Freitag, 9. September 2011

Und täglich grüßt "9/11" - 10 Jahre danach

Nun, es gibt wohl kein Thema derzeit, das (wieder einmal) so breitflächig diskutiert wird wie der 11. September 2001. Der Tag, von dem die Leute heute behaupten, er habe "die Welt für immer verändert". Inzwischen ist es wie in einem Hamsterrad: wenn wir nicht von der Wiedervereinigung Deutschlands sprechen, sprechen wir über die Historie New Yorks - bzw. wie sie sich nachhaltig seit "9/11" verändert hat.

Der Schreckenstag, der die ganze westliche Welt für immer aufrührte, ereignete sich in zwei Tagen vor genau 10 Jahren. Eine ganze Dekade ist seitdem vergangen und die Kinder, die im gleichen Jahr geboren wurden, sind inzwischen schon fast in der Lage, als halbwegs mündig bezeichnet zu werden. Okay, es ist noch nicht ganz so schlimm, ein 10jähriges Kind wird kaum wirklich mündig sein. Aber wenn die Zeit eins gezeigt hat, dann dass ein Ereignis, egal wie schwerwiegend es auch sein mag, die Welt nicht zum stehenbleiben bringt. "Time moves on" sagt man dazu im Englischen - doch lange Zeit hat Amerika versucht, als Weltmacht Nr. 1 dem Rest der Welt durch Solidaritätsforderung genau das Gegenteil abzuverlangen.

Auch in Deutschland waren die Menschen mehr als schockiert durch die Zerstörung des World Trade Centers und Pentagons, bei der mehr als 3000 Menschen ihr Leben verloren. Nicht, weil wir im Herzen alle Amerikaner sind, sondern weil die Anschläge der gesamten westlichen Welt aufzeigte, dass Reichtum, Wohlstand und eine gute Organisation nicht unverwundbar machen. Wir werden durch eine durchstrukturierte Gesellschaft nicht immun gegen Terrorismus, Gewalt und dem bösen Willen einiger Menschen. Für die radikal islamische Welt ist Osama bin Laden wahrscheinlich die Paradefigur, wenn es darum geht, dem Westen aufzuzeigen, wie machtlos die friedliebende Welt des Kapitalismus gegen Hassprediger, die zur Waffe greifen, sind. Und für den Westen ist Osama bin Laden nach Hitler die Schreckensfigur schlechthin.

Jedes Jahr werden uns die Bilder der Flugzeuge, die in die zwei Türme des WTC hineinfliegen, immer und immer wieder gezeigt, aus allen möglichen Blickwinkeln, in denen die Katastrophe gefilmt wurde. Wahrscheinlich macht auch dies den Reiz und gleichzeitigen Schrecken des 11. September 2001 aus: keine Katastrophe zuvor wurde so intensiv und hautnah gefilmt und dokumentiert wie diese. Natürlich gab es Katastrophen danach, die einem ähnlichen Phänomen folgten (die Flutkatastrophe am Boxing Day 2004, der Tsunami in Japan 2011, der Zerfall des Irak unter der Diktatur Saddam Husseins). Aber wie wir alle wissen, für eine Marke gibt es nur ein Original und unter den Katastrophen der Neuzeit wird 9/11 immer an erster Stelle stehen.

"Siegfried wurde an seiner Archillessehne getroffen!", so könnte man grob die Anschläge des 11. September auf die USA beschreiben. Zuvor galten die Vereinigten Staaten von Amerika als die Supermacht schlechthin und das World Trade Center war der Inbegriff für Kapitalismus und Profitgier. Nun hat bin Laden gemeint, mit den Anschlägen die Heuchelei des Kapitalismus zerstören zu wollen, allerdings war bin Laden selbst dem Kapitalismus alles andere als abgeneigt. Terrorismus will schließlich auch irgendwie finanziert werden! Dafür verbündet sich der islamische Extremist auch mal gerne mit dem gleichen Kapitalismus, den er zu zerstören versucht. Vielleicht geht das unter der Prämisse, dass etwas nachhaltig nur von innen heraus zerstört werden kann... oder die al Qaida gehört zu einer weiteren Truppe von Lügnern, die unter dem Deckmantel von verzerrter Religion ihre eigenen Ziele ohne Rücksicht auf Verluste (dafür aber mit einer zu gehirngewaschenen Idioten rekrutierten Gruppierung) durchsetzen möchte.

