Samstag, 17. September 2011

Materialschäden in offenen Fleischwunden - Folge 3: Radioaktivität

Jede (gute) Serie hat mal ein Ende - diese Weisheit gilt für sämtliche TV-Serien auf diesem Planeten. Wenn eine TV-Serie wirklich qualitativ herausragend ist, muss sie einmal enden. Wie wahr das ist stellt sich heraus, wenn man die Gegenprobe macht und feststellt, dass alle relativ grottigen Serien in Dauerschleife laufen, bis sie wie ein verdurstetes Pferd tot umfallen. Nun will ich nicht unbedingt sagen, dass meine Blogserien qualitativ hervorragend und einzigartig sind... trotzdem weigere ich mich, eine Serie ohne Ende einfach im Regen stehen zu lassen. Die Serie über die "Materialschäden in offenen Fleischwunden" ist nun eine, die bis jetzt nicht beendet, nur durch die Blogserie zum Sommerloch jäh unterbrochen wurde. Jetzt werde ich dem Thema ein würdiges Ende bereiten - oder ich versuche es zumindest.

Wiedermal hat sich in dieser Woche so einiges ereignet, auch wenn die Menschen in Deutschland ausschließlich über die FDP, Rösler's Bemerkungen und die Euro-Krise sprechen. Man(n) redet eben gern über das liebe Geld, auch wenn es wichtigere Themen geben sollte. Kaum ein Mensch macht sich Gedanken darum, dass ein reicher Mensch nicht zwangsläufig glücklich oder gesund sein muss. Das Streben nach Glück und Gesundheit sollte eigentlich das höchste Gut für den Menschen sein - trotzdem nehmen die Menschen die Vollkommenheit des Körpers und Geistes, die Fähigkeit der uneingeschränkten Bewegung und Flexibilität, als selbstverständlich an. Und damit wird wieder das Geld wichtiger.

In dieser Woche ereignete sich indes ein viel wichtigerer Zwischenfall - im französischen Atomkraftwerk in Marcoule im Süden Frankreichs, Nahe bei Avignon, ist ein Mensch ums Leben gekommen und vier wurden zum Teil schwer verletzt. Doch im Gegensatz zu Fukushima verschwand die Nachricht so schnell wieder aus den Top Nachrichten, wie sie aufgetaucht war, die anfängliche Panik wich schnell dem Gefühl der Gleichgültigkeit. Zugegeben, wenn es einen Super-GAU im Jahr 2011 schon gibt, ist es schwer noch irgendetwas zu empfinden bei einem kleinen, harmlosen Zwischenfall in einem Atomkraftwerk. Es verhält sich wohl wie mit der Kriegsthematik: je mehr tote Menschen in den Nachrichten gezeigt werden, zerbombt oder erschossen im Kriegsgefecht, desto weniger juckt einen das Ganze. Schnell war die französische Umweltministerin dabei zu betonen, es handle sich um keinen gravierenden Atomunfall... und mit einem Handschlag war das Ereignis auch wieder aus den Nachrichten verschwunden. Damit auch wieder zurück zu der schönen neuen Finanzwelt und ihren Problemen mit den Griechen.

Doch das Problem ist damit nicht aus der Welt! Selbstverständlich gibt es immer wieder Industrieunfälle in Atomanlagen, denn die Arbeit in solchen Werken mit Brennstäben, die Radioaktivität absondern, ist gefährlich. Und wenn es zu genüge Unfälle in "normalen" Handwerksbetrieben jeden Tag gibt (auch mit Verlusten von Körperteilen), wieso sollte es im Atombereich anders sein? So sehr die Menschheit auch bemüht ist, Radioaktivität wie ein rohes Ei zu behandeln, es mag ihr nicht so recht gelingen. Wieso nicht? Es könnte an dem Urglauben des Menschen liegen, allem und jedem überlegen zu sein.

Der Mensch ist die intelligenteste, grandioseste und beste Spezies, die es auf diesem Planeten gibt - vielleicht sogar im gesamten Sonnensystem. Wenigstens ist das der feste Glaube des Großteils unserer Menschheit: wir bilden uns jeden Tag aufs Neue ein, dass wir alles beherrschen, kontrollieren und dadurch für unsere Zwecke jederzeit steuern können. Alles, inklusive Radioaktivität. Denn obwohl wir genau wissen, dass sie uns und unserer Gesundheit massiven Schaden zufügt, sind wir gerne bereit, sie zu kontrollieren und sie uns zunutze zu machen.

