Freitag, 10. Juni 2011

"Natürlich blöd!" - Auf der Reise zum Planeten "Narziss"

Mittlerweile schreiben wir die zweite Juniwoche im Jahre 2011 und damit ist es auch Zeit, über die wahrscheinlich schönste Zeit des Jahres zu sprechen - die Ferienzeit! Die Zeit, in der die schwer geplagten Arbeitnehmer sich massenweise frei nehmen, ihre Köfferchen packen und den Abflug machen in weite Weiten und ferne Fernen, von denen sie sonst nur träumen können.

Dabei bleibe ich heute mal bewertungsfrei, ob es wirklich so toll ist, mit Sack und Pack zwei bis drei Wochen All-inclusive Urlaub auf Mallorca sich ausschließlich damit zu beschäftigen, sich ab 10 Uhr morgens mit Sangria zu betrinken und den Rest der Zeit in die eigene flächendeckende Krebsrötung zu investieren. Oder ob es besser ist, in die Karibik oder in eine europäische Großstadt zum Kulturtrip zu fliegen. Schwamm drüber! Es ist Juni, die Urlaubszeit beginnt. Doch warum eigentlich? Mal ganz allgemein gesehen: warum denken die Menschen, sie hätten ein verfassungsmäßiges Recht (oder möglicherweise Pflicht dem Vaterland gegenüber?!) die sieben Sachen zu packen und in Urlaub zu fahren. Ausgerechnet dann, wenn das Wetter im eigenen Land vermeintlich am Besten ist, fahren die Leute weg, geben Tausende von Euros dafür aus, es sich vier Wochen angeblich gutgehen zu lassen. Dabei ist damit vom Abflug über das teilweise große Ärgernis über das Hotel bis hin zum späteren Rückflug, alles in allem ist der Urlaub dann bei vier Wochen Länge mal gerade drei Wochen wirkliche Erholung.

Kann man zuhause ehrlich gesagt schneller haben. Nicht unbedingt besser, aber wenn es ja nur ums Feiern, Trinken und Bräunen geht, reicht Deutschland allemal. Wie gesagt, bei den Kulturfreaks sieht es wieder anders aus. Da muss man schon in die Ferne schweifen.

Ich habe mir allerdings gedacht, heute gibt es mal einen Beitrag zum Thema "Urlaub ganz anders". Vor allem aber ist der Urlaub, von dem ich rede, eine Art Dauerurlaub. Aber dazu gleich mehr.

Die vergangene Woche hat mir wiedermal viel zu viel Zeit gegeben, über die Menschheit nachzudenken. Dass mich jetzt keiner falsch versteht: ich denke nicht pausenlos über die Menschheit nach, gehe aber mit einer gewissen Nachdenklichkeit ans Werk, wenn es um die Menschen im näheren oder weiteren Umfeld geht. Außerdem wundert man sich immer wieder über die Menschheit, nicht nur die, die man kennt oder nur die, die man gar nicht kennt. Es scheint, als gäbe es eine Art Spirale, die sich immer weiter dreht und dabei nach unten gehend immer enger wird.
Vor ein paar Jahren habe ich bereits einen Eintrag in meinem Blog geschrieben über "Die böse Kunst, sich selbst (zu sehr) zu lieben". Und damals dachte ich, dass die Spirale eigentlich ihr Ende erreicht hat und es gar nicht schlimmer werden kann. Ist wahrscheinlich genauso wie bei einem richtig beschissenen Urlaub: wenn das Hotel schlecht ist und das Essen grauenhaft, wird es jawohl obendrein nicht noch die ganze Zeit regnen!

Doch genauso ist es beim Thema "Narzissmus" gekommen. In der vergangenen Woche hatte ich einen wahren "Flashmob" an (ich gebe es ungern zu) hauptsächlich Männern, die meinen Blog gelesen haben. Die Meisten waren voll des Lobes für meine Schreibweise und einige suchten den Dialog zu mir. Dabei kamen dann die unterschiedlichsten Charaktere zum Vorschein. Eins allerdings ist mir aufgefallen: Menschen, die einigermaßen was im Oberstübchen haben, bilden sich darauf furchtbar was ein. Nicht alle und auch nicht alle in einem unerträglichen Maße, aber es hat die Tendenz dahin. Doch das gilt nicht nur für Intelligenz.