Keines der Bilder von damals wird den Leuten je wieder aus den Köpfen gehen - dafür sorgen allein sämtliche Fernsehsender auf diesem Planeten. Ein anderes Bild, das uns nie aus den Köpfen gehen wird, ist George W. Bush, der wohl "fähigste Präsident aller Zeiten" (Zitat republikanischer Hardcoreanhänger), wie er auf einer Bühne vor Schulkindern sitzt und gerade von einem Berater die Nachricht der Terroranschläge erhält. Der anschließende, absolut leere Gesichtsausdruck der "politischen Puddingschnecke" wird wohl in die Geschichte eingehen als sinnentleertester Gesichtsausdruck eines Politikers in einer Krisensituation. Nun, Gott sei Dank, er fing sich auch wieder. Man fragt sich nur immer noch, ob die Richtung die richtige war. Auch wenn die Staatsoberhäupter sämtlicher Solidarstaaten einem Militäreinsatz in Afghanistan zugestimmt hatten, bleibt die Ungewissheit, ob 10 Jahre später die Welt wirklich eine bessere geworden ist. 25 Jahre lang hatte in Afghanistan das Talibanregime regiert, dann kam der Superheld "USA" und setzte sich für die Demokratisierung ein. Was in Wirklichkeit allerdings geschah, war die Verschiebung der Talibantruppen in die Berge Kaschmirs, weiterhin geschützt von der pakistanischen Regierung... und nichts hat sich wirklich geändert. Afghanistan ist weiterhin eine mehr schlechte als rechte Demokratie und der Westen zittert immer noch vor der Al Qaida.

Die Schachpartie scheint auf einen patt hinauszulaufen. George W. Bush reagierte in seiner Kriegswut auf den Angriff auf Amerika wie die texanische Axt im Wald, griff nach Afghanistan auch den Irak an aufgrund des Verdachts, Saddam Hussein sei der nächste, der die westliche Wohlstandswelt durch Massenvernichtungswaffen zerstören wolle. Im Nachhinein wissen wir natürlich alle, dass das nicht wahr ist - doch die Toten, die dieser Krieg gefordert hat, allein die 6000 gefallenen amerikanischen Soldaten im Afghanistaneinsatz sind ein Preis, der weitaus höher war als die Fleischwunde dicht neben dem Herzen, die New York durch 9/11 widerfahren ist. Und dies ist nur eine Zahl in einer Spirale aus einer Masse von Toten, die weder die Opfer des 11. September wieder lebendig macht, noch irgendeinen Sieg für das amerikanische Volk repräsentiert - zumindest sollte sie das nicht.

Spätestens der Tod Osama bin Ladens im Mai 2011 hat jedoch in den Köpfen der Amerikaner eine Gerechtigkeit geschaffen, obwohl jeder weiß, dass der Tod eines Mannes nie die Befriedigung für den Westen geben kann, wie es die Opfer im World Trade Center für die Taliban waren. Die Nachhaltigkeit wird allerdings wohl immer den Terroristen zustehen, denn die Aktion "11. September" war nicht nur die überraschendere und damit schmerzhaftere, sie forderte auch mehr Opfer auf der Seite der Amerikaner. Und bin Laden? Der ist schneller ersetzt als der Chef des IWF.

Und täglich grüßt 9/11 derzeit - und dabei läuft weder zum Aufwachen "I got you babe" von Cher und Sonny Bono, noch sieht ein Murmeltier (geschweige denn ein Anführer der Taliban) beim Herauskommen seines Unterschlupfs seinen Schatten! Die Intensität der Berichterstattungen sind zwar detailliert und immer wird darüber reflektiert, wie es in Zukunft mit uns allen weitergehen soll (als stünden wir immer noch vor dem Haufen Trümmern beim Ground Zero), doch wirkliche Antworten gibt es nicht. Es kann sie kaum geben, denn die Gräben sind auch 10 Jahre nach den Anschlägen tief zwischen der islamisch geprägten Kultur in der Mittelostwelt und der christlichen Prägung des Westens. Ganz im Gegenteil haben der Anschlag in New York und Washington, die darauf folgenden Kriegseinsätze und wiederum neue Anschläge als Gegenwehr der Al Qaida und ihren Anhängern die Gräben so groß werden lassen wie die Entfernung zwischen zwei Planeten.

