur aus Erlerntem... und wie man ebenfalls so schön im Volksmund sagt: "Man lernt nie aus!"

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein schönes Wochenende und eine schöne neue Woche - und verspreche: beim nächsten Mal sage ich Bescheid, bevor ich abhaue. ;-) Bis zum nächsten Samstag und dem nächsten Blogeintrag.

LG Gene :-)

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