Freitag, 13. Mai 2011

Materialschäden in offenen Fleischwunden: Folge 1 - Plastik

Nachdem sich die letzten Wochen innen- wie außenpolitisch so schrecklich viel ereignet hat und auch in der Abteilung "Royale Prominenz" dank großer Hochzeit mit viel TamTam viel los war, ist es in dieser Woche ruhig. Merkwürdig ruhig. Spätestens gestern wurde mir das klar, als die Hauptschlagzeile in den Nachrichten lautete: die Lebensmittelpreise sind bei Nahrungsgrundmitteln um über 30% gestiegen. Ob nun Pommes frites, die mit über 40% den höchsten Sprung hingelegt haben, wirklich zur Nahrungsgrundlage gehören, darf angezweifelt werden.

Aber: irgendwie ist auf der Welt nicht mehr viel los. Die üblichen Terroranschläge (wie diese Woche in Pakistan mit 80 Toten), ein vergleichsweise kleines Erdbeben in Spanien mit neun Toten, ansonsten belaufen sich die Nachrichten wieder im Bereich "belanglos" bis "belangloser". Deswegen bin ich wieder selbst gefragt, wenn es um meinen wöchentlichen Eintrag geht. Und ich hatte eine Entscheidung zu treffen: Sex oder Umwelt. Die BILD hätte sich wahrscheinlich für Ersteres entschieden (das tut sie ohnehin jeden Tag!), Greenpeace würde wohl für Zweiteres plädieren. Und da in dieser Woche der erste Ministerpräsident der Grünen vereidigt wurde (Herzlichen Glückwunsch, Herr Kretschmann!), nehme ich mir die Freiheit, um über Zweiteres zu schreiben.

Die Gedanken über die Welt führen früher oder später zwangsläufig zurück nach Hause, zum eigenen Ich. Und wenn man dort angekommen ist, kommt man früher oder später (die Meisten erst später!) auf die Eigenverantwortung zu sprechen. Es gibt viele Dinge, die wir tun und meiden könnten, andererseits gibt es auch viele Dinge, die wir nicht tun, obwohl sie so notwendig wären. Nachdenken ist eine dieser Dinge. Allerdings kann ich den Großteil der Bevölkerung verstehen: es ist anstrengend und ermüdend, über sogenannte "Kleinigkeiten" des Lebens nachzudenken, schließlich wächst uns die Größe der technisch multikulturell modernen Welt über den Kopf. Es geht darum, mitzuhalten, bessesr zu sein als der Rest, immer auf dem Laufenden zu bleiben und jeden technischen Schnickschnack nicht nur zu haben, sondern auch zu beherrschen.

Kürzlich sah ich die neue Werbung zum iPhone im Fernsehen, die mit dem Satz begann: "Wenn du kein iPhone hast...", um dann mit dem sehr sinnigen Satz zu enden: "Wenn du kein iPhone hast, hast du kein iPhone!". Ich konnte nicht anders, als in diesem Moment zu denken: "Wow! Was für eine treffsichere Aussage. Wenn ich kein iPhone habe, habe ich tatsächlich kein iPhone - faszinierend!"
Wenn man jedoch weiter darüber nachdenkt, bekommt man einen leichten Schrecken. Warum? Weil es verdammt vielen Menschen so unheimlich wichtig ist, ein iPhone zu haben! Schlimmer noch: sie können sich ein Leben ohne ihr iPhone gar nicht mehr vorstellen (zu diesem Thema habe ich bereits zwei Blogs verfasst, siehe: hier und hier). Fatal, wenn man bedenkt, dass es schlimmere Tatsachen auf diesem Planeten gibt, als kein iPhone zu haben. An dieser Stelle kann ich sämtliche "Süchtige" beruhigen: ich habe KEIN iPhone und mein Körper und Geist funktionieren noch (einigermaßen, ich bin zufrieden!).

