Montag, 16. März 2009

Größenwahn lässt grüßen...!

Die letzten Wochen in meinem Blog verliefen (eher unfreiwillig!) etwas ruhig. Ich gebe zu: wenig Zeit und noch weniger Inspiration führen zwangsläufig zum literarischen Tod in allen Sparten. Auch ein Blog ist davon nicht ausgenommen!
Und natürlich - wer kennt es nicht! - eine Sensationsmeldung und schon haben alle (auch die, die eigentlich nichts zu sagen haben) etwas zu sagen. Welches andere Ereignis außer Winnenden könnte uns dazu bewegen, zu schreiben, zu diskutieren. Eine Meinung zu haben oder die Meinung zur Meinung eines Anderen zu haben. Plötzlich haben alle "Lösungsvorschläge" parat, plötzlich weiß jeder, WARUM sich dieses Drama ereignet hat. Aber weiß das wirklich jemand? Wenn wir mal tief in uns blicken, werden wir doch alle nur einheitlich und stumm mit dem Kopf schütteln können, wenn es um die Fassbarkeit der Ereignisse geht - oder mit der Antwort auf die Frage "Wie konnte das überhaupt passieren?"
Aber ganz zu Anfang. Erst einmal ist es immer wieder traurig, wenn ein Ort durch ein einziges, dramatisches Ereignis zu Weltruhm gelangt. Denn mal ehrlich: wer von uns konnte mit dem Ort "Winnenden" überhaupt etwas anfangen bis Mitte letzter Woche? Ich glaube (ganz ohne Eigenstolz auf meine Heimatstadt), dass Trier wesentlich bekannter sowohl deutschlandweit als auch weltweit war als Winnenden. DAS hat sich seit Mittwoch natürlich vollkommen geändert... man könnte sogar soweit gehen zu sagen, die Reaktionen auf Trier werden wohl inzwischen mehr "Wo?" hervorrufen als auf Winnenden.
Betretenes Schweigen, wenn es um Winnenden geht - oder Stammtischparolen, aber das ist bei brisanten Themen nicht wirklich neu. Allerdings, ich persönlich muss sagen: Winnenden ist tragisch - aber überrascht war ich nicht, dass so etwas (mal wieder!) früher oder später passieren MUSSTE. Immerhin: Amokläufe sind nicht neu - sie sind auch nicht wirklich Modeerscheinungen des 21. Jahrhunderts. Es hat schon oft tragische, geplante oder ungeplante Aktionen gegeben, bei denen unschuldige Menschen, die in keiner oder nur entfernter Relation mit dem Täter standen, Opfer wurden.
Trotzdem ist Winnenden tragisch. Wieso eigentlich? Täglich gibt es Meldungen aus aller Herrenländer, wo sich Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und mit sich 10, 20, 50 Unschuldige in den Tod reißen. Viele Menschen sterben dort aufgrund von religiösem Fanatismus, aufgrund der Hoffnung der Täter, dadurch ins Paradies zu kommen und zwei Dutzend Jungfrauen vernaschen zu können. Und egal, wie schlimm diese Taten sind: sie haben in den Nachrichten nicht mehr Raum als für eine Kurznews von max. 30 Sekunden. Und Winnenden? Es scheint, als würde kein Mensch mehr über etwas Anderes reden in den letzten 6 Tagen. Aber warum? Im Gegensatz zu Tausenden Toten im Irak, im Gazastreifen und anderen Kriegsgebieten sind es ja "nur" 16 Tote.
Zugegeben: es sind 16 DEUTSCHE Tote, das erhöht für unser Land die Dramatik schonmal gewaltig. Allein die gleiche Staatsbürgerschaft löst bei uns allen kollektive Betroffenheit aus. Dann noch die Tatsache, dass die meisten Opfer Jugendliche waren, die noch potenziell mindestens 50 Jahre auf Erden hätten verbringen können (ob sie es dann auch wirklich getan hätten, interessiert nicht wirklich) - und fertig ist der "Trauercocktail" Deutschland in dieser Woche.
Es soll mich keiner falsch verstehen: ich verhöhne nicht die Opfer, ich verharmlose die Tat auch nicht - ich sage nur, wie es ist: Opfer von Selbstmordattentaten erhalten von uns weit weniger Solidarität oder Trauerbekundungen als die Opfer des Amoklaufs von Winnenden.

