Samstag, 11. Februar 2012

"Pride (In The Name Of Love)" - Demonstrieren und Marschieren

Erinnert sich noch irgendjemand an die 80er Jahre? Es scheint eine verrückte Frage zu sein... einerseits, weil wir uns inzwischen rein technisch und von der Weltsicht her in einer ganz anderen Welt zu befinden scheinen. Auf der anderen Seite ist es grotesk zu vermuten, dass sich kein Mensch mehr an das vorletzte Jahrzehnt im letzten Jahrtausend erinnern kann. Jedoch: allein diese Umschreibung der 80er Jahre klingt ein wenig gruselig... vorletztes Jahrzehnt... das letzte Jahrtausend... das klingt, als wären wir seitdem schon so viel weiter, dass allein Dinge, die aus den 80ern stammen, als archäologische Funde ausgestellt werden müssten. Und tatsächlich, es gibt Walkmen aus den 80ern, die es bis in die Museen dieser Welt geschafft haben. Nur als kleine Zwischenbemerkung: ein "Walkman" ist der Vorreiter des heutigen iPod... für alle Apple-Verwöhnten, die so gut wie gar nichts mehr verstehen, solange das Produkt keinen abgebissenen Apfel als Marke trägt.

Aber genug vom Spott auf die "beste und tollste Marke der Gegenwart", es gibt wichtigere Probleme als Apple. Warum ich überhaupt von den 80ern spreche? Nun, bei dem Gedanken an den dieswöchigen Blogeintrag kam mir spontan der Song "Pride - (In The Name Of Love)" von U2 in den Kopf. Ja, die Band, von der heute nur noch die Rede ist, weil sich ihr Leadsänger Bono Vox als Weltretter versucht. Zugegeben, er macht sich nicht schlecht in der Rolle, mehr noch, er hat mit seinem Engagement bereits viel erreicht. Wenn es allerdings um die Musik von U2 geht, sind mir die Asbach-uralt Sachen aus den 80ern noch am Liebsten. Und das trotz der Tatsache, dass ich ansonsten von Musik der 80er Jahre nicht viel halte (ein paar Ausnahmen ausgenommen!).
Doch zurück zu dem Song: "Pride (In The Name Of Love)"... ein Lied, in dem es um den Freiheitskämpfer Martin Luther King Jr. geht, eine Huldigung an seinen Kampf für die Menschenrechte der Schwarzen in den USA der 60er Jahre. Gerade jetzt, genau ein Jahr nach dem Sturz von Mubbarak in Ägypten und damit dem Beginn der "Demokratie" im Land hat der Song entfernt mehr Brisanz denn je - knapp 30 Jahre nach Erscheinung des Songs.

Wer denkt, dass die Welt gerade nicht brennt, dass es keine Probleme gibt und alles in Butter ist, nur weil die Welt im unmittelbarem Umfeld ruhig verläuft, der hat wohl in letzter Zeit keine Nachrichten gesehen oder ignoriert konsequent die wichtigen Themen auf der Welt - wie es in RTL-Nachrichten so gerne der Fall ist. Sicher, es passiert immer irgendwo etwas, es muss auch so sein, sonst wäre das Leben totlangweilig und kein Mensch würde die Existenz als erstrebenswert empfinden. Trotzdem können die Ereignisse, die seit gut einem Jahr stattfinden, für Entsetzen sorgen. Heftiges Kopfschütteln über die Demonstrationen in Ägypten, die im Ende für diejenigen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben (neben den über 3000 Menschen, die ihr Leben verloren) wenig bis gar nichts gebracht haben.
Die Demonstranten haben ihre Forderungen nach Freiheit nur im Ansatz durchsetzen können, ihre politischen Wünsche und Anforderungen sind im Wahlkampf, den die Muslimische Bruderschaft haushoch gewonnen hat, untergegangen. Und dank der übriggebliebenen Radikalanhängerschaft des alten Regimes kommt es (wie in der vergangenen Woche) zu Ausschreitungen wie bei dem Fussballspiel, bei dem über 70 Menschen ums Leben kamen. An dieser Stelle kann man wohl die Frage, ob sich wirklich etwas in Ägypten verändert hat, mit "Im Prinzip... Nein!" beantworten. Hoffnung gab es, gerade weil die Welt doch dachte, wir leben heute in solch einer aufgeklärten und meinungsfreien Welt, dass sich am Ende alles zum Guten wenden müsste. Hollywood hat es doch so schön vorgemacht, immer und immer wieder, seit Jahrzehnten. Zum Schluss, kurz bevor der Vorhang fällt, wird alles wieder gut. Warum dann nicht im "wahren Leben", im Hier und Jetzt?