Jeder Mensch, der irgendeine Fähigkeit hat, bildet sich früher oder später darauf mächtig was ein. Kaum ein Mensch besitzt heutzutage die Gabe, etwas zu können und nicht zu denken, er hätte das Rad neu erfunden. Und auch ich gebe es zu: ich bin nicht uneingebildet, wenn es um meinen Blog (oder allgemein um meine Art zu schreiben) geht. Immerhin mache ich das Ganze schon eine Zeitlang, habe Erfahrungen gesammelt. Da spielt es dann auch nicht wirklich eine Rolle, ob ich damit den einschlagenden Erfolg habe und ein Angebot einer großen Zeitung kriege, für sie eine Kolumne zu schreiben. Eigentlich braucht es das gar nicht. Denn es gibt von mir zu anderen einen gravierenden Unterschied: für mich ist der eigene innere Erfolg nicht unbedingt davon abhängig, ob ich außen genausoviel Erfolg habe.

Allerdings verhält es sich bei dem Gros der Masse anders, wie ich vor rund einem Jahr feststellen durfte. Damals kaufte ich mir ein Buch in Kanada, dass sich mit dem Thema "Narzissmus" befasste. Es hieß "Die Narzissmus Epidemie" und war von einem Psychologenehepaar, dass beschloss, die Phänomene der amerikanischen Gesellschaft zum Thema "Ichbezogenheit" bzw. "Selbstverliebtheit" zu analysieren. Und zu warnen. Denn die Zustände der jetzigen Zeit geben großen Anlass zur Sorge.

Denn die Legende von Narziss, der von seiner eigenen Schönheit so überzeugt war, dass er sein eigenes Spiegelbild so lange betrachtete, bis er vor Hunger und Durst verstarb, ist heute mehr aktuell als je zuvor. Keine Generation und keine Gesellschaft insgesamt war so selbstsüchtig, von sich überzeugt und arrogant wie die im Jahr 2010 bzw. 2011. Denn nur, weil wir ein Jahr weiter sind, heißt das nicht, dass wir uns von unserem Spiegelbild abwenden könnten. Dafür sorgt nicht nur die Kosmetikindustrie mit Werbekampagnen, die von Photoshop so manipuliert wurden, dass die Models eher wie Androiden aussehen als wie normale Menschen. Oder der Drang der Menschen, immer nach dem neuesten Trend gekleidet zu sein. Den besten Job zu haben, bei dem man mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel Geld verdient. Und nicht zuletzt der Drang eines Jeden irgendwann mal ins Fernsehen zu kommen.

All das macht die Generation Narzissmus aus. Die Narzissmus-Epidemie zeichnet dich dabei durch weitaus mehr Dinge aus. In dem Buch wird der Wahnsinn der Amerikaner beschrieben, in ihrer Selbstverliebtheit alles zu toppen, was bisher dagewesen ist. Und die besorgniserregende Eigenschaft amerikanischer Eltern und der gesamten amerikanischen Gesellschaft, ihren Kindern die Worte "du bist etwas Besonderes" so einzuprügeln, dass die Kinder gar nicht anders können, als von sich überzeugt zu sein. Ob sie nun etwas können oder nicht.

Dabei beschreiben die Autoren auch genau, dass es gar nicht sein KANN, dass jeder Mensch etwas Besonderes ist im Sinne von "Eines Tages wirst du ein Star". Nur haben die Menschen das bereits jetzt schon verlernt. Jeder möchte ins Fernsehen, einmal in die Schlagzeilen (egal ob im Positiven oder Negativen), jeder möchte gesehen werden. Ob er nun etwas kann oder nicht. Ob er es nun verdient oder nicht. Hauptsache, er oder sie wurde einmal in seinem/ihrem Leben gesehen... und das von der ganz breiten Masse. Egal ist bei diesem Phänomen auch, wie die Masse auf die Erscheinung der Mediengeilen reagiert. Denn die sind so stolz auf ihre eigene Anwesenheit, dass sie sich durch nichts davon abbringen lassen, wie wunderbar sie sind.

Wir leben lange nicht mehr in Zeiten von Konkurrenz, auch wenn wir das immer noch glauben. Der Witz ist, dass wir schon in Zeiten von Wettbewerb leben, sogar in ständigem Wettbewerb mit allen Menschen stehen. Nur glauben wir längst nicht mehr daran, dass wir Teil der Konkurrenz sind. Jeder Einzelne bildet sich inzwischen ein, durch sein Aussehen und seine Fähigkeiten an der Spitze der Konkurrenz zu stehen, weit entfernt von jeglichen Kontrahenten. "Keiner kann mir das Wasser reichen!", ist das Credo vieler Menschen. Weitaus mehr, als es sich eingestehen wollen.

