Donnerstag, 3. März 2011

"Er ist dann mal weg!"

Wer Böses sagen möchte, könnte diesen Titel den Geschehnissen der letzten Tage geben. Karl Theodor zu Guttenberg (inzwischen ehem. Verteidigungsminister und ehem. Halbdoktor) ist weg, hat den Hape Kerkeling gemacht und geht jetzt wahrscheinlich nicht den Jakobsweg entlang, aber Buße wird er wohl doch irgendwie tun.

Erst war der Doktortitel futsch, dann wurde der Druck immer größer und Rücktrittsaufrufe wurden so laut, man konnte nachts schon fast nicht mehr schlafen, derart Laut waren die Schreie der politischen Opposition und Moralisten. Und heute wurde er offiziell verabschiedet mit Pauken und Trompeten, dazu er zwischen aufrechtem Dandygang und hängendem Kopf wie bei einem, dem die ganze Sache furchtbar peinlich ist.

Man fragt sich nun so einige Dinge zu diesem "jungen Familienvater in der Quadratur des Kreises": wie ist das Phänomen "Zu Guttenberg" überhaupt zu erklären? Wird er nun das Gesicht einer neuen Krankheit, einer neuen Katastrophe? Aber vor allem: welcher Krankheit, welcher Katastrophe?

Nun, der gute Herr zu Guttenberg wurde vor allem dadurch bekannt, dass er einer der ältesten und teuersten Werte wieder zu Tage brachte: Ehrlichkeit, in dem Zusammenhang auch Geradlinigkeit. Was er genau damit meinte, ist mir ehrlich gesagt bis heute schleierhaft. Viel schlimmer noch: mir ist schleierhaft, wie dieser Mann zum beliebtesten Politiker Deutschlands avancieren konnte. Was hat er nur an sich? Zuviel Deo der Marke "Axe" aufgetragen? Das würde allerdings nur die Verherrlichung der weiblichen Anhänger erklären. Doch die Vergötterung zu Guttenbergs ist ein geschlechterübergreifendes Phänomen, das einer Erklärung bedarf, aber nicht erklärbar ist.
Als Politiker hätte zu Guttenberg theoretisch die Aufgabe gehabt, politisch etwas zu bewegen - aber was genau hat er bewegt? Er hat Opel mit seinem Insolvenzplan aus der Krise geholfen. Und damit ist er direkt in den Olymp aufgestiegen? Es gibt hunderte hilfreiche Aktionen von Politikern, die eingeführt werden und funktionieren. Von diesen Politikern hört allerdings heute keiner mehr etwas. Peer Steinbrück hat schließlich auch keinen schlechten Job als Finanzminister während der Krise geleistet, oder? Aber bei dem Namen werden die Meisten wohl nur sagen "Peer wer? Ist das der, der das Dschungelcamp gewonnen hat?"

Die Menschen sahen in zu Guttenberg wohl mehr als den Politiker. Vielleicht sahen sie in ihm den deutschen "Barack Obama", nur ohne "Yes we can!". Oder gerade damit? Etwas vorzuheucheln bringt ja bekanntlich weiter. Schon Obama hat viel versprochen und darf sich heute nur noch an seinen Worten von gestern messen lassen. Zu Guttenberg geht es ähnlich - er versprach uns Ehrlichkeit, Geradlinigkeit, alte Werte, die einem Politiker das Vertrauen der Bürger zuspielen sollten. Dann der Absturz vor zwei Wochen, Gerüchte wurden laut, zu Guttenberg habe Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben (oder, um es korrekt zu sagen: er hat falsch bzw. nicht rezitiert). Dann war die Aufregung groß, hunderte, vielleicht sogar tausende Menschen konnten dank Internetveröffentlichung auf seine Doktorarbeit zugreifen und selbst erlesen, wieviel von der Arbeit nicht ordnungsgemäß deklariert worden ist. Fußnoten, das entscheidende Wort der darauffolgenden Woche. Wieviel stammt von ihm, wieviel aus den Büchern? Im Ende waren von rund 60% die Rede, die nicht von zu Guttenberg stammten. Nun bin ich kein Experte für Doktorarbeiten und möchte auch keiner werden, aber nicht umsonst sind Doktorarbeiten hart erkämpft: sie sollten schon bis zu einem gewissen Grad von einem selbst stammen, sonst könnte man sie auch bei ALDI zum Einkaufspreis erwerben.

Die Aufregung stieg allerdings erst durch zu Guttenberg's Verhalten in der Sache bis zum Siedepunkt: er tut er die ganze Sache als Hetzkampagne ab, ist sich keiner Schuld bewusst, verzichtet aber bis zur Klärung auf die Weiterführung des Doktortitels. Hätte er mal gewusst, dass er als junger Familienvater sein drittes Kind, den Doktortitel, an diesem Abend zum letzten Mal in seinem so jungen erfolgreichen Leben sehen würde. Wahrscheinlich hätte er es noch einmal auf die Stirn geküsst und ihm "Ich hab dich lieb!" ins Ohr geflüstert. Okay, Scherz beiseite! Es wurde danach nur noch dreckiger, dann gab er zu, handwerkliche Fehler begangen zu haben, weil es doch sehr anstrengend ist, einen Doktortitel zu erwerben, während man zwei Kinder wickelt, füttert und zu Bett bringt (oder auch wieder rausholt, je nachdem!) und eine Politikerkarriere anstellt und dabei von Tür zu Tür um Wahlstimmen rennt. Ach ja, schweres armes Politiker-/Doktorantenleben, ich weiß! Mein herzlichstes Mitleid!

