Sonntag, 8. April 2012

Atomarer Wortsalat oder: Die Wahl der Waffen = Worte

Es gibt wohl kein Thema der letzten Tage, was so heiß diskutiert wird, wie das der Prosa von Günther Grass zum Thema "Israel". Ganz unpassend ist das nicht, jetzt zum Osterfest, denn irgendwie wird doch immer wieder über Religion zum Fest des Todes und der Auferstehung von Jesus Christus diskutiert. Zugegeben, es diskutiert nicht jeder darüber, die meisten Menschen halten das Osterfest eh nur für das Fest des Osterhasen und der Ostereier. Warum Osterhase und Ostereier? Das fragt doch kein Mensch mehr, die Symbolik der Fruchtbarkeit kennen die Menschen meist sowieso nur aus dem eigenen Sexualleben. Da inzwischen nicht mehr mit Symbolik, sondern nur noch mit Aktion gearbeitet wird, interessiert das auch nicht mehr groß. Wichtiger als die Symbolik des Ostereis und die des Osterhasen ist wohl die Werbewirksamkeit der beiden Symbole. Hauptsache, alles ist bunt und konsumträchtig verpackt, dann klappt es auch mit den Verkaufszahlen.

Aber zurück zum Thema: die Religion. Es gibt wohl nur noch einen geringeren Anteil der Menschheit, die wirklich religiös lebt und in absolutem Gottvertrauen durch's Leben rennt. Die meisten Menschen verlassen sich inzwischen dann doch lieber auf die Kraft des Kapitalismus oder sie verzweifeln an gleicher. Gott ist zu einer Symbolfigur geworden, die viele Menschen oft als verstaubt ansehen mögen. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Menschen, die sich immer fanatischer in die Kraft der Religion begeben, eintauchen in den Pool aus Gebet und Tradition. Religion wird oft als letzter oder einziger Halt in einer sich ständig verändernden Welt gesehen... denn selbst wenn morgen die Welt auf dem Kopf steht, die Religion besteht aus Traditionen und unerschütterlichen Grundfesten. Unerschütterlich? Nun, sie hat sich auch verändert, die Religion, selbst sie, die "Mutter aller Stereotypen" muss sich irgendwann einmal anpassen in vielen Themen. Mit Verlaub, nicht in allen, aber in vielen. Speziell, um neue Mitglieder für die "gute Sache Gottes" zu rekrutieren. Vielleicht klingt das Wort "rekrutieren" an dieser Stelle zu sehr nach Al Qaida... doch mal ehrlich: es macht nicht solch einen wahnsinnig großen Unterschied, wohin ein Mensch rekrutiert wird. Wichtig ist, dass er manipulierbar ist. Ob diese Manipulation nun dazu führt, dass er zur Waffe greift und Unschuldige erschießt oder einfach durch das Leben geht und psychologisch Menschen beeinflusst, ist erst einmal unerheblich.

Vielleicht bin ich genau deswegen gegen die Religion als Massenphänomen. Es geht nicht in erster Linie um den Glauben an Gott, es geht um die Gruppendynamik, vergleichbar (damit es auch alle Jugendlichen verstehen!) mit der Dynamik sozialer Netzwerke. Immer mehr Menschen folgen dem Trend, keiner weiß irgendwann mehr, warum, aber ab einer gewissen Stelle wird alles akzeptiert, was nicht niet- und nagelfest ist. Wenn dann noch die Religion über den gesunden Menschenverstand gestellt wird, ist wohl die Zeit gekommen, an der es verdammt gefährlich wird. Nein, ich meine mit dem "gesunden Menschenverstand" nicht die Wissenschaft, sondern einfach das selbstbestimmte Denken eines jeden Individuums.

So gesehen ist es wohl auch zu erklären, warum dieser Tage so heftig debattiert wird über die Prosa von Günther Grass. Mit seinem "Werk", einem 69zeiligen Gedicht, in der er die Politik Israels an den Pranger stellt und dem Staat unterstellt, er gefährde den Weltfrieden, hat sich der Literaturnobelpreisträger innerhalb weniger Tage so viele Feinde gemacht wie die Kinder dieser Tage wohl Ostereier gesucht haben. Es stellt sich unweigerlich die Frage, wenn Grass die Politik Israels im Hinblick auf den Iran kritisiert und dafür erst heute von der Regierung als "Persona non grata" abgestempelt wird, ob man ein Land wie Israel überhaupt kritisieren darf. Oder besser gesagt: darf ein Deutscher Israel überhaupt kritisieren?

Gerade an diesem Feiertag wird wieder einmal die Symbolik eines tiefen Grabens wieder aufgewühlt. Ein Jude, genagelt ans Kreuz von den Römern, die selbst nicht das Wort Jesus Christus glauben wollten, um dann später die Religion selbst aufzugreifen und als Katholizismus unter die Leute zu bringen... allein diese Wendungen sind recht absurd, wenn man sie sich genau ansieht.

