Freitag, 2. September 2011

Die Wende: Europa's Neugeburt als Bananenrepublik

Der gestrige Tag war wohl der Stichtag, an dem wir alle schonmal ein wenig in die Zukunft blicken durften. Lasst euch nicht beirren, man meint zwar, in Zeiten von langfristigen Wettervorhersagen und Wahrsagern auf drittklassigen Kanälen wäre das kein Phänomen mehr, aber es ist doch sehr selten, dass wir wirklich die Zukunft sehen. Natürlich ist es kein persönlicher Blick in die Zukunft (eher ein gesamtgesellschaftlicher), aber in der heutigen Zeit ist das doch besser als nichts. Wir leben schließlich viel zu oft im Ungewissen, ob es nun um Naturkatastrophen oder Spekulationen an der Börse geht.

Was genau gestern passiert ist, wollt ihr wissen? Nun, gestern wurde eine neue Republik ins Leben gerufen, die "Vereinigten Staaten von Europa". Allein der Name, einfallsreich wie die ganze Idee: da wird einfach aus den "Vereinigten Staaten von Amerika" eine europäische Version gemacht. Und wozu das Ganze? Wahrscheinlich, weil Europa denkt, dass das nordamerikanische Modell so gut funktioniert.

Nun, so einfach ist es ja nicht - Deutschland wird nicht geschluckt und zusammen mit allen anderen Mitgliedern der Europäischen Union zu einem neuen Europa zusammengeschweißt. Die Bezeichnung ist doch mehr eine, die lyrisch als wörtlich zu verstehen ist. In den "Vereinigten Staaten von Europa" rücken die europäischen Staaten einfach dichter zusammen. Dass das nötig ist, sollte dem Beobachter schon lange klar sein, immerhin leben wir in Zeiten von Staatspleiten, die häufiger vorkommen als Hurricaines in Nordamerika.

Mit Griechenland fing im Frühsommer 2011 alles an, danach folgten dann wie umfallende Dominosteine Portugal, Irland, Spanien und Italien. Alle stecken in der Krise - oder sind bereits über die Klippe der Staatspleite gesprungen. Eine Lösung folgte auf dem Fuße: der Rettungsschirm der Europäischen Union, ein Solidaritätsprinzip, bei dem finanzkräftigere Staaten finanzschwachen aus der Klemme halfen. Griechenland bekam gleich zwei dieser Finanzspritzen, weil absolut nichts mehr funktionierte und eine Staatspleite in Griechenland finanzpolitisch für alle europäischen Staaten den SuperGAU bedeutet hätte.

Naturgemäß neigt der Mensch dazu, für eine Gabe eine Reaktion zu erwarten. So auch im Fall Griechenland; nachdem jetzt gestern bekannt wurde, dass Griechenland das Ziel, die Staatsdefizite auf 7,5 bis 7,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu halten, um glatte 1,3 Prozentpunkte nach oben verfehlt werden wird, ist der Katzenjammer auf allen Seiten groß. Die Griechen hatten sich dazu verpflichtet, für die milliardenschweren Rettungsschirme ein Sparprogramm zu verabschieden, dass sie so schnell wie möglich aus der Schuldenkrise herausreißen würde. Der Schuss ist wohl nach hinten losgegangen, Griechenland kann seine sich selbst gesteckten Ziele nicht erreichen und wieder steht Europa vor unlösbaren Problemen. Was ist nun auf Dauer zu tun gegen die Schuldenkrisen der einzelnen Staaten? Wie ist der Euro (9 Jahre nach seiner Geburt) zu retten? Wird er noch die Erstkommunion erleben? Darf er noch in zwei Jahren aufs Gymnasium? Oder droht ihm doch die Euthanasie aufgrund schwacher Hirn- und Vitalfunktionen?

Fragen über Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt: die Vereinigten Staaten von Europa! Da speziell wir Deutschen immer die Amis bewundert und in jedem Blödsinn nachgeahmt haben, warum nicht auch in der Bezeichnung für die neue Bananenrepublik, in die alle europäischen Gewinner- und Verliererstaaten mit einsteigen?

Probleme entstehen in der Sache nur durch die Tatsache, dass die USA ihren Vorbildstatus bereits vor Jahren, wenn nicht seit über einem Jahrzehnt, verloren haben. Die Krise der Vereinigten Staaten von Amerika spitzte sich in den zwei Amtszeiten von George W. Bush junior richtig zu. Nachdem dieser von Bill Clinton den amerikanischen Haushalt mit einem Plus (!) übernommen hatte, kam es durch fatale Steuersenkungen für Superreiche und Kriegseinsätze im Kampf gegen den Terrorismus zur atomaren Geldexplosion im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Nach Afghanistan und dem Irak war das Land so tief in der Schuldenkrise, dass George Dabbelju wohl nur zu gerne seine Koffer packte und das Weiße Haus verließ. Nicht nur wegen der Tatsache, dass er für keine dritte Amtszeit kandidieren durfte, sondern weil die USA gar nicht mehr tiefer in der Geldschei*e stecken konnten wie 2008.

