Samstag, 31. März 2012

Orientierungslos - Abgebrannt - Ersoffen: Neue Politikformen und altes Gedankengut

Vergangenen Sonntag hat wieder einmal die politische Erde gebebt: es fanden die Neuwahlen im Saarland statt. Nun ist das Saarland wohl nicht nur wegen seiner Größe eins der wahrscheinlich unwichtigsten Bundesländer Deutschlands, aber der Aufruhr, den diese Wahl verursacht hat, war gewaltig. Es ging um die Frage, wer die Frage nach der Tilgung der überhohen Schulden beseitigen kann: die CDU mit Frau Kramp Karrenbauer? Oder doch die SPD mit Herrn Maas? Eventuell der gute Herr Lafontaine mit der Linken?

Wenn man sich das Wahlergebnis anguckt, stellt man wohl nur eins fest: es ist NICHT die FDP, die Deutschland retten soll! 1,2% ist wohl das unterirdischste Ergebnis, das die FDP je erreicht hat. Was sie allerdings nicht davon abhält, sich weiterhin kräftig im Land unbeliebt zu machen. Nicht nur, dass sie sich selbst im Saarland politisch erhängt haben, als sie die Ursache für das Scheitern der landesweit einzigen und ersten "Jamaika-Koalition" waren... erst in dieser Woche trat Parteivorsitzender Philip Rösler nochmal kräftig nach: im Streit um die Auffanggesellschaft, die Tausende Jobs in der "Schlecker"-Pleite noch vorläufig retten sollte, sagte er einfach mal "Nein". Prompt wurde nach dem Scheitern der Verhandlungen diskutiert, ob der Kurs der FDP in dieser Sache einfach nur "grandios mutig und geradeheraus" war oder schlichtweg "dämlich". Beides ist möglich, merkwürdigerweise hilft der "mutige" Kurs der FDP nicht, neue Wählerstimmen zu gewinnen. Es scheint fast, als wäre die FDP die "unwählbare Partei" geworden, gebranntmarkt mit dem scharlachroten "A", als hätten sie Ehebruch begangen. Aber an wem nur? Am Wähler? An der CDU? Viel merkwürdiger als alles andere ist doch nur, dass für die Misserfolge von schwarz-gelb nur die Gelben verantwortlich gemacht werden, die Werte der CDU allerdings unaufhörlich weitersteigen.

Frau Merkel scheint es in dieser Hinsicht immer wieder zu schaffen, die Mehrheit der Wählerstimmen auf ihre Seite zu ziehen. Im Saarland ist nun auch zum dritten Mal Heiko Maas bei der Wahl zum Ministerpräsidenten gescheitert, muss in einer großen Koalition den Juniorpartner neben Annegret Kramp-Karrenbauer spielen. Wahrscheinlich ist für den Bürger das Ärgerlichste an dieser Sache nur, dass dieses Ergebnis auch ohne Neuwahlen funktioniert hätte, wenn Heiko Maas nicht tollkühn nach der Macht im Saarland gestrebt hätte.

Durch die Neuwahlen gab es somit fast auf allen Seiten Verlierer: die FDP ist raus aus dem Landtag, die Grünen sind dank Zitterpartie, die schlimmer war als jeder "Stirb langsam"-Film, doch noch drin und auch die SPD könnte sich wohl ein Monogramm in den Hintern beißen, weil es einfach nicht geklappt hat mit der Führung, obwohl die Prognosen vor der Wahl eine ganz andere Sprache gesprochen haben.

Doch wie gesagt, es gab FAST nur Verlierer. Wo es Verlierer und Verluste gibt, muss es naturgemäß auch Gewinner geben. Darin unterscheiden sich politische Wahlen nicht von Kriegsgefechten. Und die Gewinner sind in diesem Jahr wohl eindeutig die Piraten. Orange zieht überall dort in die Landtage ein, wo sie wohl kein Mensch braucht. Aber wahrscheinlich ist der Politikverdruss derart groß, dass die Menschen sich nicht mehr anders zu helfen wissen. Wenn man gar nichts mehr wählen mag, wählt man einfach das Ungeeignetste. Oder eben das, von dem man sich doch noch einen Erfolg verspricht.