Warum ist das so? Vielleicht liegt es auch am Alter des Täters. Ein 17jähriger, der schließlich auch noch sein Leben vor sich gehabt hätte und damit auch sich selbst sämtliche Optionen genommen hat, sein Leben sinnvoll zu nutzen. Vor allem wird aber das Alter des Täters die Frage aufwerfen: wie kann in solche einem jungen Alter so viel Gewalt entstehen?

Und genau DAMIT ist die Frage falsch gestellt! Denn nicht die Frage, wie soviel Gewalt entstehen kann ist richtig, sondern eher die Frage, wie Gewalt in dem Alter bei den Vorzeichen und Symptomen der heutigen Gesellschaft NICHT entstehen kann.

Es ist selbstverständlich verwerflich, wenn ein junger Mann mit 17 Jahren zur Waffe greift und wild um sich schießt. Die Diagnose hat Deutschland auch schon einige Stunden nach dem Attentat gestellt: er war psychisch labil, in Therapie - da konnte ja nix Anderes aus ihm werden. Also sobald man einen "an der Klatsche" hat, greift man zum Gewehr und fängt an zu ballern. Wenn es doch mal so einfach wäre... ich glaube, dann hätten wir längst nicht mehr so viele Menschen auf diesem Planeten.

Unbestreitbar an diesem Fall ist doch, dass die Eltern einen großen Teil Mitschuld an der Tragödie tragen. Wie kann man seinen Sohn im minderjährigen Alter aktiv an die Waffe bringen und ihm beibringen, wie man möglichst gezielt menschliches Leben auslöscht? Bei mir stellt sich dann mehr die Frage, was sich der Vater bei der Aktion gedacht hat, als schlussendlich der Sohn bei der Tat. Klar, vielleicht wurde der Täter gemobbt, vielleicht hat er sich unverstanden gefühlt, vielleicht war er depressiv und psychisch angegriffen (was die Eltern nur zu gerne bestreiten, da der Vater einer strafrechtlichen Anklage entgehen will...). Aber die Motivation des Vaters, den Sohn im Glauben zu erziehen, ein gewalttätiger Akt mit der Waffe sei erstrebenswert ist nicht das, was ich für eine "pädagogisch wertvolle" Kindererziehung halten würde.

Natürlich hat der Vater nicht die Intention verfolgt, seinen Sohn zum Amokschützen zu machen. Und doch: in der heutigen Zeit, ist es da noch wirklich sinnvoll, ein Kind an Waffen zu gewöhnen und ihm den Gebrauch (und sei es "nur" im Schützenverein) zu erlauben? Die Kinder der jetzigen Generation wachsen schließlich durch viele Faktoren auf, die eigentlich die gesamte Gesellschaft auf ein explosives Pulverfass setzen - und die Kinder halten die Lunte und das angezündete Streichholz in der Hand.

Ein Kind, dass vorlieblich mit dem Credo "Gewalt macht Spaß!" und das egal unter welchem Gesichtspunkt aufwächst, kann doch gar nicht anders, als den Gebrauch einer Waffe als "cool" zu bezeichnen. Bestes Beispiel: Computerspiele! Nun wehren sich viele Kinder und Jugendliche derzeit dagegen, dass diese Spiele einen Menschen zum Amokläufer machen. Natürlich, ein Computerspiel der Sparte "Egoshooter" MUSS nicht zur Gewalt animieren - genau wie eine Zigarette NICHT zwangsläufig zum Lungenkrebs führt. Aber seien wir ehrlich: wieviele Raucher erkranken an Lungenkrebs im Gegensatz zu Nichtrauchern? Und wieviele Alkoholiker erkranken nach Jahren an Leberzerose? Ein Computerspiel mag noch nicht den Attentäter machen - aber eine Lunte brennt ja auch nicht ohne Feuer. Vielleicht ist das Computerspiel für den Jugendlichen, was das angezündete Streichholz für die Lunte ist: man kann das Streichholz in sicherer Entfernung halten oder ausblasen - aber man kann es auch an die Lunte halten und abwarten, was mit dem Dynamit geschieht.