Der Wettbewerb fängt dabei schon fast in der Kinderwiege an. Es geht darum, welches Baby das Schönste ist (wovon natürlich die Eltern mehr haben als die Babies selbst) und welches ein potenzielles Wunderkind ist. Jede Mutter, jeder Vater hofft doch heutzutage inständig darauf, einen kleinen Einstein geboren zu haben. Deswegen wahrscheinlich werden auch bereits in der Kindererziehung entscheidende Fehler gemacht, die unbescholtene Kinder zu kleinen Narzissten erziehen. Das wird schon laut Buch allein durch die Babyshirts der heutigen Zeit erreicht, auf denen Titel wie "Kleine Prinzessin" oder "Ich bin hier der Boss" zu lesen sind. Man könnte meinen, dass das nichts damit zu tun hat, dass Kinder zu Narzissten erzogen werden. Allerdings geht die Entwicklung von dort immer weiter mit Sprech-Chören der Eltern zum Thema "Du bist so etwas Besonderes!" "Du bist einzigartig!" und dem ewigen Streben der Eltern, dass die Kinder das dem Rest der Welt zeigen.

Ist das schlecht? In geringen Dosen nicht unbedingt. Aber wenn man zuviel Hustensaft trinkt, geht der Husten davon auch nicht schneller weg. Also sind die Aussichten, mit einem Zuviel mehr zu erreichen, eher schlecht. Das allerdings wird heutzutage nicht gesehen. Es geht nur noch darum, mit seinem Verhalten und seinen Statussymbolen "on top of the world" zu stehen.

Ich sprach von Urlaub und versprach dem Leser eine Art Dauerurlaub. Nun, wir sind mittendrin. Denn wenn wir ehrlich sind: wie oft am Tag denken wir über uns nach, über unsere Ziele, die wir erreichen wollen und über uns... dann nochmal über uns... und wenn uns langweilig wird, denken wir immer noch über uns nach. Es fällt uns doch in einer ichbezogenen Gesellschaft immer schwerer, über etwas anderes nachzudenken. Immerhin: Beispiele über sogenannte Ikonen, die nur leben, um sich selbst darzustellen, gibt es genug.

Natürlich denken die deutschen Leser dieses Blogs, wenn ich mich auf ein amerikanisches Buch, dass sich mit einem amerikanischen Phänomen beschäftigt, dass sie nichts damit zu tun haben. Immerhin sind die Amerikaner doch bekannt dafür, zu übertreiben und weit durchgeknallter zu sein als wir. Leider haben wir Deutschen (neben unserer Unfreundlichkeit) einen entscheidenden Nachteil: mit Vorliebe machen wir alles, was die Amerikaner vormachen. Um cool zu sein! Und meine Güte, sind wir cool, wenn wir Grillen wie beim amerikanischen BBQ oder wenn wir sämtliche unserer Resourcen verschwenden. Denn obwohl wir alle Kinder kriegen, denken wir nicht an unseren Planeten und wie er morgen aussieht, wenn wir heute alles kreuz und quer durch die Lande schmeißen, die Natur zerstören und uns gehen lassen.

"Chillen" nennt sich das im Neudeutschen. Allein die Anglizismen in unserer Sprache zeigen uns auf, wie sehr wir inzwischen von den Amerikanern abhängig sind. Dazu kommen noch die gleichen Klamotten, die gleiche Abhängigkeit von Statussymbolen - und fertig ist der "Amerikaner 2.0". Nun, dabei sind Fortsetzungen oder Weiterentwicklungen des Originals nicht unbedingt besser. Wenn das Original schließlich schon so seine Macken hat, wie kann die Fortsetzung da irgendwie gut werden.

Es ist nicht mehr erstrebenswert, einfach nur ein Europäer zu sein oder zum Land der "Dichter und Denker" zu gehören. Nein, heute wollen alle nach Hollywood! Zumindest insgeheim. Ich sage nicht, dass jeder jetzt durch's Leben rennt und nur noch von Hollywood redet, aber Hand aufs Herz: den Ruhm Hollywoods (und das Geld) hätte inzwischen jeder gern. Oder die Art der Amerikaner, ein Unternehmen aus verbrannter Erde zu erschaffen und damit Multimilliardäre zu werden. Und ja, auch das ist ein Zeichen von grenzenlosem Narzissmus: wo wir früher davon träumten, eine Million im Lotto zu gewinnen, ist es für die, die es bis ins Showbusiness schaffen, erst bei der ersten Milliarde gut. Ob es daran liegt, dass Multimillionäre bewiesen haben, dass man auch mehrere Millionen leicht in den Sand setzen kann?