Von Null auf 7,4% hieß es denn auch für die Piraten und es folgten heiße Diskussionen um die Kompetenz und den Nutzen der jungen, dynamischen Piraten. Seit der Berlinwahlen im letzten Jahr ist die Piratenpartei wohl der neueste Schrei, ähnlich der neuesten Kollektion von "Dolce & Gabbana" (obwohl die im Vergleich vielleicht schon zu sehr Mainstream sind!).  Wofür die "Piraten" allerdings stehen, das wissen erstaunlicherweise nur ein Viertel ihrer Wählerschaft im Saarland. Frei nach dem Motto: "Ich weiß nicht, was ich da wähle - aber Hauptsache, es ist mal "was Anderes"!" Ja, so oder so ähnlich funktioniert wohl Politik - oder der Beginn einer neuen Diktatur!

Gut, die Piraten werden wohl kaum die Anarchie auslösen oder ähnlich der NSDAP einen neuen totalitären Staat ausrufen, trotzdem ist es erschreckend, dass die Menschen inzwischen wohl so wenig über Politik wissen, dass sie einfach das wählen, was viele Leute aus Protest wählen. Protest ist wohl das Schlagwort, das "Ich bin dagegen!"-Gefühl, dass sich inzwischen in allen Dingen unserer Gesellschaft einschleicht. Uns passt etwas nicht, weil es nicht zu unserem persönlichen Vorteil dient? Wir sind dagegen! Wir haben Probleme mit Entscheidungen, weil wir sie nicht verstehen? Wir sind dagegen! Das scheint das neue Credo vieler Menschen in diesem Land zu sein.

Die Durchschnittsbevölkerung war wohl noch nie sonderlich politikinteressiert, wer unser Bundespräsident war, hat die Menschen nie interessiert, bis Christian Wulff ins Schloss Bellevue einzog und ein Skandal den nächsten jagte. Das Fassungsvermögen im Kopf der meisten Menschen scheint allerdings so begrenzt, dass es allgemein nicht reicht für eine politisch ausgereifte Meinung. Nun, das ist auch nicht weiter verwunderlich, das Leben wird (dank unserer eigenen Erfindungen und selbstkreierten Notwendigkeiten!) so komplex, dass wir über viele Dinge nachdenken können, nur nicht über die Verantwortungsträger dieses Landes. Was zur politischen Meinungsbildung bleibt, passt auf die Titelseite der Tages"zeitung" mit vier Buchstaben. Da sich die "BILD" allerdings hauptsächlich an die Meinungsbildung dank Skandale und Polemik hält, bleibt nicht mehr viel Raum für ein ausgereiftes politisches Weltbild.

Nur eins mal vorneweg: ich habe nichts gegen die Piraten - das Problem ist nur, ich habe auch nichts für sie. Ich verstehe nicht den Hype um die Piraten, kann die Begeisterung um ein sehr unausgereiftes Wahlprogramm nicht nachvollziehen oder warum die Menschen kollektiv den Drang verspüren, "orange" zu wählen. Protest ist eine gute Sache, Protest hilft überall auf der Welt, seinem Ärger über das Weltgeschehen Luft zu machen. Einziger Haken ist in diesem Land, dass diese Form des Protestes uns persönlich nicht sonderlich weiterbringen wird. Die Menschen hoffen bei den Piraten auf "neue Politiker", die wahrhaft in der Lage sind, die Wünsche des Bürgers zu vertreten. Aber was haben die Menschen eigentlich für Wünsche? Nun, an diesem Punkt setzt der wahrhaft clevere Schachzug der Piraten an: sie "hören" sich die Meinungen der Bürger wirklich an, sind dank Internet immer direkt mit dem Wähler verknüpft und haben dieses Instrument aufgegriffen, wo die etablierten Parteien Winterschlaf gehalten haben.