Und nun? Nun ist er weg! Raus aus unser aller Leben, raus aus der BILD (naja, noch nicht... aber in ein paar Wochen wahrscheinlich) und raus aus den Köpfen (erst kurz nachdem die BILD ihn aufgibt!). Beliebt ist er immer noch, jaaa! Die Menschen schwören auf zu Guttenberg, den gutaussehenden, den wortgewandten, intelligenten, kompetenten Politiker mit Handwerkerschwäche (aber er hat ja auch Jura studiert, da darf man handwerklich unsauber arbeiten - und wenn's nur in der Doktorarbeit ist!).

Doch welche Krankheit repräsentiert zu Guttenberg nun? Ich kann dem Kind keinen Namen geben (ist ja auch keine Doktorarbeit), aber in den letzten Wochen gibt es so viele, die negativ aufgefallen sind in genau der gleichen Art und Weise. Die saubere Gesellschaft der "oberen Hunderttausend" (da die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft, reichen 10 000 nicht mehr aus!), die die guten Werte vertritt und deswegen im Gegensatz zur restlichen Gesellschaft gewinnt - sei es finanziell, von der Anerkennung her...es könnte gar sein, dass diesen guten Werten sogar die bessere Gesundheit zugeschrieben wird (statt die der privaten Krankenversicherung zuzuschreiben!).

Die Krankheit schlichtweg als "Größenwahn" zu beschreiben wäre fast zuviel des Guten. Das würde noch auf Gaddafi zutreffen, der meint, er sei unersetzbar und sein Volk würde gerne und bereitwillig für ihn sterben. Auch auf Charlie Sheen passt es (und die Parallelen zwischen Gaddafi und Sheen herzustellen sind erschreckenderweise einfacher, als einem lieb sein kann!), er meint, keiner könnte ihn ersetzen, so wunderbar wäre er, und dass er pro Folge "Two and a half men" knapp 1 Millionen Dollar verdient, macht die Sache nicht gerade besser. Anders gesagt: diese Art Erfolg holt diese Leute nicht von der Palme runter, auf der sie gerade sitzen. Sogar auf John Galliano trifft nur noch der "Größenwahn" als Diagnose zu. Zwar ist er von seiner Palme abgestiegen, aber die antisemitischen Äußerungen sind ein Fels, der ihm für ewig auf den Rücken gebunden sein wird.

Doch was hat zu Guttenberg mit diesen Leuten gemein? Das Showtalent? Zumindest ist das eine Grundvorraussetzung, um in dieser Form bekannt, geliebt und dann gehasst zu werden. "Mit den Kameras spielen" heißt das wohl, was immer wieder gerne gesagt wird und wenn ein Prominenter das besonders gut kann, ist er schon am Gipfel des "Mount Worldpower" (zu Deutsch: Weltmacht) angekommen. Und wären wir jetzt alle Hindus und Buddhisten, könnten wir glatt der Annahme sein, die Reinkarnationen von Hitler und Napoleon weilen schon längst unter uns in Gestalt dieser Prominenz. Aber das wäre wohl zu einfach, diese Arroganz und Überheblichkeit mit geschichtlichen Dämonen der Vergangenheit zu entschuldigen.

Wahrscheinlich liegt die Krankheit "zu Guttenberg" in der Überheblichkeit von uns allen begründet. Wir möchten alles erreichen, am Besten vorgestern und natürlich wollen wir die Einzigen sein, die so etwas überhaupt ansatzweise erreichen können. Der Rest der Menschheit soll mit heruntergeklappten Kiefern vor uns stehen und denken: "Wie konnte er/sie so etwas überhaupt erreichen? Wie kann er/sie nur so wunderbar sein, so viel in so kurzer Zeit zu erreichen und damit auch noch diesen immensen Erfolg haben?" Das ist wohl auch, was die Anhänger zu Guttenbergs in ihren Köpfen herumspuken hatten. Ein Mensch, der jung und dynamisch ist, der auch noch weiß, wie man sich anzieht und der den Gebrauch von Pommade draufhat, der kann intellektuell auch noch so viele erstrebenswert schöne Dinge? Dass er es im Ende doch nicht so wundervoll einfach konnte, spielt keine große Rolle. Er hat es versucht, wie wir alle es versucht haben. Dass er dabei unsaubere Methoden angewandt hat, nun ja, die wenden wir doch alle an. Keiner hat immer die Wahrheit gesagt, keiner hat nie in seinem Leben geschummelt, um weiter zu kommen. Frei nach dem Motto: Wenn's keinem weh tut, nützt es doch nur.

Freilich jedoch schadet jede Aktion irgendwo - und wenn sie nur sich selbst schadet. Wie eben zu Guttenberg. Die Anhänger werden weiter zu ihm halten, seine Biografie verschlingen, auf ein politisches Comeback und dass er doch irgendwann Bundeskanzler wird hoffen. Und die Gegner? Die werden jetzt erstmal beruhigt sein, denn er ist dann mal weg (für den Moment) und zittern, wann er denn nun und mit welcher Mediengewalt wieder zurückkehrt. In unsere Tageszeitung - in unser aller Wohnzimmer - und per Gehirnwäsche in unser aller Herzen. Wie er das anstellen wird? Lassen wir uns doch einfach überraschen!

In diesem Sinne - ein schönes Wochenende.

LG Gene :-)

1 Kommentar:

Cangrande hat gesagt…

Eine beeindruckende Analyse, die genau das thematisiert, was auch mich umtreibt: die tiefe Spaltung im deutschen Volk in der Sache Guttenberg (und darunter bzw. darüber hinaus wo noch ...?)

English Blog