Keiner fragt sich dabei, woher das ganze Geld kommen soll, dass wir alle wollen. Und keiner stellt sich die Frage, warum wir eigentlich für unser Leben so viel Geld brauchen. Zugegeben: vom Hartz IV-Satz möchte keiner leben, speziell weil erwiesen ist, dass man davon nur sehr schlecht über die Runden kommt. Aber wozu braucht ein Mensch (selbst wenn er verheiratet ist und vier bis sechs Kinder hat) eine Milliarde Dollar (oder Euro, um's noch schlimmer zu machen) in seinem Besitz? Selbst, wenn man möchte, dass seine Kinder für's Leben gut versorgt sind... ist da solch eine Summe nicht eigentlich utopisch?

Vor 50 Jahren hätte wahrscheinlich kein Mensch gewagt, solch eine Geldsumme in den Mund zu nehmen, geschweige dessen daran zu denken, solch eine Summe zu besitzen. Doch anscheinend ist das auch eine weitere Entwicklung dank Narzissmus-Epidemie. Das Spiel um Macht erreicht Dimensionen, dass selbst eine Runde Monopoly und das Kaufen der "Parkstraße" wie ein Witz wirken.

In der Natur des Menschen mag es so sein, dass wir Sicherheit wollen, weil wir rein körperlich gesehen doch sehr angreifbar sind. Nicht nur der Rummel um EHEC die vergangenen Wochen hat das bewiesen. Wir haben einfach keine Waffen am Körper, mit denen wir uns gegen natürliche Feinde wehren können. Eigentlich müssten wir reihenweise von Tigern oder Krokodilen gefressen werden - dank Erfindungen wie Schusswaffen und Messern ist es umgekehrt. Ob ich diese Entwicklung begrüßen soll, ist bei unserem Gedankengut der jetzigen Zeit eher zu verneinen.

Die Frage, bei all dem Urlaub vom Urlaub bleibt: wozu brauchen wir Urlaub? Wir arbeiten durchschnittlich 40 Stunden die Woche (zumindest Festangestellte, die keine Überstunden leisten), haben ein zweitägiges Wochenende, das meistens noch am Stück. Also: warum brauchen wir die Erholung vom Alltagsleben? Sind wir wirklich vom Arbeitsstress überfordert? Oder überfordern wir uns eigentlich in unserem Streben nach der Weltherrschaft selbst?

Das Gefährlichste am Narzissmus ist schlussendlich nur, dass wir meinen, wir könnten die Welt beherrschen... aber schon bei der kleinsten Entscheidung kapitulieren. Wenn wir uns schon beim Ausmisten nicht entscheiden können, ob wir uns von Dingen trennen sollen oder nicht.

Wir verurteilen Systeme wie die Diktatur, in der ein einziger über alles herrscht. Ingeheim träumen wir allerdings davon, wirtschaftlich derart unabhängig zu sein, dass wir uns eine eigene Insel kaufen könnten, auf der wir alleine herrschen. Wie Diktatoren. Ironie, oder nicht?

Nun, die demokratischen Systeme funktionieren nicht grundlos nur über das Miteinander statt über die Alleinherrschaft. Problematisch wird diese Entwicklung inzwischen erst, da auch in der Politik immer mehr gegeneinander statt miteinander gearbeitet wird. Und die wirtschaftlichen Interessen über denen des Volkes stehen.
Gerade deswegen wäre es auch wichtig, dass der Einzelne den Mut beweist, sich nicht immer wie seine Vorbilder zu benehmen. Das gilt für die amerikanischen wie für die politischen. Wer nicht immer danach strebt, die Nummer 1 zu sein und sein eigenes Ego pflegt, kann sich auch darauf konzentrieren, seine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und in Zusammenarbeit mit Anderen etwas zu lernen.

Das gilt inzwischen für die Jungen - aber auch für die Alten! Wir müssen anscheinend alle verdammt viel lernen. Aber zunächst: schönen Urlaub an alle, die jetzt (oder später) fahren. Ich bleib lieber zu Hause. Sonnenbrand steht mir nicht! ;-)

In diesem Sinne - bis nächsten Freitag!

LG Gene

PS: dieser Eintrag war die Einleitung zu einer mehrteiligen Reihe, die den Sommer weniger löchrig machen soll. Ob's klappt, werden wir dann im Herbst wissen. Ansonsten: ein schönes Pfingstfest an alle! :-)

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