Religionskonflikte gab es seitdem (und auch bereits vorher unter anderen religiösen Gruppierungen) immer wieder, doch keiner ist wohl so im Gedächtnis geblieben wie der Antisemitismus unter Adolf Hitler, der versuchte, die nicht arische Rasse auszulöschen. Vor allem auf die Juden hatte es Hitler abgesehen, der Neid auf deren Geschäftssinn und die Meinung, dass sie unrein seien, sorgte für Hass und schlussendlich grenzenloses Leid. 6 Millionen Juden wurden durch den Holocaust getötet, hinzu kamen Millionen Soldaten im zweiten Weltkrieg und Millionen Zivilisten.

Genau auf diese Geschichte stützt sich seitdem jeder Streit zwischen Israel und Deutschland. Nun gab es keine ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern (es gibt wohl akutere Spannungen zwischen Ländern), aber die Beziehung ist wohl eine der fragilsten auf diesem Planeten. Die Aktionen dieser einen Vergangenheit Deutschlands wird dem Land wohl noch bis zum Tag des Jüngsten Gerichts anhaften, egal, wie sehr wir uns wandeln und dem Rest der Welt öffnen, wie multikulturell wir sind. Irgendwo sind wir immer die Nazis, die Menschen, deren Vorfahren Adolf Hitler in seinem Wahn gefolgt sind. Anzumerken sei an dieser Stelle nur, dass diese Kritik meist von Menschen kommt, die nicht einmal genau über die Situation in dieser Zeit Bescheid wissen, keine Ahnung von der Machtergreifung Hitlers haben und nicht wissen, wie viele Menschen nun wirklich mit Herzblut Nazis waren und wie viele zu den Unterdrückten gehörten. Keine Verteidigungen an dieser Stelle, es ist nur so wahnsinnig passend, dass nun in der Sache Grass seine Vergangenheit als SS-Soldat ausgeschlachtet wird. So sagt der israelische Innenminister Eli Jischai, Günther Grass sei ein "antisemitischer Mensch" und man merke ihm seine Vergangenheit als SS-Soldat immer noch an.

Die Frage, die einem unwillkürlich da in den Kopf kommen muss: Wirklich? Ist Günther Grass ein Antisemit, weil er es in einer Demokratie für nötig hielt, Zustände zu kritisieren, die er für unangemessen hält? Es mag zweifelhaft sein, ob Grass mit seinen Aussagen zu 100% Recht hat (wirklich unwahr sind seine Aussagen auch nicht, allerdings müsste das Ganze wohl differenzierter betrachtet werden), es ist aber eine andere Frage, ob man ihm deswegen etwas unterstellen muss, was ihm nicht nachgewiesen werden kann. Hat er zuvor Äußerungen dieser Art gemacht und damit bewiesen, dass er antisemitisch veranlagt ist? Nein. Er schrieb selbst in der Prosa, er habe lange geschwiegen, gerade wegen der Vergangenheit Deutschlands und seiner eigenen und weil es als nicht statthaft gilt, sich als Deutscher kritisch gegenüber Israel zu äußern. Recht hatte er wohl, er hätte wohl besser die Klappe gehalten bzw. die Finger still!

Zumindest wird es so, wenn man sich jetzt die Reaktionen anguckt, in Deutschland wie in Israel. Wenn etwas eigentlich gar keine große Wirkung hat, dann blasen wir die Sache so lange auf, bis aus einem Luft- ein Heißluftballon entsteht, der locker ein Dutzend Menschen durch die Luft tragen könnte. Die Situation zwischen Israel und dem Iran ist kritisch. Punkt. Iran ist eine große Gefahr für die Welt, zumindest deren vom Wahn zerfressene Regierung rund um Ahmadinedschad. Punkt. Israel benimmt sich gerne und oft wie die Axt im Walde, wenn es um Drohungen gegen das Ausland geht, das ihm gerade nicht passt. Damit steht Israel dem Iran in nix nach. Nun kann man diese Mentalität bei Israel mit der Angst zu tun, die sie immer wieder treibt, die Vergangenheit, durch die sie tiefe Wunden mit sich herumträgt. Die Frage ist in der Sache Grass inzwischen nur, ob Israel nicht andere Probleme hat, die es zu bewältigen hat, als sich auf einen alten Schriftsteller einzuschiessen, nur weil er etwas kritisiert hat. Die Forderung des Innenministers, Grass nun den Nobelpreis abzuerkennen, ist schlicht lächerlich und entbehrt jeder Grundlage.

