Freitag, 26. August 2011

Von "verklemmt" bis "enthemmt" - Episode 1: Alkohol

"Ja wo laufen sie denn?" Dieser Kernsatz stammt aus dem Sketch "Auf der Rennbahn". In dieser Woche erreichte ganz Deutschland (wenn nicht sogar die halbe Welt) die traurige Nachricht, dass der mit Abstand wohl begabteste Komiker von uns gegangen ist: Vicco von Bülow, alias "Loriot". Auch mich hat diese Nachricht sehr traurig gemacht, auch wenn sie bei einem Alter von 87 Jahren nicht sooo überraschend kommt. Trotzdem macht die Nachricht betroffen, es ist offiziell: egal, was wir in unserem Leben tun und erreichen und wieviele Menschen wir mit unseren Nachrichten und Botschaften erreichen, irgendwann vergehen wir alle zu Staub. Schwer zu glauben in einer Zeit, in der alles für die Ewigkeit ausgelegt ist; Besitztümer, die wir uns anschaffen und scheinbar ewig halten müssen; oder Ereignisse, die sich in unsere Geschichtsbücher verewigen und von ewiger Gültigkeit sind.

Natürlich hat die Geschichte eine ewige Gültigkeit, Dinge der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haben eine allumfassende Wahrheit und Richtigkeit. Alles und scheinbar nichts steht in unserem Universum fest, allerdings nehmen die Menschen dabei immer mehr ihre eigene persönliche Geschichte wichtiger als das große Ganze. Bei Loriot hingegen schien es immer der Blick auf genau diese spießbürgerliche Art des "mit-sich-selbst-beschäftigt"-Seins, das für die meisten Lacher bei denen sorgte, an die sich die Beobachtungen richtete. Also war sein Credo mehr das Geben als das Nehmen. Gegeben hat er uns wahrhaft viel und dafür kann man ihm nur dankbar sein. Und ich kann vor seinem Lebenswerk nur den Hut ziehen und mich in Ehrfurcht verneigen.

Zurück zum Eröffnungssatz: "Ja wo laufen sie denn?" ... genau diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit mehr als nur einmal täglich. Manchmal wirkt es so auf mich, dass diese Welt, die schon als rau und hart gilt, immer noch täglich einen draufpackt, die Gesellschaft unerträglich wird in ihrer Selbstverliebtheit gepaart mit immer mehr Faulheit. Seit der Emanzipation neigen Männer dazu, mit immer mehr Frechheiten ihre Unsicherheit gegenüber dem erstarkten weiblichen Geschlecht auszugleichen; gleichzeitig verlieren die Kinder durch ihre allumfassende Bildung und gründliche Aufklärung immer mehr den Respekt vor ihren Eltern. Allerdings... was sind die Eltern von heute eigentlich?

Seit einigen Monaten (eigentlich Jahren) sehe ich das Verhalten meiner Altersgenossen und der jüngeren Generation (sprich: 10-12 Jahre jünger), die (angeblich) gebildet sind, Unterrichtsstoff in rauen Mengen verputzen müssen wie Mastgänse Mais, um ihre Leber fett zu kriegen. Doch während Stopfleber als Delikatesse gilt, ist das übergebildete Hirn des Jugendlichen 2011 alles andere als eine Delikatesse. Das Problem wird wohl sein, dass Bildung nicht kiloweise konsumierbar ist wie Mais. Es wurde schließlich auch noch kein Rohr erfunden, mit dem man Unterrichtsstoff in Überdosierung in das Gehirn eines Schülers trichtern kann.

Nun, das wird wohl nie möglich sein - und so wird es auch nie eine Elitearmee geben, die die Welt im Sturm erobert. Realistisch betrachtet wäre das selbst dann nicht möglich, wenn die Menschen alle über einen IQ von über 130 verfügen würden. Denn zwischen Bildung, Intelligenz und der Führung lagen früher, heute und wahrscheinlich morgen noch Welten. Immerhin gibt es höchst intelligente Putzkräfte in dieser Gesellschaft, die doch nie eine Führungsposition in einer großen Firma erreichen werden... und auf der anderen Seite vermeintlich gebildete Führungskräfte im Management der größten Unternehmen dieses Landes, die schlussendlich nicht einmal richtig bis drei zählen können. Diese unterschiedlichen Bilder mögen zwar höchst selten vorkommen, aber vierblättrige Kleeblätter tun das der Legende nach auch - und es gibt sie trotzdem.