Kein Mensch kann ohne Radioaktivität mittlerweile auskommen, immerhin beziehen wir unseren täglichen Strom aus genau den Anlagen, die inzwischen so verteufelt sind. Es ängstigt uns einerseits, dass die Radioaktivität von Atomstrom uns schaden und krank machen kann, andererseits sind wir von ihr abhängig. Egal, ob zur Stromgewinnung oder in der Medizin - und in gewissen Dosen (auch wenn es klitzekleine sind) ist Radioaktivität sogar gut für uns. Das Problem liegt (wie auch beim Plastik, beim Erdöl allgemein) in der Menge und dem Bedarf. Grundproblem an der heutigen Welt wird wohl allein die Menschenmenge sein, die auf diesem Planeten existiert - und je mehr Menschen es gibt (speziell, wenn sie im Wohlstand leben), desto mehr Energien werden gebraucht. Nicht nur Wasser oder Lebensmittel, sondern auch "Luxusrohstoffe", Strom, Öl für die Heizung... Dinge, die benötigt werden, damit wir unser aller Hintern schön warm halten können und es bequem haben. Und trotzdem haben wir das gewaltige Problem, mit der Radioaktivität in den rauen Mengen, wie sie auf unserem Planeten bereits gezüchtet wurde, nicht umgehen zu können.

Gesehen haben wir das dieses Jahr im schlimmst möglichen Unfallszenario, das man sich vorstellen konnte: 20 Jahre nach Tschernobyl hat es das auf Atomkraft schwörende Japan erwischt. Zugegeben, es war zunächst kein menschlicher Fehler, das böse Erdbeben mit dem noch böseren Tsunami war Schuld, das es überhaupt so weit kommen konnte. Doch dann lag es an den Japanern (im Speziellen an der Firma Tepco, der das Atomkraftwerk von Fukushima gehört), die Situation möglichst unter Kontrolle zu halten. Dazu hätte eventuell eine gewisse Übersicht und Besonnenheit gehört, aber welcher Japaner hat schon je damit gerechnet, dass die Atomkraft mit radioaktiv-verseuchten Winden zurückpupsen würde? Der Glaube war so stark an die Institution "Atomstrom", dass der Super-GAU von Fukushima das Weltbild der Japaner in ihren Grundfesten erschüttert hat. Vorher galt Atomstrom als sauber, preiswert und schnell erzeugbar - danach kam der Aspekt "gefährlich" hinzu.

Gut ein halbes Jahr später hat sich einiges geändert - die Wogen, die Fukushima verursacht hat, sind weitestgehend geglättet. Japan hat inzwischen mit Yoshihiko Noda den sechsten Premierminister des Landes in 5 Jahren und dieser setzt wieder auf das Zugpony "Atomkraft" als sicheren Grundstein zur Gewinnung japanischen Stroms. Nachdem die Regierung nach dem Super-GAU vorläufig einige der Atomkraftwerke im Land abgeschaltet hat, schaltet Noda sie nun wieder an... als hätte es Fukushima nie gegeben. Oder als hätte es Fukushima gegeben und eigentlich ist es doch schei*egal! Was sich allerdings verändert hat ist das Bewusstsein der Japaner dem Atomstrom gegenüber - auch wenn die Regierung der Atomlobby gerne die Füße küsst und die Kraftwerke mit Kusshand wieder anschalten lässt, die Bürger des Landes sind kritischer geworden, man könnte sie fast als "aufmüpfig" bezeichnen. Tausende Japaner, die auf der Straße demonstrieren und "Atomkraft - Nein danke!"-T-Shirts tragen (auf Deutsch wohlbemerkt!).