Die Symbolträchtigkeit des 11. September in diesem Jahr lässt die Terroristen auch dieses Mal nicht still auf ihren Plätzen verweilen. Es wird mit neuen Anschlägen in New York City gedroht, gestern sind nun passenderweise in Berlin zwei Terrorverdächtige festgenommen worden, die zumindest mit mehr Salzsäure und anderen Chemikalien "experimentierten", als dem Rest der Bevölkerung gut tun mag. Das schlechte Gewissen der Deutschen ist sowieso ein tiefer, schwarzer See, denn die Attentäter des 11. September 2001 hielten sich lange Zeit in Deutschland auf und konnten im Untergrund ihre Ideologien und Vorstellungen vertiefen, die Taten minutiös vorbereiten... womit Deutschland wiedermal ein Schwarzer Peter zugeschoben werden konnte, wenn auch ein vergleichbar kleiner gegen den, den sie wegen Hitler einstecken mussten.

Seitdem ist Deutschland bemüht, gegen den Terrorismus zu kämpfen, allerdings mit humaneren Methoden als es Amerika in seiner verletzten, geschändeten Seele tut. Laut Innenministerium werden zur Zeit mehr als 1 800 "Verdächtige Personen" im Kampf gegen den Terrorismus ständig überwacht. So gelang wohl auch der jetzige Schlag gegen die beiden jungen Männer (einem Deutschlibanesen und einem Mann aus dem Gaza-Streifen). Aber auch wenn dieser Erfolg beruhigen mag, die Ungewissheit über die Sicherheit in unserer Gesellschaft bleibt. Ich persönlich bin nicht so vermessen zu denken, dass es hier am 11. September einen Terroranschlag geben wird. Größer als die Angst vor einem Terroranschlag ist meiner Meinung nach nur die Gewissheit, dass durch die Radikalisierung des Islam und ihre immer größer werdende Anhängerschaft die Menschen sich immer weiter vom Ziel "Weltfrieden" entfernen werden. Schlimmer noch: wir werden auf Dauer von Grund auf mißtrauisch, jeder Mensch, dem wir begegnen, wird ein potenzieller Terrorist sein - und das allein auf Basis von verdrehtem, übersteuerten Glauben und grundverschiedenen Lebensphilosophien.

Ich persönlich gehöre nicht dem Islam an, bin damit in den Augen der Al Qaida wohl ein Frevler, der die Ehre der Religion beschmutzt. Und da der Islam eh die einzig wahre und richtige Religion ist, werden die Westorientierten und ihr fast nicht vorhandener Glaube Radikalreligiösen immer ein Dorn im Auge sein. Doch wohin wird uns dieser Konflikt in Zukunft führen? "Nur" zu weiteren Anschlägen, die hunderte oder tausende von Zivilisten das Leben kosten? Oder wird die Al Qaida und ihre Splittergruppierungen noch weiter gehen, eine Blutrevolution gegen den Rest der Welt starten? Und wozu wäre das genau gut?

Wie ich schon sagte, bin Laden wollte den Kapitalismus an der Archillesferse treffen, er selbst war allerdings dem Kapitalismus gar nicht abgeneigt, wie auch die anderen Anführer mit Dikatutstrukturen im Kopf. Der wunde Punkt dieser Leute besteht schlicht darin, dass sie eifersüchtig sind auf den Wohlstand der anderen und ihn an sich reißen müssen - da Geschäftsfähigkeit und Cleverness zu anstrengend sind, wird mit vorgehaltener Waffe (oder gezündetem Sprengstoffgürtel) in die Verhandlungen gegangen. Wobei betont werden muss, dass sie den Sprengstoffgürtel nicht selbst tragen - fast wie bei erfolgreichen Kapitalisten hat man auch als Terrorist immer jemand, der für einen die Drecksarbeit macht.

