Freitag, 20. Januar 2012

Das Kreuz (der Verantwortung), das keiner tragen will...

Wenn jemand nach dem "Thema der Woche" heute fragen würde, wäre das wohl entweder das Unglück der "Costa Concordia" vor der Küste der italienischen Insel Giglio oder (immer noch) das Hickhack um unseren guten Bundespräsidenten. Also befinden wir uns genau in der Mitte zwischen einem Schiff in Seitenlage mit bald drohender Umweltkatastrophe und geschenkten Bobby-Cars. Da ist doch wirklich die Frage, worüber man mehr heulen soll - über die Toten bei dem Schiffsunglück oder über die Stumpfsinnigkeit.

Okay, ich habe bereits in der letzten Woche genug auf der Dummheit der Menschheit gehackt. Es wird in diesem Sinne wohl Zeit für eine "neue Platte". Doch wie es nunmal im Leben und in der Musik so ist, alles ist eingeteilt in Genres - sei es bei Langspielplatten oder bei der Themenwahl. Und so lässt sich alles irgendwo irgendwie einordnen. Der folgende Beitrag? Wird sich wohl nahtlos an das Thema der letzten Woche anreihen... und das nicht einmal gewollt! Es ist einfach "Geschichte, die sich wieder und wieder wiederholt" und aus der irgendwie niemand etwas lernt. Aber es geht sogar noch schlimmer...

Das Unglück der "Costa Concordia" erschütterte (anfangs eher weniger, jetzt nach einer Woche umso mehr) die Menschen, wobei die erste Frage immer lautete: "Wie kann so etwas in der heutigen Zeit noch passieren?" Ehrlich, diese Frage ist wohl eine der dümmsten, die man in diesem Zusammenhang stellen kann. Es wird behauptet, bei all dem technischen Fortschritt dürfte es keine Schiffsunglücke mehr geben, die Menschen wären doch so weit, dass sich so etwas wie die "Titanic" unter keinen Umständen wiederholen könnte. Andererseits: Autos gibt es auch schon seit Ewigkeiten, sie wurden technisch immer weiter entwickelt, mit immer mehr Raffinessen ausgestattet - und, Überraschung! Es sterben immer noch Menschen durch Autos. Nicht nur die, die als Fußgänger überfahren werden, nein, es sterben Menschen doch tatsächlich noch in ihren Autos. Sie sind angeschnallt, Airbags sind auch vorhanden, dazu noch technische Spielereien, die am Besten jeden Unfall schon voraussehen bevor er passiert. Und trotzdem hilft es nicht zu 100%, Katastrophen zu verhindern! Genauso oder so ähnlich darf man sich das Unglück der "Costa Concordia" vorstellen: es geht nicht darum, dass so etwas dank technischem Fortschritt nicht passieren dürfte, es passiert einfach. Warum? Anscheinend, weil es immer noch geht - und es geht, immer und immer wieder... dank der menschlichen Dummheit und ihrem Hang zum Fehlverhalten.

Natürlich steckt hinter dem Unglück der "Costa Concordia" menschliches Fehlverhalten - schockierend ist für die Menschen wohl nur, wie verantwortungslos und dumm ein Mensch sein kann, das Leben von so vielen Menschen in Gefahr zu bringen.
Es war diesmal kein Eisberg, der kurz vor knapp gerammt wurde, dafür dachten die Verantwortlichen auf dem Schiff, es sei wohl besonders prickelnd, ganz dicht an der Küste des Ortes Giglio vorbeizufahren, bei voller Beleuchtung, damit sie persönliche Lobhudeleien vom Bürgermeister bekommen, was für ein "Wahnsinnsschauspiel" das doch war. Ja, ein Schauspiel gab es - gibt es immer noch... ob der Bürgermeister das so Bombe findet, ist wohl eher nicht der Fall. So viel Publicity (und dazu noch so viel schlechte) wünscht sich wohl kein Ort. Es sei denn, man ist Diktator und heißt Assad - dann ist einem jede Publicity recht.
Nun, wir sind hier (noch) nicht bei Diktatoren, eher bei selbstverliebten Kapitänen, die dann später behaupten, sie hätten alles menschenmögliche getan, um die Menschen an Bord zu retten. Merkwürdige Logik, denn wer das Schiff vorzeitig verlässt, kann keine Ertrinkenden mehr retten. Und wenn ein Kapitän erst als Letzter das Schiff verlassen dürfte, müsste Schettino heute noch an Bord des Schiffes sein - als Leiche! Wie wir aber alle wissen, ist das nicht der Fall. Der Mann ist in ein "Rettungsboot gestolpert", vielleicht ist er auch "versehentlich hereingesprungen" oder "die Götter haben ihm befohlen, von Bord zu gehen"... wer weiß das schon. Gut zu wissen, dass der Mann zum Unglückszeitpunkt mit einer 25jährigen Tänzerin beschäftigt war und ansonsten auch nicht viel Unrechtsbewusstsein hat, denn immerhin, er hat ja "alles Menschenmögliche getan".