Deutschland gilt seit Fukushima und der Reaktion der hiesigen Regierung weltweit als Vorbild für den Ausstieg aus der Atomkraft - obwohl inzwischen fast alle vergessen, dass das Abschalten der Atomkraftwerke als letztes auf dem Mist von Frau Merkel gewachsen ist. Sie hatte sich noch ein dreiviertel Jahr zuvor für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ausgesprochen. Nach Fukushima und einem massiven Zuwachs der atomkritischen Partei "Bündnis '90 - Die Grünen" war dann allerdings alles anders. Plötzlich mutierte Kanzlerin Merkel aus Angst vor dem absoluten Einbruch in der Wählergunst zum militanten Atomgegner, mit Schwert und Ritterinnenrüstung und plötzlich mit einer komplett neuen Religion. Nun wurden die ältesten Atomkraftwerke vom Netz genommen und einem Moratorium unterzogen, der Überprüfung, ob die Kraftwerke noch für den Gebrauch geeignet sind oder schon zur Trashware gehören. Und natürlich hat sich der Engel Angie entschieden, die Kraftwerke vom Netz zu lassen.

Seitdem gilt Frankreich als ultimativer Umweltsünder, was Atomenergie betrifft. Skandalöse 80% des gesamten Stromverbrauchs des Landes wird aus Atomkraft gewonnen - natürlich sind wir Deutschen die Umweltengel, mit weit ausgebreiteten Gutmenschflügeln, die dem Rest Europas zeigen, wie es gehen kann. Staatliche Unterstützung für alternative Energien, damit auch jeder Häuslebauer nach Möglichkeit zur Solaranlage greift und die Verweigerung der Unterstützung der Atomlobby. Die Frage bleibt nur, ob die Frage nach der guten heldenhaften Merkel und dem bösen Gartenzwerg Sarkozy wirklich so leicht beantwortet werden kann, denn die Meldungen über den Stromimport Deutschlands sind erschreckend: so hat der Import an Atomstrom in den letzten 6 Monaten um 50% zugenommen. Und nun darf der kluge Leser ein halbes Mal raten, woher dieser Strom größtenteils kommt... aus dem Land der Croissants und Baguettes.

So wird ein schlechtes Image weit weniger schlecht und ein vermeintlich lupenreines Image getrübt von Rotwein- bzw. Atomflecken aus Frankreich. Der Wunsch nach einer Welt ohne Atomstrom scheint im Ende doch weit utopischer zu sein als befürchtet. Schon Dickens wusste, dass man die Geister, die man rief, so leicht nicht mehr los wird. Zwar geht es beim Atommärchen nicht um Weihnachten (zumindest nicht direkt), aber die bösen Geister der Vergangenheit lassen die Politik wohl nie los, auch wenn sie noch so sehr auf sauberen und umweltfreundlichen Strom pochen. Gleiches gilt für Alternativen zum Benzin. Denn der "Wandel", der sich jetzt in den Köpfen der Politik vollzieht, ist wahrscheinlich schon seit mehr als 20 Jahren bei Teilen der Bevölkerung gewollt - und auch gekonnt! Denn Energien wie die Solar- oder Windenergie sind schon seit sehr langer Zeit "in der Mache", nicht erst seit vorgestern. Ignoriert wurden sie trotzdem fleißig, wegen dem einen, alles beherrschenden Geist der Gegenwart, dem Geld. Die Wirtschaft bzw. die Atomlobby haben alles getan in den vergangenen Jahrzehnten, um sich mit Katzenbuckel kräftig gegen umweltschonende Alternativen zu sträuben. Kein Wunder, das Herunterfahren und die Beseitigung des Atommülls kostet Geld, verdammt viel Geld. Und Geld ausgeben aufgrund des Gutmensch-Syndroms? Schwachsinn! Da könnten wir ja gleich Amnesty International und den WWF als Organisationen zu den neuen Stellvertretern des Weltkapitals machen und dafür sorgen, dass sie das Geld in der Welt gerecht und sinnvoll verteilen. Wo kämen wir da denn nur hin?