Was ist es nun, dass uns dazu trieb, sämtliche Jugendliche der Gesellschaft zu Eliteschülern zu drängen? Geht es dabei wirklich darum, dem eigenen Kind alle Möglichkeiten des Lebens zu eröffnen - oder nur darum, das eigene Ego zu streicheln, indem man das Kind zum nächsten Donald Trump trainiert?

So sehr sich auch alle bemüht haben, die Schüler sind kaum klüger als ihre vorherigen Generationen. Es ist wohl eher das Gegenteil der Fall: je mehr wir gegen das schlechte Abschneiden in einer PISA-Studie kämpfen, umso mehr werden die Kinder und Jugendlichen in einen Drill geführt, der das Gegenteil vom gewünschten Ergebnis führt. Statt gut ausgebildeter und kluger junger Erwachsener bekommen wir Menschen, die mit sich und ihrem erworbenen Wissen meist gar nichts anfangen können.

Der Denkfehler begann wohl schon vor einigen Generationen, als der Fleiß bei der Arbeit dem puren Wissen wich. Galt es beispielsweise in den 50er Jahren noch als Tugend, fleißig und zuverlässig seine Arbeit zu erledigen, geht es heute mehr darum, möglichst viel Wissen zu erlangen, um damit möglichst schnell so hoch wie es geht in eine Firma einzusteigen. Dadurch entstehen Arbeitskräfte, die vermeintlich die Theorie gut beherrschen und bei denen sich sämtliche Arbeitsprozesse im Kopf perfekt abspielen, die dann in der Praxis aber nicht wissen, wie sie dieses Wissen einsetzen sollen.

Diese Entwicklung dürfte für Besorgnis sorgen - vor allem aber der Anspruch einer Generation an die nächste, das sie weit höher aufsteigt als die Vorgänger. Ein Schüler, der nun mit schwer verdaulicher Bildung vollgestopft wird und weiß, dass er in einigen Jahren zu funktionieren hat, konkurrenzanführend sein muss und eine Weltkarriere hinzulegen hat, kann schnell zu Frust und Depressionen neigen. Und was liegt relativ nahe an Depressionen? Der Rausch, alles vergessen zu wollen.

Wahrscheinlich wurde deshalb vor tausenden von Jahren der Alkohol erfunden bzw. entdeckt. Als Beruhigungsmittel, Stimmungsaufheller und Weltverbesserer. Wenn Alkohol nur politische Ambitionen hätte, er könnte für glatt für eine bessere Welt sorgen. Nun, eigentlich spielt Alkohol in allen sozialen Schichten und Ländern dieser Erde eine tragende Rolle. Es gibt kaum ein Land, in dem es wirklich als Schande gilt, Alkohol zu trinken. Dazu ist er zu verführerisch, lockert den Geist, die Zunge und vermeintlich auch die Seele... plötzlich ist alles so viel leichter, man fühlt sich enthemmt, als hätte jemand einen Schalter tief im Inneren umgeschaltet. Kein Wunder also, dass die Jugend dieses Wundermittel auch für sich entdeckt.

Problematisch wird dieser Konsum nicht nur, weil Jugendliche in ihrer körperlichen Entwicklung gar nicht weit genug für regelmäßigen Alkoholkonsum sind, sondern auch durch die rauhen Mengen, in denen er "genossen" wird. So schwer es dem Jugendlichen fällt, etwas über Politik, Mathematik, Biologie oder deutsche Literatur zu lernen, so leicht fällt es ihm, Nachhilfe von Jack Daniel's oder Wodka Gorbatschow anzunehmen. Allerdings sind diese beiden "Burschen" sehr hart verträglich, deswegen werden sie auch gerne mit süßen Limonaden vermischt... die Liebe der Jugend zu ihnen beschränkt sich nur auf die Rauschwirkung.