Doch mal unabhängig von Schettino's Verhalten gibt es viel mehr, dass einem auffallen sollte in dieser Woche - und das auch gerade im Zusammenhang mit (ja, schon wieder!) dem Bundespräsidenten. Wenn Schettino und Wulff eins gemeinsam haben, dann die Tatsache, dass sie nicht so richtig gerne Verantwortung für ihre Taten übernehmen. Gut, Wulff hat in dieser Woche (nach langem Zögern und viel "Übezeugungsarbeit" der Öffentlichkeit) den Fragenkatalog beantwortet und ins Internet gestellt. Andererseits: wenn ich mir einige Monate Zeit nehme, um Fragen zu beantworten, die mir unangenehm sind, kann ich mir auch schöne Antworten zurechtbasteln. Das käme einer Prüfungssituation gleich, in der man statt 2 Stunden 2 Monate Zeit hat, die Antworten aufzuschreiben. Am Besten zwischendurch noch ein wenig in den Unterlagen nachschlagen und sich mit einem Expertenteam beraten, dann klappt es auch mit der Bestnote in der Prüfung.
Natürlich ist es schwierig, einen unangenehmen Fragenkatalog zu beantworten, wenn man das höchste Amt im Staate inne hat. Da wäre doch der Ausspruch "L'état c'est moi" von Ludwig XIV. weitaus angebrachter für Wulff, immerhin könnte er damit die Affäre um Billigkredite und Gratisurlaube viel schneller unter den Teppich kehren. Und die neueste um geschenkte Bobby-Cars. Nun finden viele Menschen gerade diesen "Aufhänger" in den Nachrichten mehr als lächerlich, auf der anderen Seite wenn man die Summe aller kleinen Affären betrachtet, hat Wulff sich doch einen "Harem an Fehltritten" geleistet. Vielleicht ist genau das der Zündstoff selbst an der Sache mit dem Kinderauto für seinen Sohn.

"Schwamm drüber!" kann man da wohl nur sagen. Es ist wohl die Frage, ob die Menschen wirklich in einem Jahr alles vergessen haben, was nun über Wulff ans Tageslicht gekommen ist. Bis dahin lautet die Devise für ihn "tapfer aussitzen!". Und dieser Trend ist bei weitem nicht neu, er ist eher wiederauferstanden und ähnelt (traurigerweise) bester Diktatoren-Manier. Menschen, die in einem totalitären Staat die absolute Macht haben neigen auch häufig dazu, nicht zu wissen, wann sie zu gehen haben. Hitler hat es erfolgreich vorgemacht, Mao, Hussein, Gaddafi, Assad und Ahmadinedschad machen in diesem Reigen immer noch erfolgreich mit. Verständlich, dass sich demokratisch gewählte Volksvertreter denken, dass sie das auch könnten. Einziger Unterschied: sie nutzen die Demokratie, um an ihrem Stuhl festzukleben. Eine Waffe hat bis jetzt noch keiner von ihnen auf das eigene Volk gerichtet, die einzige Waffe, die sie auf das Volk richten, ist die Waffe des Gesetzes. Mit anderen Worten: solange sie nicht völlig gegen das Gesetz verstoßen, gibt es einfach keinen Grund zu gehen. Die Betonung sollte in diesem Fall wohl auf "völlig" liegen, denn gegen das Gesetz verstoßen sie schon irgendwie, allerdings nur in der Grauzone.