Wahrscheinlich einige hundert Jahre weiter, als wir es jetzt tun. Nur, wen interessieren schon die nächsten zwei oder dreihundert Jahre, wenn eh keiner von uns älter als 80 wird? Ich gestehe, ich schweife ab. Allerdings ist es eine Tatsache, dass der Mensch immer genau das tut, was ihm am meisten schadet. Vielleicht aus der Naivität heraus, dass sie denken, es könnte ihn schon nichts passieren, wenn sie etwas absolut Tödliches tun. Tödliches tun und keine Konsequenzen dafür tragen ist wahrscheinlich ein lang gehegter Kindheitstraum. Dieser schlägt der Menschheit allerdings immer wieder um die Ohren. Am gewaltigsten und schlimmsten immer noch mit Umweltkatastrophen, durch die zig Menschen sterben. Jede dieser Katastrophen führt dann dazu, dass die Menschheit noch ängstlicher und schizophrener wird, was das eigene Wohlergehen anbetrifft als zuvor. Auch wenn dies der einzige Weg ist, die Menschen überhaupt noch zum Denken zu bewegen: Katastrophen und Leichenteile. Und Leichenteile und noch mehr Katastrophen. Die Konfrontation mit dem Tod und die Erkenntnis, dass wir alle nicht Superman oder Wonderwoman sind, macht uns bewusst, dass wir etwas tun müssen, um unsere Gesundheit und unser Glück zu erhalten.

Das neue Bewusstsein in einer neuen, gesunden, bewussten und wundervollen Welt. Umweltbewusstsein ist doch tatsächlich "in", nach all den Jahren der Verschwendungssucht und der Selbstsucht.... wirklich? Träumen wir nicht gerade den Traum, der sich nie erfüllen wird? Denn die Bevölkerung verpestet und verbraucht munter weiter, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, ob der Strom, das Benzin oder welchen Rohstoff sie auch immer verwenden, wirklich sauber und damit umweltschonend sind. Das gute Gewissen existiert im Alltag nur auf dem Papier... oder weit versteckt im Gutmensch-Gewissen, das irgendwo im Keller des Gehirns liegen mag, wo es besonders dunkel und feucht ist. Denn das eigentliche Problem ist die Verfügbarkeit und die Anstrengung, die verbunden ist mit dem reinen Gewissen. Ab und zu das Auto stehen lassen, um was Gutes für die Umwelt zu tun? Fehlanzeige! Und sauberer Strom? Wenn man in einer Mietwohnung wohnt, hat man nicht die große Auswahl der Saubermann-Alternativen, die bleiben vorerst nur Hausbesitzern vorbehalten, die sich bewusst für eine Umstellung entscheiden.

Das Ende vom Lied ist wohl klar: man kann nur darauf warten, dass die Politik Vernunft annimmt und sich für die Zukunft aller Menschen statt dem eigenen und dem Vorteil der Wirtschaftsbosse entscheidet. Sarkozy sagte vor Kurzem, ein Ausstieg aus der Atomenergie würde ihn rund 45 Milliarden Euro kosten, außerdem seien seine Atomkraftwerke die sichersten in Europa. Nun, das Geld und der unerschütterliche Glaube - zwei Freunde, die schon lange miteinander spielen und sich dabei mehr als einmal gegenseitig in Schwierigkeiten gebracht haben. Wenn diese Beiden allerdings richtig Mist bauen, kann man es immer noch einem Dritten zuschieben. Und wenn das nur der liebe Gott sein sollte, so wird der auch gern dafür herangezogen!

Man sieht sich dann wohl am bitteren Ende der Unvernunft. Die einzige noch mögliche Alternative, um auch nur im geringen Maße etwas gegen die Übermacht der Politik oder Wirtschaft zu tun ist der eigene Verzicht. Auf übermäßigen Konsum von Rohstoffen, die andere Kulturen fast gar nicht verwenden. Nun, diese Kulturen mögen als uncool gelten, weit weniger hip als wir Europäer oder die Amis es sind. Doch eine Erkenntnis macht diese Menschen wahrlich zu einer der klügsten Spezien, die dieser Planet gesehen hat: das Wissen, mit der Natur zusammenzuarbeiten statt gegen sie. Es bleibt abzuwarten, wie lange der zivilisierte, moderne Wohlstandsmensch für diese Erkenntnis noch brauchen wird.

In diesem Sinne, ein verspätetes "Ich wünsche allen Lesern ein schönes Wochenende!". Bis Freitag und auf ein Neues! ;-)

LG Gene :-)

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