Die Umwelt steht der Sache mit den Mobiltelefonen wahrscheinlich genauso kritisch gegenüber wie ich. Aber die Umwelt hat verdammt viele Probleme in letzter Zeit; und statt weniger werden es im fast täglichen Rhythmus mehr. Es ist ein Problem, wenn ein Mensch viel verbraucht und die Umwelt damit belastet - es ist ein ganz anderes Problem, wenn aus einem Menschen Milliarden werden, die im "Königreich Ich" meinen, sie seien allein.
Um noch einmal auf die Schlagzeile "Lebensmittelpreise sind gestiegen" wieder zurückzukommen, ein interessanter Fakt außer der Reihe: unsere Lebensmittel sind um 30% teurer geworden auf der einen Seite - auf der anderen Seite wirft jeder Mensch etwa ein Drittel der Lebensmittel, die er einkauft, einfach ungenutzt in die Tonne. Jeder Deutsche schmeißt damit 330 Euro in die Mülltonne, einfach so.
Gründe? "Wir sind alle zu sehr beschäftigt!" könnte eine Entschuldigung lauten. "Die Lebensmittel werden in zu großen Verpackungseinheiten angeboten!" könnte eine andere lauten. Dass wir einfach wiedermal (wie an so vielen anderen Stellen des Lebens) schlicht größenwahnsinnig sind, darauf kommt wohl keiner. Denn: große Verpackungseinheiten sind nur ein Produkt unserer eigenen Gier. Vor 50 Jahren konnten die Menschen auch in Metzgereien und auf dem Wochenmarkt abgezählt ihre Lebensmittel einkaufen. Heutzutage geschieht das in in Plastik verpackten Einheiten. Immer aus der Angst heraus, man könnte nicht genug von jedem Lebensmittel im Haus haben. Warum soll ich zwei Äpfel kaufen, wenn ich für 2 Euro gleich einen Plastikbeutel mit 1,5 kg bekommen kann? Und im Ende kommt wohl wiedermal der Song der Toten Hosen zum Einsatz: "Warum werde ich nicht satt?"

Die Angst vor dem Hungertot kann nicht der Grund dafür sein, dass wir so unmäßig einkaufen. Immerhin ist der letzte Krieg in diesem Lande über 65 Jahre her. Die anschließende Hungersnot war für die damals Betroffenen schrecklich. Aber ehrlich: ich persönlich kann mich nicht daran erinnern, wie wahrscheinlich jeder, der diesen Blog liest. Warum? Weil wir alle zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gelebt haben.
Also, woher kommt unsere Gier? Wir scheinen nur aus einem Grund zu viele Lebensmittel zum angeblichen Schnäppchenpreis zu kaufen: weil wir es können! Und immer mit dem guten Gefühl im Rücken, mit dem Billigfleisch aus dem Supermarkt so richtig schön Geld gespart zu haben gegen die Ware, die es beim Metzger um die Ecke gibt.

Auch der angebliche Trend zu Bio-Lebensmitteln hat immer einen sehr faden Beigeschmack. Denn Bio steht inzwischen überall drauf, wo es eigentlich gar nicht hingehört, auf jeglichen Fast Food Produkten, die ungesund bleiben. Egal, wieviel Bio in den Rohstoffen steckt. Zusätzlich alles wiedermal in unser aller Lieblingsrohstoff Plastik verpackt, sind auch Biolebensmittel alles andere als ein Geschenk an die Umwelt.

Der Punkt ist nicht allein, dass wir mehr Lebensmittel einkaufen, als wir essen können (und als uns offensichtlich gut tut), wir verbrauchen auch eine Unmenge an Stoffen jeden einzelnen Tag, die unser persönliches Grab schaufeln. Das hier bereits angesprochene Plastik ist einer dieser Stoffe. Keiner von uns kann ich mehr ein Leben ohne Plastik vorstellen, weil es überall vorhanden ist: in sämtlichen Lebensmittelverpackungen im Supermarkt, in der Tüte, mit der wir unsere Lebensmittel nach Hause tragen. Unser Schlüsselanhänger, an denen unsere Schlüssel hängen, können mit hoher Wahrscheinlichkeit auch aus Plastik bestehen. Und wenn man sich erst einmal in seinem eigenen Haushalt umguckt, wird man feststellen, dass man kurz davor ist, bereits durch seine reine Anwesenheit am Plastik zu ersticken. Doch nicht nur dort ist Plastik eine Geißel, die uns aufzufressen droht.

Was die meisten Menschen nicht bedenken, wenn sie statt wiederverwendbarer Tüten immer wieder auf eine neue Plastiktüte für 10-20 Cent (je nach Größe) zurückgreifen, ist die Tatsache, dass Plastik im Gegensatz zu vielen anderen, natürlichen Stoffen sich nicht von selbst zersetzt. Und wenn man eine Plastiktüte irgendwo wegwirft, kann man sich nicht einfach darauf verlassen, dass sie irgendwann verschwunden ist (es sei denn, ein anderer Mitbürger kann sie noch gebrauchen!). Plastik zersetzt sich in immer kleinere Teilchen, die sich dann mit anderen Rohstoffen vermischen - aber nie verschwinden!