Den Hut nehmen, das kommt für Politiker heutzutage wieder erst dann in Frage, wenn es gar nicht mehr anders geht. Bestes Beispiel: Karl Theodor zu Guttenberg. Ja, der Arme, der wird auch für alles rangezogen. Nur, es stimmt: er legte erst alle seine Ämter nieder, nachdem einwandfrei bewiesen war, dass seine Doktorarbeit "technische Mängel" aufwies (er selbst spricht in dem Zusammenhang ja immer noch nicht gerne von einem "Plagiat"). Auch Noch-Außenminister Guido Westerwelle trat erst den Parteivorsitz ab, als die Umfragewerte weit unter die 5%-Marke rutschte. Einsicht über taktisch unkluge Äußerungen? Fehlanzeige. Und sein Nachfolger Phillip Rösler? Der sieht sowieso nix, trotz Brille! Andererseits: Brillen korrigieren nur Sehschwächen, keine Denkschwächen.
Und ähnlich wie Duisburg's OB Sauerland, der tapfer den Skandal um die "Love Parade 2010" aussitzt und sich immer noch im Amt befindet (obwohl der Großteil der Bürger in Duisburg ihn nicht mehr wollen!), so hofft auch der zumindest bei der Hälfte der Bevölkerung unbeliebte Wulff auf das "Schweigen der Lämmer" oder das Vergessen allgemein. "In einem Jahr redet kein Mensch mehr darüber!", so soll er auf einer Neujahrsfeier seine Mitarbeiter eingeschworen haben. Traurige Wahrheit: er wird wohl Recht behalten... und das, obwohl die meisten Journalisten das mit heftigem Kopfschütteln verneinen. Natürlich werden sie die Skandale um Wulff nicht vergessen, kluge Bundesbürger wohl auch nicht. Aber der Rest? Der Großteil der Bevölkerung, der sich mit gar noch trivialeren Dingen wie dem "Dschungelcamp" auseinandersetzt, wird wahrscheinlich sogar in drei Monaten die Skandale um Wulff vergessen haben, ganz im Gegenteil: ein paar Naturkatastrophen oder internationale Krisen später werden diese Menschen sogar froh sein, einen "so fähigen und ehrlichen" Bundespräsidenten zu haben.

Gerade dieses Phänomen haben wir in der Vergangenheit schon einmal erlebt - Stichwort: Stuttgart 21. So vehement, wie die absolute Mehrheit der Stuttgarter Bürger gegen den neuen unterirdischen Bahnhof der Stadt war, war es ihnen (als es endlich zur Volksabstimmung kam) erschreckend egal, sodass sie sich dann doch für das überteuerte Luxusprojekt entschieden. "Prinzip aussitzen!" hatte wieder einmal gewirkt. Widerstand gegen eine Ungerechtigkeit kann nur ausgesessen werden, dann sehen die Widerständler das Unrecht irgendwann als Recht und stimmen doch zu. So dachten es sich wohl auch die Verantwortlichen der Deutschen Bahn und es ist genauso eingetroffen, wie sie es sich gewünscht hatten: ob es jetzt bei der Volksabstimmung an der widersprüchlichen Fragestellung gescheitert ist oder doch an den Nerven, die die Bürger zeigten, es kann der Bahn relativ egal sein. Der Bahnhof wird gebaut, Mission geglückt und damit abgeschlossen! Und da dieses Prinzip so wunderbar funktioniert hat, geht es in vielen Alltagssituationen weiter. Sauerland tritt partout nicht zurück, gleiches gilt für Wulff - der Schleier der Vergessens wird es schon richten. Selbst wenn nicht: es scheint die Machtinhaber nicht groß zu kümmern - das Geld und die damit verbundene Macht setzen sich gegen jede Wehr der Massen entgegen, weil Geld so viel mehr zählt als alles andere auf dieser Welt.

Integrität und damit die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen (gerade dann, wenn's weh tut), ist der Politik (bis auf wenige Ausnahmen) scheinbar völlig abhanden gekommen. Nun, verwunderlich ist das indes nicht, wenn man sich den ganz "normalen Wahnsinn" anguckt, also das Leben, das sich um uns herum abspielt, fernab von jeglicher Politik. Kein Mensch übernimmt mehr gerne Verantwortung, wenn mal Mist gebaut wurde, es ist viel einfacher geworden, Fehler einfach unter den Teppich zu kehren, den Mantel des Schweigens darüber auszubreiten oder (was wohl die beste Methode ist) die Schuld jemand anderem zu geben. Das Wichtigste dabei ist wohl nur, dass man selbst am Besten dasteht. Woran das liegt, ist fraglich. Vielleicht hat uns Hollywood ein paar Jahre zu lange vorgelebt, dass das Leben perfekt ist. Oder allgemein die Erfolgreichen, die immer behaupten, sie würden zumindest sehr viel richtig machen und hätten aufgrund dessen den Erfolg verdient.