Also hören die Piraten dort hin, wo die anderen Parteien längst taub geworden sind? Wahrscheinlich und das ist auch der einzige Erklärungsversuch, den man anstellen kann, wenn man den Erfolg der Piraten analysieren will. Am Parteiprogramm kann es nicht liegen... freies Internet für alle, freie Musik und Filme für alle, ein bedingungsloses Grundeinkommen. Willkommen im "Robin Hood"-Land! Vielleicht auch in der Neuauflage der DDR. Nun, ich gebe zu, ein wenig obskur erscheinen mir diese Forderungen der Piraten schon, auch wenn man ergänzend hinzufügen möchte, dass das nicht die einzigen Punkte auf dem Wahlprogramm der Piraten ist. Was im Ende nur wirklich Angst machen kann, ist die Unberechenbarkeit der Piraten, weil man nicht weiß, wofür sie eigentlich stehen; wenn selbst die Leute, die sie wählen, gar nicht wissen, warum sie sie wählen, bedarf das schon einiger Gründe zur Nachdenklichkeit.

Ähnlich wie den Piraten ging es vor 30 Jahren den Grünen! Das zumindest sagen alle Befürworter der Piraten, die sich auf die Parteigeschichte der Grünen stürzen und plötzlich wieder Ahnung von Politik haben. Einerseits wissen sie nicht, was sie wählen sollen, haben kaum noch Ahnung vom Parteiensystem und den Wahlprogrammen der einzelnen Parteien - aber wenn es ums Verteidigen der Piraten geht, da kennen die Wähler auf einmal die Parteigeschichte der Grünen? Interessant, was der Kampfeswille doch so alles bewirken kann! Ganz unrecht haben sie damit nicht, immerhin wurden die Grünen in den 80er Jahren noch als "Ökopartei" belächelt. Andererseits: werden sie das teilweise nicht heute noch? Oder sind sie nicht schon so weit weg von ihrem Ökoimage, dass die Menschen gar nicht mehr wissen, wofür sie stehen?

Der Neoliberalismus hat sich verlagert - von der FDP hin zu den Grünen. Mehr Bessergestellte denn je wählen die Grünen, nicht, weil sie plötzlich den Drang haben, die Umwelt zu retten, sondern weil das Parteiprogramm nach ihrem Geschmack ist. Damit haben sich die Grünen auch gleichzeitig ein Eigentor geschossen: von der Öko- zur Yuppiepartei in 0,5 Sekunden? Sie haben den Wandel wohl vollzogen und klar, Geld ist immer wichtiger als die Rettung des Planeten. Dadurch sucht sich die Wählerschaft allerdings Alternativen, die ihnen das bieten, was sie hören wollen, was sie erreichen wollen - Willkommen, all ihr Piraten in die Landtage der Bundesrepublik Deutschland!

Grün wählen ist allerdings nicht nur durch den Imagewandel der Partei mehr als zweifelhaft geworden. Auch die Tatsache, dass die "Weltprobleme" in Sachen Umweltpolitik oberflächlich gelöst sind, hat Stimmen gekostet. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hatten die Grünen ein subtropisches Sommerhoch, ihre Wählerschaft erhöhte sich auf weit über 20% und selbst die SPD musste als zweitstärkste Partei des Landes um ihre Stellung zittern. Allerdings wäre Frau Merkel nicht mehr Frau Merkel, wenn sie sich dieses Hoch nicht selbst zunutze gemacht hätte: plötzlich war die CDU, der Liebling der Atomlobby, der Vorreiter in der Umweltpolitik und schrie: "Erneuerbare Energien für alle!". Da man mit Speck Mäusen fängt, hatte sich die Sache kurze Zeit später erledigt und die CDU galt als neue Ökopartei... dass die Kanzlerin noch einige Monate zuvor das Zugpferd für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland war, war plötzlich vergessen. Die Euphorie des Ausstiegs aus der Atomkraft konnte die CDU (gepaart mit dem Sparkurs in Sachen Eurokrise) mitnehmen und auf den Schwingen absoluter Wählerbeliebtheit in den Sonnenuntergang fliegen.