Ein erschreckendes Beispiel hierfür sind die Strände dieser Welt: jeder, der meint, er würde nur aus reinem, weichen, wunderbaren Sandstrand laufen, der täuscht sich mittlerweile gewaltig! IN biologischen Langzeitstudien wurde aufgeschlüsselt, wie sehr der Sand bereits mit Plastikmüll durchzogen ist. Und die Weichmacher, die im Plastik enthalten sind, haben weitaus mehr Folgen, als dem Massenkonsumenten im Supermarkt jetzt bewusst sein mag. Doch erst zu den Fakten.

Über Jahrzehnte sind zig Tonnen an Plastikmüll in den Weltmeeren gelandet. Wir reden alle über die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko? Im Gegensatz zur Ölkatastrophe in Mexiko interessiert sich merkwürdiger fast keiner für den Umweltskandal, der in den Weltmeeren rumschwimmt. Vielleicht liegt das daran, dass Plastikmüll im Meer nicht auf den ersten Blick sichtbar ist - es gibt keine riesigen Teppiche aus ALDI-Plastiktüten in den Meeren, die aus der Hubschrauberperspektive gut sichtbar wären und tolles Bildmaterial für die Abendnachrichten liefern würden. Der Müll, der in den Meeren schwimmt, befindet sich unter der Meeresoberfläche, zwar schwimmt er, ist aber für den Betrachter von oben nicht gut sichtbar. Hinzu kommt, dass sich Plastik im Meer schnell zu kleinsten Partikeln zersetzt. Und damit ist das Problem erledigt? Mitnichten! Dann geht der Spaß erst richtig los: wenn diese Kleinteile von 3-5 mm Größe im Meer rumschwimmen, denken sich die Meeresbewohner: "Prima! Da schwimmt mein Abendessen!". Und da wir unseren Kindern beibringen, kein Plastik zu essen, werden wir wohl wissen, wie nützlich Plastik im Speiseplan von Fischen und Meeressäugern ist.

Zum Thema Meeresmüll mal eine interessante Tatsache: Laut Wikipedia sammelt sich durch Meeresströmungen ein gigantischer Müllberg zusammen, der sogenannte Great Pacific Garbage Patch, der zwischen Nordamerika und Asien rotiert und bei dem Anfang 2008 schätzungsweise 100 Millionen Tonnen Kunststoffmüll zusammenkamen. Also: 100 Millionen mal 1000 Kilogramm. Zwar werden die Teile dieses Strudels im Meer relativ schnell zerkleinert, doch das dauert auch immerhin noch 16 Jahre. Wenn man bedenkt, dass keine Pubertät dieser Welt so lange dauert (und diese doch schon gefühlt lange ist!), ist das mehr als beunruhigend. Und wie gesagt: die richtige Gaudi findet erst nach der scheinbaren Zersetzung statt. Denn die wirkliche Zersetzung geschieht nie! Und so werden die Plastikfragmente von Tieren und Pflanzen im Meer aufgenommen, das gesamte Meerwasser mitsamt Flora und Fauna wird einmal so richtig schön mit Plastik und deren Weichmachern zersetzt. Und irgendwann landen die Produkte daraus nicht nur auf unseren Tellern.

Denn wer jetzt meint "Ess ich einfach keinen Fisch mehr!", der hat sein Leben dadurch allein nicht auf eine garantierte Lebenshöhe von 130 Jahren erhöht. Denn wenn die Giftstoffe von Kunststoffen bereits im Meerwasser sind, sind diese auch eine Erklärung dafür, warum wir alle mit der Zeit (trotz bester und reichhaltiger Ernährung) immer kränker werden und unter anderen das mit der Fortpflanzung auch nicht mehr so klappt, wie es klappen sollte.