Ein Mensch wird nicht gewalttätig durch Computerspiele... oder doch? Ich denke schon. Zumindest macht der ständige exzessive Gebrauch von Computerspielen aggressiver. Dass man deswegen nicht zwangläufig zur Waffe greift, ist wohl klar! Aber trotzdem: Jugendliche haben weitaus weniger Feingefühl, sie empfinder die Welt roher, kreischender und weniger liebevoll als noch VOR der Zeit der Egoshooter und Pornovideos, die exklusiv bei Jamba und Co. runtergeladen wurden.

Vor Kurzem durfte ich (passend zum Thema) eine Sendung verfolgen, in der es um die Verrohung der Jugend ging. Dort wurde gesagt, dass die Jugendlichen heutzutage im Verliebtsein weitaus weniger küssen, als in früheren Zeiten.. .warum? Die Erklärung ist relativ simpel: die Sexualbildung der Jugendlichen erfolgt nunmal weitestgehend über die Pornografie - und in diesen Filmen wird so ziemlich alles dargestellt. Außer der Zärtlichkeit zwischen zwei Menschen, dem Küssen, dem Streicheln... der wichtigste Akt für Jugendliche ist die "Rein/Raus"-Bewegung. Und DAS macht Sexualität für die Jugend. Schöne Vorstellung, oder?

So denke ich auch, wenn Jugendliche auch weiterhin sich meistens mit dem Computer, der Virtualität des Nets und dem Chatting beschäftigen, Sexualität über Webcam und die Pornografie lernen und eher wissen, wie ein "Gangbang" vonstatten geht als ein Zungenkuss, dann sind wir in der "raw community" Deutschland angekommen. Ich frage mich manchmal, wohin diese Entwicklung noch führen soll. Dürfen wir in späteren Jahren überhaupt noch auf die Straße gehen, ohne angepöbelt oder verprügelt, zumindest aber bedroht, zu werden? Können wir noch gemeinschaftlich leben oder geht es nur noch darum, sich möglichst schnell und möglichst laut gegenseitig fertigzumachen. Dazu Drogen und Alkohol, die gerade dadurch reizvoll sind, dass sie verboten sind und bei denen immer wieder nach "Legalisierung und Konsumerlaubsnis im Überfluss" geschrieen wird... manchmal denke ich, die Jugendlichen möchten nach Möglichkeit gar nicht mehr arbeiten - nur der "Spaßfaktor" (oder was sie darunter verstehen) gehört in die heutige Zeit und in das ideale Lebensgefühl. Arbeiten, Lernen, Erfahrungen ziehen? Wer braucht das schon, wenn man sich angenehm die Birne zudröhnen und wegdriften kann? Und wer wegdriftet, verliert die Kontrolle - handelt unüberlegt und möchte am nächsten Tag am Liebsten für seine Tate nicht verantwortlich gemacht werden. Schließlich geschahen die Handlungen ja ohne Bewusstsein, man ist sich keiner Schuld bewusst, also darf man ausflippen, prügeln, schreien - und auch töten. Klingt entsetzlich, es scheint aber mehr "en vogue" zu sein, als wir uns alle eingestehen wollen!

Das Credo der Neuzeit lautet wohl in allen Generationen und allen Schichten "Wer am Lautesten - vor allem aber als Erster - schreit, hat grundsätzlich Recht!" Wahrscheinlich wird auf diese Weise auch die Rechtsprechung so geschehen. Wer möchte schließlich sich noch die Zeit nehmen, eine Rechtssache in die Details zu zerpflücken und besprechen? Der laute Schreier lässt sich sowieso nicht davon überzeugen, dass er unrecht hat. Und ehe er mit dem Maschinengewehr zurückkehrt, retten wir Leben und lassen es auf die miserable Tour in der Ecke verrotten, indem wir das Leben des Anderen retten, ihn aber schuldig sprechen - ganz im Sinne des Schreiers.

Schreckliche Aussichten? Wahrscheinlich wird die Realität noch grausamer sein. Denn wer hätte schon vor zehn Jahren Amokläufe an Schulen prognostiziert? Und genauso sieht es mit der Zukunft aus - erwartet das Schlimmste... denn dann werdet ihr nicht enttäuscht, wenn alles noch schlimmer kommt.

In diesem Sinne eine schöne neue Woche an alle treuen Leser - eine virtuelle Gedenkminute (ohne Gästebuchkerzchen) an alle Opfer des Amoklaufs von Winnenden und tief empfundenes Mitleid für die Familien und Freunde der Opfer.

LG Gene

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