Freitag, 18. März 2011

"Big in Japan" - Eine Hommage an die Fukushima 50

Es fällt schwer, dieser Tage an dem Thema "Japan" nicht vorbeizukommen. Und so sehr ich mich persönlich davor ziehe, darüber einen Eintrag zu verfassen, es scheint, es gibt kein anderes Thema, über das man schreiben könnte derzeit.

Warum ich mich ziere? Dafür gibt es eigentlich mehrere Gründe, zunächst einmal haben mich mehrere Gefühle in der vergangenen Woche beschäftigt. Da war zuerst die Fassungslosigkeit zu sehen, wie eine ganze Nation aufgrund eines Erdbebens in die Knie gezwungen wird. Ist das neu? Mitnichten! Wir haben das alle schon in mindestens 100facher Ausführung erlebt. Auch in letzter Zeit. Wir sahen das Erdbeben in Neuseeland, die Flut in Pakistan, Waldbrände in Rußland, das verheerende Erdbeben auf Haiti. Doch wir machen immer wieder den gleichen Fehler: egal, wie oft wir von Katastrophen lesen, hören und sehen, am nächsten Tag dreht sich wieder nur alles um den eigenen Kosmos. In dem ewigen Glauben, wir seien die schlaueste Rasse auf diesem Planeten Erde reisen wir durch die Weltgeschichte, zwingen scheinbar die Natur in die Knie und fühlen uns jeder einzelne, als wären wir alle König. Zumindest im Königreich "Ich" ist man immer König. Was aber, wenn uns eine Macht, die stärker ist als wir, uns aufzeigt, wie falsch wir mit unserer Arroganz und Überheblichkeit liegen? Das ist wieder einmal die traurige Ursache auch der Umweltkatastrophe in Japan: das Unterschätzen der Naturgewalten und das daraus resultierende Gefühl, allein und klein wie eine Ameise dieser Übermacht gegenüberzustehen.

Jetzt zu behaupten, dass die Japaner allein zu doof waren, die Katastrophe kommen zu sehen, ist erneut ein Zeichen von absoluter Selbstüberschätzung. Denn das, was sich gerade in Japan abspielt, könnte theoretisch überall geschehen. Und das nicht nur aufgrund von Naturgewalten, die über uns hinwegfegen... die Katastrophe Tschernobyl, die viel zu schnell aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist, zeigt doch, dass wir nicht nur nicht gegen die Natur ankommen, auch von uns erfundene Spielereien der chemischen Elemente (so möchte ich die atomare Spaltung und ihre Folgen mal lapidar bezeichnen) hat Folgen, denen wir ohne Wehr ausgesetzt sind.
Was wir in der letzten Woche sehen, ist, dass die japanische Regierung in ihrer Panik einige Fehler begangen hat (und auch immer noch begeht). Sie wissen nicht, wo sie wann und was überhaupt kühlen sollen, wo die Brennstäbe offen liegen oder wo nicht... zumindest sind die Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangen, sehr wage, teilweise widersprüchlich und kaum hat sich die breite Zuschauerschaft beruhigt, kommt schon die nächste Hiobsbotschaft. Wahrscheinlich weiß keiner so genau, was gerade los ist - nicht einmal die, die so hautnah dabei sind, dass sie wahrscheinlich das hohe Alter nicht erreichen werden. Es wird gekämpft an allen Ecken und Enden - aber wie auch in der Vergangenheit hat das Kämpfen gegen die Natur apokalyptische Ausmaße. Und meistens ist der Mensch der Verlierer.

Der Fassungslosigkeit der letzten Tage mischte sich bei mir schnell Wut mit hinzu. Nicht Wut auf die Japaner, die großzügig Hilfe aus dem Ausland weitestgehend ablehnen und in ihrer Panik so unorganisiert sind, dass Hilfsgüter nicht die Bedürftigen der Katastrophe erreichen oder einfach irgendwo vor leeren ehemaligen Rettungscamps stehen gelassen werden. Diese Fehler kann man schlussendlich nur darauf schließen, dass diese Katastrophe so unvorbereitet kam, dass jedes Katastrophenmanagement einen "Kurzschluss" im System hat.
Die Wut kam erst dann bei mir auf, als in den Nachrichten statt über die Opfer nur darüber geredet wurde, inwieweit sich eventuell die Katastrophe auswirken würde. Der erste Gedanke spontan kann da nur lauten: "Willkommen zurück im Königreich "Ich"!". Dass tausende von Menschen durch das Beben und den anschließenden Tsunami gestorben sind? Wen interessiert's? Die einzig wichtige Frage ist doch: Sterbe ich jetzt auch?