Und dann kam er - Barack Obama. Der Inbegriff eines Gutmenschen, der Messias der Neuzeit, die Rettung für das vom Texasidioten ruinierten Land. Dass Obama ein Schwarzer war, gab der Wirkung des "Neuzeit-Messias" noch mehr Gewicht. Prompt wurde er nicht nur begeistert gewählt und der Slogan "Yes we can!" brannte sich in die Herzen der gesamten westlichen Weltbevölkerung, nein, er bekam gleich darauf noch den Friedensnobelpreis. Nicht, dass er bis dahin großartig etwas geleistet hätte, aber immerhin hat er einen "Geist" heraufbeschworen: den Geist des motivierten Anführers, der keine diktatorischen Hintergedanken hatte, sondern nur ein ganzes Volk in den Wohlstand und das Glück führen wollte.

Das ist jetzt zwei Jahre her. Und die Vereinigten Staaten? Stecken tiefer in der Krise als je zuvor. Dank der Mehrheit im Repräsentantenhaus der Republikaner und der genialen Erfindung der Tea Party hat Obama noch weniger Chancen als am Anfang, die USA zu ihrem wohlverdienten und immer wieder erträumten Happy End zu führen. Der Bevölkerung der USA geht es dermaßen dreckig, dass die Arbeiterschicht kaum überlebt, im privaten Schuldenkrieg immer mal wieder erstickt, Häuser enteignet werden, selbst drei Jobs parallel nicht mehr ausreichen, um sich und die eigene Familie zu ernähren.... und die Superreichen immer weniger Steuern bezahlen.

In dieser Phase drängt sich ein einfacher Vergleich auf: obgleich die USA in der Vergangenheit als Supermacht immer eine Vorbildfunktion hatten (auch für Deutschland), sind sie von der Gründungsphase her wesentlich jünger als Europa; also sind die USA quasi das Kind und Europa der weise, alte Vater. Und so prickelnd die Methoden des jungen Amerika auch sein mögen, die Weisheit der Europäer müsste theoretisch überwiegen. Da wir aber im Leben eher nach Praxis als nach Theorie denken, fühlen und handeln ist es eben umgekehrt. Die USA scheinen uns immer noch als Vorbild zu gelten, die Superreichen zahlen auch hier immer weniger Steuern statt mehr, die Armen wissen nicht mehr, wie sie ihren Lebensunterhalt finanzieren sollen. Nur die Gesundheits- und Sozialreform funktionieren in Deutschland noch besser als in den USA.

Trotzdem ist es erschreckend, wie weit Europa geht, um mit dem Verliererprinzip der USA Schritt zu halten. Auch wir wehren uns gegen Steuererhöhungen, auch wenn sie bei 2 Billionen Euro Staatsdefiziten bitter nötig wären, stattdessen setzt unsere schwarz-gelbe Biene Maja-Regierung die Steuersenkung durch. Selbst Superreiche, die höhere Steuern bezahlen wollen, werden nicht ernstgenommen und im nächsten Moment entlastet. Es klingt schon fast bösartig, wie die Regierung sich selbst ins eigene Fleisch schneidet. Hat es mit einem gewissen Lust-aus-Schmerz-Prinzip der Regierung zu tun? Oder liegt es nur daran, dass diese Entscheidung ausschließlich dem Volk, aber nicht ihnen selbst weh tut?

Nun haben sich die europäischen Staaten entschlossen, sich solidarisch zu den Vereinigten Staaten von Europa zusammenzuschließen. Es geht nicht darum, jetzt als eine komplett durchgeknallte Bananenrepublik gegen die Andere (die USA) anzutreten, sondern um das Zusammenwachsen der europäischen Staaten zu einer "starken Gemeinschaft" - klingt fast wie Versicherungswerbung. Zuversichtlich, hoch optimistisch - und trotzdem alles ziemlich großer Mist! Denn eine Solidarisierung untereinander mag zwar die verschuldeten Staaten Europas unterstützen, doch kann es auch den Euro retten? Wird dieses Zusammenwachsen wirklich dazu führen, dass Europa weiterhin als wirtschaftliche Größe im Weltgeschehen erscheint?

Der Kampf gegen die neuen Supermächte China und Indien ist denkbar schwer, weil deren Motoren dank Billigkräften so heiß laufen, dass die Hitze wie ein tropisches Gewitter bis zu uns hinüberzieht. Und wir? Wir machen es wiedermal wie die USA und glänzen mit genau dem Gegenteil: der Wille zur Arbeit rein aus Solidaritätsgründen fehlt, es geht immer nur um den größtmöglichen eigenen Vorteil. Ein Mensch, der hart arbeitet, möchte dafür nicht nur gerecht, sondern am Besten königlich entlohnt werden. Dafür wird gelernt, studiert, wieder gelernt und danach noch mehr studiert. Die Generationen, die die Zukunft gestalten sollen, bestehen zu einem Großteil aus einer studierten Elite, bei der keiner einsieht, zur Arbeiterschicht zu gehören.