Ein Autor hat das Recht (und muss das Recht haben) zu kritisieren, zu polarisieren und seine Meinung kundzutun. Egal, ob diese Meinung der Menschheit nun passt oder nicht. Grass hat dies getan, ob wir nun für oder gegen seine Aussagen sind, spielt nicht wirklich eine Rolle. Jeder kann dazu seine Meinung kundtun, ihn allerdings jetzt zum "Musternazi" abzustempeln, ist schlicht widerlich. Nicht, weil er nie was mit der SS zu tun hatte, wir wissen alle, er hatte sich damals, als Grünschnabel, freiwillig bei der Armee gemeldet (wie fast alle seiner Altersgenossen zu dieser Zeit!). Der entscheidende Grund ist, dass diese Beleidigungen und Anschuldigungen an der eigentlichen Sache vorbeigehen. Merkwürdigerweise diskutiert jeder über die Zuständigkeit von Grass oder ob er so etwas überhaupt schreiben durfte. Was er nun geschrieben hat, ist im Ende völlig egal. Die Zeit, über das Geschriebene nachzudenken und zu analysieren, bleibt wohl nicht in der Hetzjagd auf einen neuen Staatsfeind. So hat speziell die BILD wiedermal den Vogel mit ihrer Schlagzeile über Grass abgeschossen (was allerdings nicht verwundert, immerhin ist diese Zeitung doch der Inbegriff der Hetzpropaganda).

Man kann nun für Grass's Meinung sein oder eben gegen sie, es spielt keine Rolle. Wir sollten uns vielleicht fragen, wo wir uns gerade befinden. Es ist Ostern, das Fest der Auferstehung von Jesus Christus, einer Symbolfigur sowohl des jüdischen wie auch des christlichen Glaubens. Traurigerweise entzweien wir uns alle in dieser Zeit mehr, als das wir zusammenwachsen. Wie gesagt, ich bin nicht religiös im Herdentierprinzip, wie es die meisten Menschen sind, aber die Frage muss gestellt werden, ob ein Mensch wirklich aufgrund seiner Herkunft abgestempelt werden darf. Das mag für Israel und die Juden gelten, aber auch speziell für die Deutschen. Das "Alle Deutschen sind Nazis"-Denken muss aus den Köpfen verschwinden, speziell aus den israelischen Köpfen. Nicht jeder Deutsche ist ein Nazi, auch nicht jeder, der es wagt, Israel zu kritisieren. Israel kann nicht den Freifahrtschein für jede Aktion erwarten aufgrund seiner von Zerstörung und Demütigung geprägten Vergangenheit. Auch Israel begeht Fehler, viele Fehler, speziell politische Fehler. Auch wenn der Iran zu einer großen Gefahr wird, ist Israel nicht die Weltpolizei, die alles im Alleingang regeln kann und soll.

Die Hoffnung liegt wie so üblich auf das Vergessen. Das Gedicht, die Reaktion Israels, die derzeitigen Anspannungen zwischen Deutschland und Israel, alles so wieder vergessen sein. In spätestens einem Monat wird das wohl der Fall sein. Oder es herrscht bis dahin kalter Krieg zwischen den Nationen. Einen Zwischenweg gibt es wohl nicht. Zu einer Lösung kann es nur kommen, wenn Israel lernt, mit Kritik angemessen umzugehen statt die beleidigte Leberwurst zu spielen. In der Vergangenheit hat Israel bewiesen, wie kritikunfähig die Regierung und Teile des Landes sind. Aber kann das wirklich alles gewesen sein? Ich glaube nicht daran. Die Menschen in Israel haben genug Grips zu verstehen, dass eine Kritik nicht primär ein Schlag ins Gesicht sein muss, sondern auch ein Denkanstoß zu neuen Lösungen sein kann. In der Sache Iran wird ein von Israel eingeleiteter Militärschlag nicht die Lösung sein, sondern nur zu einem neuen Krieg mit Tausenden von Toten führen. Kann das die wirkungsvollste und beste Lösung sein? Es wird wohl die naheliegendste sein, aber ob es die beste ist, darüber darf und muss gestritten werden.

Wenn Grass eins erreichen wollte, dann die Diskussion über Israel, doch er hat sich ein Eigentor geschossen. Ungewollt. Jetzt muss er mit den Konsequenzen leben, die seine Prosa verursacht hat. Es bleibt nur die Hoffnung, dass die Menschen endlich anfangen, über die politischen Schwierigkeiten, die Grass angesprochen hat, zu sprechen, statt über die Vergangenheit oder die mögliche Gesinnung des Autors. Die Kuh beim Schwanz anzupacken hat bis jetzt noch nie geholfen, Milch zu kriegen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein schönes Osterfest und eine gute neue Woche. Bis zum nächsten Samstag.

LG Gene :-)

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