Jetzt werden in Panik in den USA und wahrscheinlich auch bald in Deutschland die Vorräte an Jodtabletten knapp, auch wenn die breite Masse eigentlich wissen müsste, dass wir a) gar nicht direkt von der Katastrophe betroffen sind (und es wohl auch nie sein werden!) und b) Jodtabletten als Prophylaxe mehr Schaden als Nutzen anrichten. Aber wird die Menschheit je klug werden? Wahrscheinlich nicht! Es scheint, als würden wir Nachrichten immer nur mit einem (oder vielleicht sogar nur mit einem halben) Ohr verfolgen. Interpretationen werden da nach Wahl gefasst und daraus irgendein Schluss gezogen, der weder stimmt noch hilfreich ist.
Gerade die Katastrophe in Japan zeigt das: der Fokus sollte eigenlich auf Japan liegen. Aber nach 7 Tagen wäre das doch zu langweilig. Was haben wir davon? Japan ist weit weg und überhaupt: wer kennt schon Japan? Wenn man noch nie da war, kommt einem dieses Land eh nicht geheuer vor. Was die essen, wie die aussehen, wie die sich benehmen - ist doch unnormal. Also: reden wir lieber wieder über uns. Frei nach dem Motto: "Enough about you - let's talk about me!" ("Genug von dir - lass uns über mich reden!).
Und das tut dann sogar unser auf Rang drei der Staatsoberhauptsfolge liegende Frau Merkel auch brav: erst heißt es, die Katastrophe würde Gott sei Dank uns wohl nicht betreffen und es gäbe keinen Grund, die Atomkraftwerke in Deutschland abzuschalten. So weit, so wahr. Dass, was in Japan geschehen ist, lässt sich nicht mehr ungeschehen machen, indem wir die AKW's abschalten. Dann vor ein paar Tagen die prompte Kehrtwende: die Opposition wettert, macht indirekt Wahlkampf auf dem Rücken Japans und nun kommt auch die Kanzlerin zu Verstand, weil eigentlich sind Atomkraftwerke ja nicht das, was wir für die Zukunft wollen. Und ein Zeichen setzen müssen wir auch. Also werden jetzt die 7 ältesten Kraftwerke abgeschaltet. Nach der Pressekonferenz am Dienstag stand man dann zwischen den Gefühlen "Endlich hat sie's eingesehen!" und "Alles Heuchelei wegen der Landtagswahlen!". Hinzu mischte sich schnell das Gefühl von "Eigentlich weiß die Frau doch selbst nicht mehr, was sie da tut!". Denn wirklich abgeschaltet wird hier ja gar nix - es wird alles nur mal runtergefahren, um mögliche Gefährdungen zu überprüfen und erst DANACH, wenn's wirklich nicht mehr geht, werden alte AKW's vom Netz geholt. Man möchte unserer Regierung doch glatt eine klatschen - aber Beifall bestimmt nicht.

Aber auch wenn es bei diesen ganzen Debatten und vom Abschalten der AKW's bis jetzt zum "Überprüfen, ob das überhaupt möglich und rechtlich erlaubt ist" hin und her geht wie bei einem drittklassigen Theaterstück, die Wut bleibt. Nämlich die, dass Japan zwar immer schön weiter voyeuristisch von allen Seiten beim Kampf gegen den GAU (dem Größten Anzunehmenden Unfall) beobachtet wird, getan wird nur herzlich wenig. Wie bei jeder Katastrophe: solange es uns nicht betrifft, macht es eine gewisse perverse Freude, verzweifelten Menschen zuzusehen. Aber Halt! Ich unterstelle nicht jedem Zuschauer, dass er gerne die Berichterstattungen sich ansieht und sich daran ergötzt. Erschreckend ist allerdings trotzdem, dass erst nach einer Woche zu Spenden aufgerufen wird, dass die Menschen viel zu spät auf den Gedanken kommen, dass allein das Erdbeben weitreichende Katastrophen hat. Was wir uns nur viel zu selten bewusst wird: Tausende Menschen haben nicht nur ihr Leben verloren - zigtausende stehen jetzt vor den Scherben ihrer Existenz. Das Dramatische daran ist obendrein, wieviele alte Menschen sich unter den Überlebenden befinden. Und da ist Mitgefühl gefragt, eine Eigenschaft, die leider viel zu wenige Menschen heutzutage besitzen: das Einfühlungsvermögen sich vorzustellen, wie sich ein Mensch fühlen muss, der von einem Tag auf den anderen alles verliert: sein Haus, seine Existenz, sein Hab und Gut ... und wenn er wirklich viel Pech hat, Teile oder vielleicht sogar die gesamte Familie. Und dann ist da das Nichts. Fast wie bei der "unendlichen Geschichte" von Michael Ende. Diese Menschen stehen da, wissen nicht, wohin sie gehen sollen, vielleicht wissen sie nicht einmal wer, woher sie kommen, weil um sie herum nur noch Trümmer sind, alles wurde niedergewalzt, es gibt keine Orientierung mehr. Wie soll man sein eigenes Haus noch suchen, wenn es keine Straßen mehr gibt, an denen man sich orientieren soll? Die einzigen Deutschen, die dieses Gefühl im Ansatz vielleicht einigermaßen authentisch nachempfinden können, sind die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges.