So falsch war der Vergleich von Michael Moore zwischen den Terroristen und profitgeilen Kapitalisten gar nicht, denn ihr Ziel war immer das Gleiche: Reichtum und Macht. Die Arbeitsweisen sind nur anders (ob sie auf irgendeiner der beiden Seiten legal sind, sei mal dahingestellt!). Selbst die Zerstörung von Menschenleben kann nicht als Unterscheidungsmerkmal aufgeführt werden, denn wie wir alle wissen neigen auch profitgierige Kapitalisten zur Vernichtung von Menschenleben - wenn auch eher auf Basis der Existenzgrundlage. Und meist ist das schlimmer als der Mord an diesen Menschen.

"10 Jahre nach 9/11 - und es gibt uns immer noch!" Ich selbst erinnere mich noch gut an den Tag im Jahre 2001, als die Erde stillstand, als es nur noch Nachrichten im Fernsehen gab, ständige Liveberichte und das Standbild auf die beiden Türme, bei denen man sich nur noch fragte, wann sie zusammenbrechen würden, ob sie zusammenbrechen würden. Doch bereits damals wurde mir schnell klar, dass die Erde sich trotz solch eines Ereignisses weiterdreht. Als ich nach Stunden voll Schreckensmeldungen und Fassungslosigkeit nach draußen trat, hatte sich in meinem näheren Lebensumfeld nichts geändert - die Menschen kamen von der Arbeit nach Hause, viele Menschen, die offensichtlich bereits Nachrichten gesehen hatten, gingen einkaufen. Nichts hatte sich scheinbar geändert, die Menschen benahmen sich wie immer, es war nicht einmal Entsetzen oder Verwirrung in ihren Gesichtern zu sehen. Dieser Moment war für mich erschreckender als alles, was danach folgte: denn so sehr wir uns immer einreden, dass Ereignisse irgendwo auf der Welt unser aller Mitgefühl erregen, so sehr dreht sich das eigene Leben auch nur im Kreis um uns als zentralen Mittelpunkt.

Das Hamsterrad dreht sich weiter - im Alltagsleben wie im Nachrichtenzyklus eines laufenden Jahres. Die Geschichte wird zwischendurch immer wieder mit neuen Ereignissen aufgestockt, die dann in diesen Zyklus mit einfließen (wie in diesem Jahr der Tsunami in Japan). Die Frage ist, ob wir etwas aus der Geschichte lernen (überhaupt lernen können) und wie wir damit die Zukunft organisieren. Wann wir aufhören, in ständiger Angst vor Terroranschlägen durch's Leben zu rennen oder ob wir das je können. Die Furcht vor einem alles entscheidenden Terrorkrieg wird in unserem Unterbewusstsein immer umherschwirren, gerade weil wir in jahrzehntelangem Frieden und Wohlstand leben. Der einzige Weg, diese überdrehte Schraube aufzuhalten wäre die Hoffnung, dass die Anhänger des radikalen Islam einsehen, dass der Islam an sich keine gewaltverherrlichende Religion ist - doch dazu ist die Mitarbeit aller gefragt, inklusive aller "gemäßigter Islamisten", die Frieden predigen, ihn aber auch in die Welt tragen müssen, statt Grundsatzdiskussionen über Kopftücher oder die Gleichberechtigung der Religionen führen. Es muss allen klar sein, dass es zunächst in dieser Zeit des Terrorismus weitaus wichtiger Probleme gibt, die mit Verstand statt mit ausschließlich mit Kriegseinsätzen gelöst werden müssen.

Dieser Beitrag gilt in tiefer Demut und Trauer um die Opfer der Anschläge des 11. September 2001 und alle darauf folgenden Greueltaten der Al Qaida. In der Hoffnung auf einen in Zukunft dauerhaft möglichen Frieden und den Schutz aller Bürger, die in Frieden leben wollen, verbleibe ich hier und wünsche allen Lesern ein schönes Wochenende. Bis zum nächsten Freitag!

LG Gene :-)

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