Im Prinzip sind wir als Gesellschaft wie ein Ameisenvolk: es gibt die Arbeiter, die Soldaten und die Königin, die für den Nachwuchs sorgt. Die Elite gehört dort zu einem sehr kleinen Teil, die von der Produktivität einer großen Masse lebt. Doch die Relationen haben sich beim (vermeintlich klügeren) Menschen längst verschoben, die Pyramide wird auf den Kopf gestellt: nun wächst der Anteil der Elite so stark an, dass keiner mehr zur Arbeiterschicht mehr gehören will. Selbstverständlich wird das Arbeiterleben durch zu niedrige Löhne so unattraktiv wie möglich gemacht, aber seien wir mal ehrlich: was wird aus einer Gesellschaft, in der sich keiner mehr die Hände schmutzig machen will, in der alle nur noch am Schreibtisch sitzen und managen wollen?

Nicht jeder Mensch kann zur Elite gehören, auch wenn die Politik uns gerne dieses Märchen verkaufen möchte. Es kann in einem Unternehmen auch nicht mehr als eine Handvoll Manager geben, die das Schicksal von mehreren Hundert oder Tausend Mitarbeitern regeln. Auch wenn die Gesellschaft inzwischen so übergebildet ist, dass auf einen Arbeiter am Besten ein Manager kommen. Klar, als Manager verdient man gut Geld - aber muss jeder Mensch in dieser Gesellschaft reich werden? So viel Geld wird es nie geben, dass jeder Mensch in einer Gesellschaft reich sein wird. Und Staatsschulden zahlen sich auch nicht von allein.

Griechenland, Portugal, Irland und Spanien sind nicht die einzigen Länder, die tief im Schuldensumpf stecken. Auch Deutschland und Frankreich könnten in naher Zukunft zu den Ländern gehören, die die weiße Fahne schwingen und vor der Schuldenflut ihres Landes kapitulieren müssen. Diese Woche noch ist Finanzminister Schäuble zuversichtlich, dass wir 2014 keine Neuverschuldung mehr brauchen und damit einen "glatten" Haushalt zustandebringen. Problem ist nur, davon werden unsere Schulden auf Dauer auch nicht bezahlt! Mit 2 Billionen Euro steht Deutschland in der Kreide - jeder Bürger dieses Staates hat zur Zeit bereits bei der Geburt knapp 20 000 Euro Schulden. Der Finanz-Kabarettist Chin Meyer hat wohl Recht: bei dieser Summe sollte sich das Kind mehr als zweimal überlegen, ob es überhaupt geboren werden will!

Ich versprach dem Leser einen einmaligen Blick in die Zukunft am Anfang. Also, was wird uns 2012 erwarten? Zunächst die Geburtsstunde der "Vereinigten Staaten von Europa", wie großmundig angekündigt. Die Flagge in Berlin ist schon von deutsch auf europäisch umgehisst, wahrscheinlich ist insgeheim die Merchandise-Produktion für alles vom T-Shirt bis zum Wecker in blau mit gelben Sternchen in vollem Gange. Es soll eine Vereinigung in Europa stattfinden, allerdings sollen die wirtschaftlichen und sozialen Belange weiterhin fest in der Hand jedes einzelnen Staates bleiben. Deswegen wird aus einem schwachen Griechenland auch kein plötzlich starkes Euro-Griechenland.

Vielleicht soll nur nach außen hin die Fassade eines Euro-Goliaths aufgebauscht werden, damit der Rest der Welt Europa überhaupt noch als Wirtschaftsmacht für voll nimmt. Der Status, den das alt ehrwürdige Europa einmal inne hatte, hat es lange verloren. Jetzt gilt es nur noch um mehr Schein als Sein. Darin unterscheiden sich die Regierung wenig bis gar nicht von den Bevölkerungen, die sie leiten.

Allein von diesen Gesichtspunkten aus gesehen dürfte 2012 ein interessantes Jahr werden - der Kampf der Bananenrepubliken gegen die Schuldenlast mit gleichzeitger Untüchtigkeit aller Beteiligten. Wie die Vereinigten Staaten von Europa wie Amerika ihre Krise bewältigen und die Menschen nachhaltig motivieren wollen, dürfte ein interessantes Schauspiel werden. Dazu gehört allerdings mehr als ein "Yes we can!" oder das über Bord werfen von Teekisten. Solange Reiche darum betteln müssen, dass sie mehr Steuern bezahlen dürfen, läuft irgendetwas falsch - egal, ob in Deutschland oder in Amerika.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein angenehmes Wochenende. Bis zum nächsten Freitag.

LG Gene :-)

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