Durch die gute Aufklärung in der Gesellschaft und die (immer noch angeblich) hohe Bildung der Jugendlichen meinen diese, ihren Alkoholkonsum im Griff zu haben. Egal, ob sie nun einen Drink pro Woche oder einen ganzen Rauschausfall durch zahllose Drinks zu sich nehmen. Irgendwo haben die Jugendlichen wohl mal gehört, dass Alkohol zu einer Sucht führen kann. Aber diese Sucht betrifft doch nur alte Säcke, die seit 30 Jahren täglich an der Flasche hängen... so zumindest die Meinung der Komasäufer. Für sie ist das hemmungslose Trinken eher ein Sport, wie der wöchentliche Gang ins Fitnessstudio. Nur mit Fitness hat es eben nichts mehr zu tun, die harte Arbeit findet nur noch oral statt... erst in rauen Mengen rein, später dann über die Kloschüssel gebeugt in rauen Mengen wieder raus. Doch nicht nur dort.

Auch verbal sind die Jugendlichen (ob im Rausch oder auf immer enthemmt dadurch auch nüchtern) ganz große Spitze. Frechheiten gegen Lehrer und Eltern sind da nur noch die Spitze - und wo dieses Verhalten vor vierzig Jahren anhand von einer Rebellion gegen das Spießbürgertum zu verstehen war fragt man sich heute, was die Jugend damit erreichen will. Anarchie? Der absolute Zusammenfall der Gesellschaft? Oder sind die Probleme der Jugendlichen wirklich (wie es Sozialpädagogen sagen) darauf zurückzuführen, dass sie sich mißverstanden fühlen, die Eltern die Hauptschuld daran sind, dass sie so agieren, wie sie es tun?

Eine Wahrheit gibt es: Kinder sind das direkte Produkt ihrer Eltern und das nicht nur biologisch gesehen. Ein Kind sieht nicht nur zu Teilen aufgeteilt wie seine Eltern aus, es lernt bereits in jüngsten Jahren, sich wie die Eltern zu benehmen. Und da der erhöhte Alkoholkonsum kein Problem von gestern ist, liegt es wohl teilweise auch an den Eltern, dass die Kinder saufen, als gäbe es kein Morgen. Denn: Eltern wollen immer, dass ihre Kinder die Taten der Eltern noch um ein Stück überbieten. Dabei ist es zwar wahrscheinlich, dass sie nicht unbedingt wollten, dass ihre Kinder sie im Alkohol trinken übertrumpfen, aber man kann sich nunmal nicht aussuchen, worin genau die Kinder zur Elite gehören.

Die Angst vor dem Überkonsum an Alkohol bei Kindern liegt nicht nur darin begründet, dass die Kinder beim Komasaufen sterben könnten. Es gab zu allen Zeiten Tote bei Jugendlichen aus unterschiedlichen Gründen: Mutproben, Drogen, Alkohol. Die Opfer dieser Manie sind wohl gefühlskalt als Kollateralschaden zu bezeichnen.

Mehr als das geht die Befürchtung um, wie die Kinder, die überleben, als Erwachsene werden mögen. Ein Jugendlicher, der gerne und viel säuft, stolz darauf ist, nur noch an Parties denkt und an jegliche Verantwortung dem Leben gegenüber pfeift... klingt fast wie die Denkweise eines zukünftigen Kriminellen. Oder die eines erfolgreichen Managers. Der Unterschied ist inzwischen nicht mehr sehr groß.

Gerade deswegen darf die Entwicklung besorgniserregend sein. Es geht nicht nur darum, dass die Spenderlebern in den Krankenhäusern in den nächsten 40 Jahren wohl sehr knapp werden bei steigendem regelmäßigen Alkoholkonsum (von anderen Krankheiten durch Alkoholismus mal ganz abgesehen). Das Herz aller Probleme liegt (wie so oft) in den Köpfen: Menschen, die Drogen jeglicher Art zu sich nehmen, tun dies, um einen Rauschzutstand auszulösen - in ihren Köpfen! Und auf Dauer ändert sich damit alles: die Fähigkeiten zur Konzentration, die Art des Denkens und damit die Verhaltensweisen des Menschen.