Aber genug von Karl May Romantik, auch wenn der Mann in dieser Woche seinen 100. Todestag feiert. Schlussendlich haben Cowboys, Indianer und Piraten recht wenig miteinander zu tun, auch wenn die Rahmenbedingungen wohl die gleichen sind. Erst in dieser Woche wurde zum Thema jedoch passenderweise der FDP Generalsekretär Patrick Döhring gefragt, ob er vor den Piraten Angst habe. Kleiner Schenkelklopfer an dieser Stelle gefällig? Nun, kommt in Form seiner Antwort: "Ich habe keine Angst vor den Piraten - weder vor denen in Deutschland noch vor denen in Afrika!" Knaller, oder? Mit solch einer Naivität 1. die politischen deutschen Piraten mit den Terrorpiraten vor den Küsten Afrikas zu vergleichen und 2. die "echten" Piraten in Afrika so zu unterschätzen ist politisch wohl kaum noch politisch tragbar, erklärt aber dann doch wohl unter anderem, warum die FDP so gewaltigen "Schiffbruch" erleidet (das war dann nun mein Schenkelklopfer zu diesem Thema, danke für den Applaus!).

Wohin aber jetzt mit der "neuen" Partei, die die Welt (zumindest die Deutsche) retten soll? Der Aufschwung dieser Partei ist wohl kaum aufzuhalten, denn je mehr die politischen Experten vor der Unerfahrenheit dieser "Politiker" warnt, desto mehr werden sich die Menschen darauf stürzen. Gehört wohl auch zu Murphys Gesetz: "Alles was schiefgehen kann, geht auch schief". Mit anderen Worten: wenn Deutschland die Politik schon nicht mehr für Voll nimmt, dann kann man auch gleich Spaßparteien in den Bundestag berufen und die Kompetenz der Politik komplett begraben. Vielleicht funktioniert Politik im üblichen Sinne auch nicht mehr. Wenn die Reichen immer reicher werden, die Armen immer ärmer und die Schere zwischen beiden Parteien immer weiter auseinanderdriftet, der Mittelstand (immerhin die Hauptwählerschaft der FDP) langsam aber sicher zur aussterbenden Art gehört, ist es wohl an der Zeit, die Politik als Institution an den Nagel zu hängen... oder alles in Schutt und Asche zu legen, damit man es wieder aufbauen kann.

Abwarten kann man nun die Entwicklung bis zum nächsten Jahr, wenn die gesamte Republik wieder wählen darf. Es steht wohl bereits jetzt fest, dass die Piraten in den Bundestag einziehen werden, die Beliebtheit der Piraten ist dank der Wahl im Saarland noch einmal kräftig angestiegen. Mit wie vielen "Jack Sparrows" sie das tun werden, wird die Zukunft zeigen. Eins ist sicher: wenn die FDP weiterhin mit dummen Sprüchen und unbeliebten Entscheidungen glänzt, schafft sie den Einzug wohl nicht mehr. DAS wäre dann an dieser Stelle doch eine Sensation, wenn auch keine wirklich unangenehme. Den Absturz von über14,6% auf fast Null ist schon bemerkenswert. Bei einer Autofahrt einen Aufprall von 100 Stundenkilometer gegen eine Mauer zu überleben ist auch eher unwahrscheinlich, also warum sollte die FDP diesen Absturz politisch überleben. Es bleibt wohl nur noch das Begräbnis der FDP zu organisieren - vielleicht erklären sich dafür die Piraten bereit, wenigstens eine Internetpräsenz in diesem Rahmen könnten sie doch gründen.

Wie die Piraten sich indes schlagen werden, sobald sie auch bundesweit Mitspracherecht haben, wird wohl erst den Beweis bringen, ob diese Partei überhaupt zu irgendetwas taugt oder nicht. Ich bin immer sehr vorsichtig mit zuviel Euphorie und Vorschusslorbeeren, gerade weil es sich bei den Piraten um eine nicht von der Gründung, sondern auch vom durchschnittlichen Mitgliedsalter her um eine sehr junge Partei handelt. Wenn sich die Piraten aber als die neuen Weltenretter herausstellen sollten, werde ich die letzte sein, die diesem Glück im Wege stehen wird. Ich bin ja schließlich kein FDP-Mitglied!

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern des Blogs ein schönes Wochenende und verabschiede mich bis zum Ostersamstag, an dem es wieder einen neuen Beitrag geben wird.

LG Gene :-) 

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