Donnerstag, 23. August 2012

Olympische Sommer(loch)spiele 2012: 1. Golddisziplin: Rating

Wo es Olympische Spiele gibt, muss es natürlich auch Disziplinen geben, in denen die Kandidaten antreten dürfen. Aber wer tritt hier eigentlich in welcher Disziplin an... vor allem aber: wofür? Gute Frage, denn Sommerlochspiele sind so ganz anders gestrickt als die "echten" Olympischen Sommerspiele, die vor über einer Woche zu Ende gingen. Dort gab es Disziplinen, die die Menschen vertreten: 100 m Lauf, Diskuswerfen, 4x 100 m Freistil, Judo in verschiedenen Gewichtsklassen.

Nun, dieser Blog ist komplexer als das und ich würde nicht zwangsläufig die Disziplinen der wahren Olympischen Spiele einfach klauen und hier einfügen (copy & paste ist hier nämlich nicht!). Also, was genau sind die Sommerlochspiele eigentlich? Das mag sich der intelligente Leser fragen.

Die Sommerlochspiele sind eine Option zu dem, was sich "Sommerloch" schimpft. Die Zeit, in der sämtliche Politiker und "Rechtschaffenden" der Politik in Urlaub fahren, in der nix im Fernsehen läuft, weil angeblich sowieso alle Menschen entweder im Urlaub oder im Freibad sind und in der die Menschen irgendwie nur auf das Wetter statt auf ehrliche Arbeit fokussiert zu sein scheinen. In dieser Zeit braucht es eine Alternative, etwas Unterhaltendes. Geboren sind die Sommer(loch)spiele. Disziplinen, die schon lange da sind, denen sich aber nicht jeder bewusst wird und in denen wir tagtäglich kämpfen. Um Gold, um Ruhm, um Ehre... wer weiß das schon? Für irgendetwas werden wir wohl kämpfen. Kämpfen um des Kämpfens Willen wäre auch ziemlich sinnlos, oder? Andererseits: das Sommerloch ist wohl das Sinnloseste, was das Jahr zu bieten hat!

Es gab in den letzten zwei bis drei Jahren wohl kaum eine Disziplin, die so exzessiv und ausgiebig praktiziert und für die "trainiert" wurde wie das "Rating". Natürlich handelt es sich bei diesem Begriff wieder einmal um einen Anglizismus, weil ohne scheint der Deutsche auch gar nicht mehr auszukommen (bzw. auskommen zu wollen). Auf gut Deutsch heißt "Rating" weder Raten noch Radieren noch Radfahren sondern um das Bewerten. Wir bewerten: morgens, wenn wir aus dem Bett aufstehen ("War das jetzt ein gutes Aufstehen oder ein schlechtes Aufstehen?" "Hat mein linker Fuß sich heute beim Aufstehen besser gefühlt als gestern oder schlechter?" "Wie war die vergangene Nacht im Wochen-, Monats- und Jahresvergleich auf einer Skala von 0 bis 10?") bis zum Abend, wenn wir wieder schlafen gehen. Dazwischen gibt es so unzählig viele Möglichkeiten, die verschiedensten Dinge des Tages zu bewerten, wie wir am Tag Atem ziehen (ich hab irgendwo gelesen, es sollen rund 23.000 Mal sein).

Das Bewerten von Dingen ist nun eine sehr komplexe Angelegenheit, man möchte schließlich durch das Bewerten auch etwas erreichen. Was genau? Darüber können sich die Götter wohl streiten. In erster Linie wird das Bewerten dem Menschen wohl Orientierung geben: was mag ich und warum? Was mag ich nicht und wieso werde ich es nie mögen? Welche Konsequenzen soll ich daraus ziehen? Soll ich überhaupt welche daraus ziehen? Es ist natürlich einerlei, ob man bewertet um des Bewertens Willen, aber der Mensch ist ständig danach bestrebt, seine Lebensqualität zu verbessern. Mit anderen Worten: durch das Bewerten schaffen wir die Grundlage für Vorlieben, die wir mit der Zeit lieben lernen und die wir benutzen, um unsere Lebensqualität zu steigern. Und ja, dazu ist es auch wichtig zu ergründen, mit welchem Fuß man besser zuerst morgens aufsteht!

Nun ist es eine Sache, wie oft und wieviel man im Privatleben Dinge bewertet zur Verbesserung des eigenen Lebens. Die Sache wird weitaus komplizierter, wenn Bewerten zum gesellschaftlichem Volkssport wird. Genau darüber philosophieren nun sämtliche Nachrichtenagenturen und die gesamte Gesellschaft seit zwei bis drei Jahren. Privates Bewerten gab es schließlich schon immer, öffentliches Bewerten jedoch hat sich wie ein Flächenbrand ausgebreitet.

Genau an dieser Stelle tritt das wahre "Rating" in Erscheinung, in seiner englischen Form. Rating Agenturen wie "Fitch" oder "Moody's" haben einen bis dato nicht dagewesenen Stellenwert erlangt. Immerhin: wer kannte diese Unternehmen schon vor einigen Jahren? Gab es die zu dieser Zeit überhaupt? Wahrscheinlich schon, das Herauf- und Herabwerten ganzer Staaten wird wohl kaum eine Erfindung von gestern sein. Diese Entwicklung kam schleichend aber sicher und inzwischen scheint es ein Gesetz zu sein, genau das zu glauben und dem zu folgen, was ein paar Broker in ihrer Börsenwahrsagerkugel so alles sehen. Schon merkwürdig, wenn man bedenkt, wie die Menschen normalerweise zu Hexerei und Wahrsagerei stehen.