Krasser Gegensatz hierzu ist wohl nur die Sucht, anderen beim Scheitern zuzusehen. Der Mensch scheint sich immer wieder gerne am Leid anderer Menschen zu ergötzen, das Versagen als Antrieb für den eigenen Erfolg zu nehmen, wenigstens aber zur eigenen Beruhigung. Wieso sonst sollten sich derzeit durchschnittlich 10 Millionen Zuschauer ansehen, wie B-Prominente, von denen sonst niemand redet, im Dschungel von Langeweile gequält sich gegenseitig die Augen auskratzen, aber wenigstens der Lächerlichkeit preisgeben? Das Phänomen "Ich bin ein Star! Holt mich hier raus" ist kein neu erfundenes, dafür gibt es die Sendung schon zu lange. Wenn wir ehrlich sind, gibt es die Sendung genau 8 Jahre zu lange, aber ... sie wird immer wieder ausgestrahlt und hat immer wieder bombigen Erfolg. Ekel und Trivialität zum Trotz. Also, woran mag es liegen? Dieses Mal können die Hartz IV-Empfänger wohl kaum Schuld sein, es gibt nämlich nicht so viele in diesem Land wie es Zuschauer dieser Sendung gibt. Es muss auch nicht zwingend am Niveauabbau in Deutschland liegen, denn vorher gab es "Big Brother" (ja, die gibt es immer noch, allerdings nicht mehr mit dem Erfolg wie in den ersten Staffeln!), davor gab es circa ein Dutzend Talkshows täglich (!) und davor gab es immerhin die "Lindenstraße".

Was diese Formate gemeinsam haben (bis auf die "Lindenstraße", ich geb's zu) ist die scheinbare Sucht des Zuschauers, Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich der Lächerlichkeit preisgeben, wie sie scheitern. Gleiches gilt für sämtliche Castingshows, in denen es in den ersten 10 Sendungen nur darum geht, wie Leute nicht singen können, wie Leute nicht wie Models aussehen und wie Leute eigentlich nichts können. Wenn das Fernsehen normal wäre (ja, ich weiß, guter Witz!), müssten diese Takes eigentlich gnadenlos der Schere zum Opfer fallen, der Zuschauer dürfte diese Peinlichkeiten nie zu Gesicht bekommen. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall: diese Kandidaten (die keine sein dürften!) sind die Aufhänger dieser Shows.
Aber warum macht es uns nur so ungeheuren Spaß, Menschen beim Scheitern zuzusehen? Um uns daran zu erinnern, dass wir alle scheitern und das eigene Scheitern eigentlich gar nicht so schlimm ist? Oder um uns allgemein besser zu fühlen, weil wir solch einen grauenhaften Mist nie verzapfen würden?

Es gibt wohl mehr als eine Antwort auf diese Fragen. Fest steht nur, wir können wohl nicht damit rechnen, dass der erste Mann im Staat Vernunft annimmt und zu seinen Fehlern uneingeschränkt steht, wenn wir das, jeder für sich, im wahren Leben auch nicht kann. Gleiches gilt wohl auch im Fall Schettino und der "Costa Concordia". Sobald das Schiff (endlich!) gesunken ist (auch das wieder eine Form der Zuschauer, auf das Scheitern zu warten... und wenn es nur um ein Schiff geht), werden die Menschen ein paar Wochen später auch dieses Unglück wieder vergessen. Dann gibt es wieder eine neue Katastrophe; einen neuen Fleischskandal; ein bis zwei neue Erdbeben irgendwo auf der Welt, die fatalen Schaden anrichten; vielleicht ein neuer politischer Skandal um Flugmeilen (hoffentlich dann mal nicht mit Wulff in der Hauptrolle!) und nach spätestens zwei Monaten wird keiner mehr den Namen Schettino in den Mund nehmen. Bis auf die Menschen, die unmittelbar von dieser Katastrophe betroffen sind... die werden wohl den Namen nie wieder vergessen.

Alles, worauf ich in diesem Zusammenhang noch warte, ist der Wandel bei den Menschen, dass sie dauerhaft aufstehen und sich zur Wehr setzen, dass sie lernen, bei begangenen Fehlern auch die Konsequenzen mitzutragen. Ansonsten darf wohl nur noch auf die Fußnote gewartet werden, in der Schettino vielleicht (oder auch nicht) wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Doch selbst, wenn diese Fußnote kommt - wird bis dahin so viel Zeit vergangen sein, dass das Vergessen sich erfolgreich durch unsere Köpfe frisst.

In diesem Sinne, ein schönes Wochenende und eine gute neue Woche mit Dingen, die nicht so leichtfertig wieder vergessen werden. Bis zum nächsten Freitag zum neuen Blogeintrag.

LG Gene :-)

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