Schon verrückt, wenn man bedenkt, was wir alles tun, damit wir lange gesund und munter bleiben, damit wir nicht nur konkurrenzfähig sind, sondern am Besten auf der Spitze der Konkurrenz reiten. Vielleicht liegt es an unserer eigenen Unachtsamkeit, dass wir so beschäftigt sind damit, möglichst schön und erfolgreich durch's Leben zu spazieren. Kein Wunder also, dass wir verschwenden, bis die Schwarte kracht. Erst letzte Woche sah ich einen Bericht im Fernsehen über eine Familie, die komplett auf Plastik verzichtet und ihr Leben so organisiert, dass sie keinen Müll verursacht. Und wenn man sich diesen Bericht genau ansieht, sieht man, wie mühevoll es scheinbar ist, ohne Plastik, Kunststoffe etc zu leben. Andererseits, denken wir doch nochmal zurück: "Wenn du kein iPhone hast, hast du kein iPhone!". Und wenn du kein Plastik verbrauchst, verbrauchst du kein Plastik. Der Schlüssel zum Erfolg ist Entwöhnung: wir konnten ALLE früher ohne Mobiltelefone leben und es gab tatsächlich eine Zeit, da konnten wir auch ohne Plastik leben.

Natürlich ist es utopisch zu behaupten, dass wir uns alle von Heute auf Morgen von "100% Plasticland" entwöhnen könnten. Der Schritt von Hundert auf Null funktioniert wohl nur bei Drogen- oder Alkoholsucht - und selbst da sind die Erfolgsquoten mehr als niederschmetternd. Eine Besserung der Lage ist ohnehin nur zu erreichen, wenn man sich seiner eigenen Gewohnheiten bewusster wird als der Apps, die man auf seinem Handy hat. Der Trick ist, sich der Dinge, der man so sicher ist, bewusster zu werden. Das Unterbewusstsein sorgt dafür, dass wir Dinge gewohnheitsmäßig annehmen und immer denken, sie würden immer wieder funktionieren. Nicht nur einmal. Tausendmal. Millionenmal. Bis wir irgendwann nicht mehr sind. Schade an der Sache ist ja nur, dass selbst wenn wir nicht mehr sind, die Resultate unserer Abfallästhetik immer noch vorhanden sein werden. Wie gesagt, Plastik verschwindet nicht. Weder von den TV-Bildschirmen, noch aus den Weltmeeren.

Wer Plastik in offene Fleischwunden legt, kann mehr als nur eine Vereiterung der Wunde erwarten. Und das gilt nicht nur für echte Fleischwunden. Denn die Fleischwunde, von der ich rede, ist nicht am eigenen Körper sichtbar, aber sie wirkt sich auf gleichen aus. Eines Tages werden wir das verstehen. Aber ich bezweifle, dass wir es jetzt tun, wo wir nur Feststellungen machen wie "Wenn du kein iPhone hast, hast du kein iPhone!".
Wenn wir also in unseren Weltmeeren weiterhin unseren Kunststoffmüll entsorgen, sollten wir uns bewusst sein, dass das zu unseren ohnehin schon vorhandenen Problemen (Ozonloch, das Verschwinden von Waldflächen etc) dazuaddiert werden kann. Und irgendwann (und das dauert gar nicht mehr so lange!) werden wir ersticken - ob wir uns nun freiwillig die Plastiktüte über den Kopf ziehen, oder es doch bevorzugen, dass die Weltmeere früher oder später umkippen und die "blaue Lunge" unsers Planeten endgültig in sich zusammenklappt. Damit hätten wir dann auch keinen Sauerstoff mehr zum Überleben.

Allerdings: wer's sarkastisch sehen will (so wie ich!) kann sich einfach denken: "Der Planet wird uns schon los. Wenn wir nicht freiwillig gehen, sorgt die Erde schon dafür, dass wir definitiv gehen!" Der Rest (der unbedingt leben will) sollte entweder sich Gedanken darüber machen, wie er für den eigenen Erhalt (und den seiner Nachkommen) die Erde in Zukunft sauberer hält (wenn wir es schon bis zu diesem Zeitpunkt nicht hingekriegt haben!) oder er sollte anfangen wirklich (und nicht pseudo-) religiös zu werden und das Beten anfangen. Irgendwer könnte ja schließlich auf die Gebete hören, kommen und die Uhren zurückdrehen. Ob wir daraus allerdings wirklich was lernen würden, ist wieder eine andere Sache.

Natürlich bleibt die Hoffnung, dass die Erde bis zum nächsten Freitag weiterhin besteht... so schnell geht ein Zerfall ja NIE vonstatten. In diesem Sinne, eine schöne Woche - bis nächsten Freitag!

LG Gene :-)

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