Die meisten Menschen denken sich wahrscheinlich: "Weil wir uns noch nicht am Ende befinden." Aber was, wenn doch? Laut Maya-Kalender ist 2012 alles zu Ende... auch wenn ich persönlich nicht an den Weltuntergang Ende 2012 glaube (es wird wohl nur die Vorstellungskraft der Mayas gewesen sein, die nicht mehr gereicht hat, weiter zu gehen als bis zum Jahr 2012), wäre allein dieser Grund doch mal ein Ansatz nachzufragen, warum auf der Welt eben gerade nicht alles nach dem Hollywood-Prinzip funktioniert. In Ägypten will die neugewonnene Demokratie nicht so recht funktionieren, Libyen ist ein Trümmerhaufen und in Syrien sorgt Assad nach Leibeskräften dafür, dass Syrien bald am Besten gar nicht mehr existiert. Okay, für die Westler wäre das jetzt kein Weltuntergang, immerhin weiß doch keiner so wirklich, was Syrien überhaupt ausmacht und wer interessierte sich vorher schon für den Staat in Vorderasien.

Das Töten geht munter weiter in Syrien, 6000 Tote und es geht immer weiter. Ein machtbesessener Diktator, der seine Macht nicht abgeben will und sein Volk lieber tötet und ein menschenleeres Land regiert. An dieser Situation ist wohl alles erschreckend: die täglich Dutzende von Toten, Leichenreihen mit Kindern und Säuglingen und nicht zuletzt der Größenwahn eines Mannes, der nicht nur optisch dem Schrecken unserer eigenen deutschen Vergangenheit, Adolf Hitler, verdammt nahe kommt.

Die einzige Frage, die sich in diesen Zeiten nur stellen mag, gerade in unserer heutigen Gesellschaft, ist die, warum das Ausland nicht schon längst mit harten Bandagen eingegriffen hat. Gerade in dieser Woche kam wohl die Antwort: Russland. Das Land, das sich Demokratie schimpft und dabei so weit davon entfernt ist wie Dieter Bohlen von der Rente (leider, leider, leider!!!) hat sich quergestellt, als es um Interventionen ging, die das Leid in Syrien beenden könnten. Allein schon die Planung von Interventionen haben bei Russland ein kaltherziges, stures Kopfschütteln ausgelöst. Und warum? Geld, was sonst? Geht es eigentlich noch um irgendetwas anderes auf diesem Planeten, als bedrucktes Papier, mit dem man schöne (und weniger schöne) Sachen kaufen kann? Da Russland Syrien und Assad immer weiter mit Waffennachschub versorgt und daran kräftig verdient, werden die wohl einen Teufel tun, eine ihrer Einnahmequellen zu zerstören. In diesem Zusammenhang sind die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Russland wohl noch eine Hiobsbotschaft, die kein Mensch braucht. Die Rückkehr von "General Korrupt" Wladimir Putin ist wohl nur von Diktatoren und Verbrechern mit Heißhunger erwartet. Oder von Menschen, die aus Angst vor dem (politischen oder körperlichen) Tod gerne den Hintern von Putin küssen wollen.

Als wäre das Drama in Syrien und das Entsetzen über das Verhalten von Russland nicht schon schlimm genug, kommt dann noch der Gartenzwerg der Weltpolitik (nein, nicht Sarkozy, sondern Ahmedinedschad!) daher und wirft seine Giftpfeile einfach in alle Richtungen aus. Atomtests, Urananreicherungen... dieser Mann scheint wohl spezifisch nach Dingen zu suchen, mit denen er negative Aufmerksamkeit erregen kann. Wie wir alle wissen, gibt es heutzutage zwar immer noch gute und schlechte Publicity - es ist allerdings inzwischen egal, welcher Kategorie diese Aufmerksamkeit angehört, Hauptsache ist, sie ist überhaupt da! Aufmerksamkeit macht einen Menschen wichtig und wenn ein Mensch wichtig ist, bekommt er Macht, viel Macht... die Menschen respektieren dann entweder den Mächtigen - oder sie fürchten ihn. Und Assad, Putin und Ahmedinedschad haben wohl gemeinsam, dass sie es lieben, wenn der Rest der Menschheit sich vor ihnen fürchtet.