Nachdenklichkeit liegt im Raum, wenn man an Japan denkt. Inzwischen weicht die Fassungslosigkeit und Wut nur noch dem Schweigen, dem Gedenken der Opfer, dem Bangen um den Rest Japans und das alles mal ganz selbstlos, mal ganz ohne das Denken an unsere Zukunft. Das Denken, wie sich Japan's Katastrophe auf die Weltwirtschaft auswirken wird, sollte auf den Zeitpunkt verschoben werden, an dem sich diese Probleme stellen. Im Moment stellen sich ganz andere Probleme, man blickt nur noch gebannt auf das AKW Fukushima und betet, dass die tapferen Männer, die dort noch ausharren, um das Schlimmste zu verhindern, etwas tun KÖNNEN, damit die Katastrophe nicht von Stufe 5 auf 7 steigt. Den "Fukushima 50", wie sie in dem Medien nur noch genannt werden (als wären es die "Inglorious Basterds"), gebührt der Respekt aller, denn sie stellen das Schicksal der Masse über ihr eigenes.
Während es in den letzten Tagen im deutschen Fernsehen teils lächerliche Berichterstattungen über Deutsche, die Japan panikartig verlassen, gibt, wobei diesen Deutschen dann noch Mitgefühl entgegengebracht wird und so getan wird, als wäre jetzt ein großer Dienst getan, weil ein paar Menschen aus dem Land fliehen können, während Tausende ihrem Schicksal hilflos ausgeliefert sind, beweisen die "Fukushima 50", dass es auch anders geht. Solidarität liegt in der Luft, nicht nur radioaktive Strahlung. Leider reicht die Bewunderung für diese 50 Männer nicht weit genug, die Berichte im Fernsehen werden immer wieder mit Nonsense gespickt, der Sendezeit ausfüllt. Und die Ironie des Schicksals ist wieder einmal da: die Zeit, die diese Männer im Kampf gegen den Super GAU nicht haben, haben die Fernsehsender anscheinend reichlich. Immerhin ist Zeit ja nur etwas relatives - wir alle haben den gleichen Anteil zur Verfügung und was wir damit machen, ist uns überlassen. Ob wir nun verzweifelt unser Leben für andere geben oder uns doch lieber zu Tode langweilen. Die Extreme prallen mal wieder aufeinander... wie das Wasser des Tsunamis aufs japanische Festland.

Was bleibt? Das wird die Zukunft wohl zeigen. Es gibt keinen schlauen Spruch, den ich diesmal einfach so "raushauen" könnte, dafür ist die Situation zu ernst, die Folgen dieses schlimmen Ereignisses nicht absehbar. Und die Erde dreht sich weiter - wahrscheinlich auch (leider) in den Köpfen der Menschen. Japan wird bald in Vergessenheit geraten, wir werden uns wieder statt fast nur auf uns selbst wieder ausschließlich auf uns selbst besinnen. Den Menschen dort bleibt der Schaden - und uns? Wahrscheinlich wird die Arroganz, wir allein beherrschen die Welt, wieder zutage gefördert werden. Es gibt einfach diesen mentalen Vorschlaghammer nicht, deri n unseren Köpfen die Trümmer der Selbstsucht endgültig niederreißt.

Denn es hat wieder einmal jemand anderen getroffen - nicht uns. Die Meisten werden nur denken "Gott sei Dank hat's mich nicht getroffen!", statt zu denken "Das hätte nie passieren dürfen... zu keiner Zeit, zu niemandem."

Damit ein angenehmes Wochenende - mit hoffentlich ein bißchen weniger Selbstsucht ;-)

LG Gene

PS: Wer wirklich etwas tun möchte und nicht schon durch die endlosen Berichterstattungen mitgekriegt hat, wie's geht: Spenden für Japan ist denkbar einfach. Hier ein paar Links:


Deutsches Rotes Kreuz Spendenkonto

Caritas

RTL Spendenseite "Wir helfen Kindern e.V."

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