Wir leiden seit Jahrzehnten stetig unter dem Einfluss von Rauschmitteln, die dem eigenen Geist die ultimative Befriedigung verschaffen, aber im Ende für den eigenen Egoismus sorgen. Dadurch werden viele Menschen kaltherziger, berechnender und psychisch wie teilweise physisch gewalttätiger. Nun kann man auch die Frage aufwerfen, wohin diese Entwicklung noch gehen soll und wie die Jugendlichen von heute in zehn Jahren sind, wenn sie kurz davor stehen, als Eliteeinheit Deutschlands die Welt zu erobern.

Der Alkohol spielt dort nur eine Randrolle, wahrscheinlich werden auch die Jugendlichen von jetzt (wie viele Generationen vor ihnen) mit der Zeit einsehen, dass man irgendwann nicht mehr nur auf Parties und Komasaufen stehen kann. Bedenklich ist nur, dass das Erwachsenwerden künstlich immer weiter hinausgezögert zu sein scheint. Es wird länger studiert, länger zu Hause bei den Eltern gelebt... und selbst, wenn das Kind mit 18 von zu Hause auszieht, es lernt trotzdem nicht richtig, selbstständig und verantwortungsbewusst durch die Welt zu gehen. An Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht, aber wozu ist das gut? Falsches Selbstbewusstsein mag wunderbar blenden und zu kurzfristigem Erfolg führen, aber auf Dauer muss sich jeder der Verantwortung stellen, für sich selbst einzustehen und seine wahren Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Wenn die nächsten Generationen allerdings immer älter sind, bevor sie Verantwortung übernehmen, gleichzeitig aber alles, was "erwachsen" ist immer früher ausprobieren und bis zum Exzess praktizieren, kann man vor den nächsten Generationen (inklusive der Generation, die zur Zeit noch in den Windeln steckt) Angst haben.

Wie ich allerdings schon sagte, das Kind ist immer das Produkt der Eltern. Und da die Eltern 2011 von sich selbst überzeugt sind, ihre Kinder mit bestem Wissen und Gewissen großziehen zu können, wird es Zeit, sich auch mal an die eigene Nase zu packen, was die Vorbildfunktion betrifft. Denn sind Eltern, die mehr an die eigene sexuelle Befriedigung als an das Kindswohl denken, wirklich Vorbilder? Nicht, dass alle Elternpaare nur an Sex denken... aber es fällt doch auf, wie wichtig den Eltern das eigene Wohl ist. Selbstaufgabe wegen Kindern? Auf keinen Fall! Vielleicht ist dies auch eine Entwicklung von übersteigertem Narzissmus, aber sie überträgt sich auf direktem Wege auf die Kinder. Wer von klein auf lernt, dass man selbst am Wichtigsten ist und immer (absolut immer!) an erster Stelle steht, wird kaum ein Gespür für eine Gesellschaft entwickeln, die nur zusammengehalten werden kann durch Respekt voreinander und die Zusammenarbeit miteinander. Ganz ohne das eigennützige Denken an der Spitze der Konkurrenz zu stehen.

Nun, "Ja wo laufen sie denn?" ... man kann sich die Frage wieder und wieder stellen. Und nur eine Antwort darauf geben: "Hoffentlich nicht gegen die Wand!"

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein schönes Wochenende. Bis zum nächsten Freitag!

LG Gene :-)

PS: Es mag wirken, als gehöre ich nicht zur Mittzwanziger-Generation. Aber man lese und staune: es gibt auch Wesen Mitte 20, die nicht ihren Lebensmittelpunkt auf Parties und das eigene Vergnügen beschränken. Davon gibt es sogar verdammt viele, die auch aus der Alkoholdiskussion herausgenommen werden müssen. Das einzig Bedenkliche ist nunmal, dass die Zahl derer, die nur sich selbst und ihr Vergnügen sehen, unaufhörlich steigt.

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