Nun, die Menschheit baut sich ja nicht unbedingt auf den Kreml auf, aber die Weltpolitik geht zu gerne in die Knie, wenn Russland "Nein!" sagt. Sie haben ständig Angst, Russland auf die Füße zu treten, sie zu vergraulen... und Angst, dass der Hintern frieren könnte, wenn wir alle aus Russland kein Gas mehr bekommen. Wir sind nicht zu unrecht ängstlich, wenn es um Putin geht, den Mann, den niemand zum Feind haben will, immerhin ist gerade seine Regierung für Manipulation und korrupte Machenschaften bekannt. Und auch vor Mord scheint dieses Regime nicht zurückzuschrecken, wenn man sich auf die Oppositionsseite stellt. Doch dass das Ausland (speziell wir Westler) so schnell kleinzukriegen sind, ist traurig... wenn nicht gar beunruhigend.

Doch zurück zum zentralen Thema: das Demonstrieren. Wie in Ägypten, Tunesien, Libyen und auch in Syrien im vergangenen bis diesem Jahr und in New York und anderen westlichen Staaten (Stichwort: Occupy Bewegung), so gibt es dieser Tage weltweit Demonstrationen gegen das geplante "ACTA"-Abkommen ein, ein multilaterales Handelsabkommen zum Schutz des Urheberrechts und gleichzeitig gegen die Produktpiraterie. So schön, so gut... und trotzdem sind viele Menschen mit diesem Abkommen nicht einverstanden, da sie befürchten, das Internet könnte nicht mehr "frei" sein, die Gedanken- und Meinungsfreiheit könnte dadurch eingeschränkt werden. Ich frage mich im Moment, ob ich wirklich eine Meinung zu dieser ganzen Diskussion habe, dem Aufstand, den die Gegner dieses Abkommens machen und ob ich dafür oder dagegen sein soll. Ich weiß, dass ich gegen die absolute Freiheit des Internets bin, wenn sie anderen Menschen schadet - und das ist oft genug der Fall, auch wenn es dabei mal NICHT ums Geld geht!

Klar, die Produktpiraterie ist eine schlimme Sache, der Angriff auf das Urheberrecht ist ein Verbrechen und muss bestraft werden. Es ist logisch, dass Menschen, die mit Produkten, die aus ihrem geistigen Eigentum stammen, Geld verdienen wollen. Ob es nun wirklich ehrenhaft ist, dass sie dabei den Hals nicht vollkriegen, sei mal dahingestellt, aber man kann verstehen, dass sie sich nicht unbedingt freuen, wenn es um Ideenklau geht. Was anderes ist das illegale Verteilen von Unterhaltungsdateien nicht. Ungerecht wird der Kreuzzug gegen Piraterie, wenn statt der großen Haie, die Datenklau und -verteilung im großen Stil betreiben, fast ausnahmslos kleine Fische mit hohen Geldstrafen bestraft werden. Es mag sein, dass diese Menschen eventuell ihre Lektion daraus lernen, aber dämmen solche Maßnahmen wirklich das Problem ein? Wenn einer bestraft wird, bekommen alle anderen Angst? Wenn dieses Prinzip funktionieren würde, wäre das Phänomen "Alkohol am Steuer" längst ausgestorben. Oder Drogenmissbrauch. Oder das Verbrechen allgemein. Was für eine schöne Welt, ganz ohne Verbrechen und blühenden Landschaften... gut, ich schweife wieder ab!

Was mich an den derzeitigen ACTA-Kritiken stört, ist der Kampf für ein absolut freies Internet. An dieser Stelle darf gefragt sein, was genau wir von einem absolut freien Internet haben? Mehr Information? Bessere Information? Breiter gefächerte Information? Oder einfach nur eine Flut von Information, die keiner wirklich einordnen kann? Hinzu die grenzenlose Meinungsfreiheit, die in der Anonymität des Netzes als neues Mittel der Feigheit genutzt wird, um andere Menschen fertigzumachen und bis in den Selbstmord zu treiben. Der Mut, einem anderen Menschen, den man nicht leiden kann, die Meinung ins Gesicht zu sagen, hat fast keiner mehr. Aber im Internet werden alle zum verbalen Superman, vertreten ihre "Meinung", egal wie unqualifiziert sie sein mag, und richten damit andere Menschen gezielt zugrunde. Ohne, dass der Angegriffene sich wehren kann. Ja, schöne Internetwelt - das ist doch genau die Welt, die es zu erhalten lohnt!

In diesen Tagen erschreckt mich persönlich, dass es uns allen so verdammt wichtig ist, dass es a) das Internet überhaupt gibt und b) dass das Internet genau so bleiben soll, wie es ist. Es wird so getan, als hätte das Internet keine Fehler, dabei sind die Fehler so tiefgreifend und zahlreich vorhanden, dass es eigentlich schon wehtut. Das hat nicht sonderlich viel mit Datenklau oder dem Datenschutz zu tun, der so gerne bei sozialen Netzwerken mit Füßen getreten wird, es geht um die menschliche Komponente, auf die so sehr geachtet wird, auf die inzwischen mehr wert gelegt wird als zu jeder anderen Epoche unserer Zeitrechnung... trotzdem haben wir kein wirkliches Gefühl mehr zueinander. Erstaunlich, oder? Wir erwarten Liebe an allen Ecken und Enden, große Gefühle, Verständnis und Geborgenheit... dabei sind wir nicht einmal mehr in der Lage, das alles selbst zu geben. Im Internet verstecken sich Gefühle nur noch hinter getippten Zeilen, Emoticons oder kopierten Sprüchen statt offen gelebt zu werden. Es geht nur noch um die Quantität von Freundschaften oder herausposaunten "Gefühlen" und "Gedanken", nicht mehr aber um die Klasse, die Qualität des Lebens. Ist diese Internetwelt wirklich wert, am Leben gehalten zu werden? Geht deswegen laut Maya-Kalender die Erde unter? Ist das Internet Schuld? Oder gibt es am 21. 12. 2012 die endgültige Durchsetzung des ACTA-Abkommens und geht deswegen die Welt unter?

Fragen über Fragen, auf die nur die Zukunft die Antwort weiß. Mich jedenfalls macht es dieser Tage traurig, dass kein Mensch in Deutschland auf die Straße gehen würde, um den Opfern in Syrien zu gedenken oder sich dafür einsetzen würde, dass endlich etwas von der deutschen Regierung getan wird im Kampf gegen Syriens Schlächter Assad. Vielleicht ist es nicht mehr wichtig, wenn Menschen sterben... das Einzige, was noch der Rettung bedarf (wenn nicht der Natur oder Menschenleben) ist wohl das Internet, die Technik, das neue Gehirn des Kollektivs.

Zugegeben: auch dieser Blog ist im Internet veröffentlicht. Ich bin in der großartigen und privilegierten Lage, meine Meinung über das Internet preiszugeben ganz ohne Einschränkungen. Aber wäre es für mich ein wirklicher Verlust, wenn ich das von Heute auf Morgen nicht mehr dürfte? Würde ich nicht einfach einen anderen Weg finden, meine Texte zu veröffentlichen? Natürlich wäre das schwieriger, aber unmöglich wäre es keinesfalls. Zu keiner Zeit war es unmöglich, seine Meinung zu sagen, nicht einmal in einer Diktatur. Das einzige Problem war der Grad an Gefahr, den man für die Äußerung seiner Meinung eingehen musste. Wir setzen uns inzwischen keiner Gefahr mehr aus, wenn wir unsere Meinung im Internet sagen, zumindest keiner Lebensgefahr (das gilt nicht für alle Länder dieses Planeten, aber doch für recht viele!). Nur sollten sich alle Verfechter des Internets fragen: hat das die Qualität der Meinungsäußerung gesteigert? Die Flut an Information, hat sie uns wirklich zu aufgeklärteren, besseren Menschen gemacht? Oder sehen wir (wie in einer Diktatur) im Ende nur das, was wir sehen wollen? Der wohl einzige Unterschied in der Demokratie ist, dass wir entscheiden, was wir sehen wollen, statt es von einem anderen vorgesetzt zu bekommen. Doch verschlossen vor der Vielfalt der Wahrheit sind wir auch in Zeiten des Internets.

Wie gesagt, ob ich das ACTA-Abkommen nun gutheißen soll oder nicht, weiß ich nicht. Vielleicht interessiert mich das Thema im Moment nicht stark genug in Zeiten, in denen täglich so viele Menschen in Syrien erschossen werden in blindem Hass und Größenwahn. Oder die Natur immer weiter zerstört wird, womit auf Dauer die Menschheit auf diesem Planeten sowieso nicht überleben kann. Ist das Internet DANN wirklich noch wichtig? Diese Frage müssen wir uns wohl alle stellen, wir Abhängigen des world wide web.

In diesem Sinne wünsche ich (erneut mit 24 Stunden Verspätung) allen Lesern (oder Nichtlesern!) dieses Blogs ein schönes Wochenende und bis zum nächsten Blogeintrag am nächsten Freitag.

LG Gene :-)

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