Alle Gesetze des gesunden Menschenverstandes scheinen über den Haufen geworfen zu werden, speziell in diesen Zeiten, wo der Virus "Eurokrise" mitten unter uns lebt. Wir empfinden jede Handlung eines Wackelkandidaten (vornehmlich Griechenland) als Hiobsbotschaft, als Bedrohung für unser aller Leben. Schließlich gehen die meisten Menschen davon aus, dass wir alle sterben, falls Europa Pleite geht! Schon witzig, wie sehr wir alle am Geld und Wohlstand hängen, dass wir meinen, wir wären so ganz ohne nicht mehr existenzfähig.

Zurück zum Thema: das Rating der Ratingagenturen, die neuen Popstars am Gesellschaftshimmel. Mit dem einzigen Unterschied zu echten Popstars, dass sich Ratingagenturen gar keiner Beliebtheit beim Volke erfreuen. Das stört sie allerdings nicht weiter, es geht ja auch gar nicht darum, ein guter oder beliebter Mensch zu sein, schon gar nicht in der Finanzwelt! Die Ratingagenturen geben mit ihren Einschätzungen potenziellen Großinvestoren Tipps, wo sie ihr Geld anlegen sollten und wo besser nicht. Mit anderen Worten: in den USA - ja (= AAA Wertung), in Griechenland - nein (= C-Wertung). Besonders lustig ist dabei die Begründung, die man immer wieder gerne hört: "Der Ausblick für diese Staaten ist schlecht, sie werden kein Geld bekommen, weil davon auszugehen ist, dass in diesen Staaten das Geld zusammenbrechen wird und es sich eine Investition nicht lohnt, weil dort kein Wirtschaftswachstum erwartet wird." Nun, es heißt nicht wortwörtlich so und diese Begründung ist auch nicht die Einzige, aber so oder so ähnlich läuft das Ganze ab.

Hier nun die Pointe dieses genial-gruseligen Witzes der Ratingagenturen: die Agenturen prophezeien den Anlegern schlechte Wirtschaftsaussichten für bestimmte Länder. Die Investoren sind dadurch in der sicheren Meinung "Das lohnt eh nicht!" und investieren folglich auch kein Geld mehr in diese Staaten. Die Staaten wiederum sind unter anderem aber auf das Geld von Investoren aus dem Ausland angewiesen, damit ihre Wirtschaft in Schwung kommt (man nehme als simpelstes Beispiel hierfür den Import-Export). Die mathematische Gleichung hierzu lautet dann wohl:

Rating + treudoofe Investoren, die auf alles hören = Staaten, die pleite gehen + kein Wirtschaftsaufschwung - abgewanderte Investoren

Natürlich sind die Ratingagenturen nicht der einzige Faktor einer Staatspleite und weiß Gott, die Staaten, die von den schlechten Ratings im C-Bereich betroffen sind tragen oft selbst Schuld an der Misere. Allerdings haben die Ratingagenturen Macht; eine viel zu große Macht, wenn man bedenkt, dass eigentlich so gut wie nichts hinter diesen Ratings steckt. Worum geht es? Um's liebe grüne, nicht stinkende Geld, natürlich! Es geht um Multimillionäre und Milliardäre, die sich sicher sein wollen, in ihrem Leben nie wieder arm zu werden. Deswegen investieren sie nur dahin, wo es sich auch potenziell lohnt. In Griechenland zu investieren lohnt sich nicht wirklich, dann doch lieber in China, die machen wenigstens was aus dem Geld! Nun kann ich schlecht in das Hirn eines Multimillionärs oder Milliardärs gucken, ich habe nicht sooo viel Geld, verstehe aber die Motive, nach denen sie handeln und investieren. Allerdings sei hier eine Unterscheidung gemacht: ich verstehe, wie sie ticken - das heißt aber noch lange nicht, dass ich Verständnis für ihr Verhalten habe!

Es bleibt wohl dabei: die Weltwirtschaft wird von einem immer kleineren Kreis Menschen mit zu viel Geld bestimmt und damit darf dann der Großteil der Menschheit leben. Die Tatsache, dass dieser Kreis Menschen aus dem "Heartland of Capitalism" = den Vereinigten Staaten stammt, macht die Sache geradezu symbolisch für die Wichtigkeit des Kapitalismus. Es gibt auf diesem Planeten wohl kaum ein Land, dass sich mit Wichtigtuerei so hervorgetan hat in den vergangenen 200 Jahren wie die U.S. of A. Wie passend, dass sämtliche Ratingagenturen, die im Moment am globalen Finanzmarkt die entscheidende Rolle spielen, aus Amerika stammen. Konkurrenz gibt es in diesem stars & stripes-Monopol derzeit nur von den Chinesen, die ebenfalls mit einer Ratingagentur vertreten sind. Der Rest ist Schweigen im Wald.

Somit gingen die drei Medaillen (Gold, Silber und Bronze) für's "zu-Tode-rating-europäischer-Staaten" eindeutig an die USA. Das macht dann drei Medaillen im Medaillenspiegel, die Frage, wer Gold, Silber und Bronze erhält, ist in diesem Fall relativ egal. Es macht einfach keinen Unterschied, ob der absolute Sieger im Kampf um Gold an Fitch, Moody's oder Standard & Poor's geht. Die Vorliebe für eine der Agenturen ist wohl nur wie die Vorliebe für eine bestimmte Apfelsorte.

Fakt bleibt aber das nationale Problem im internationalen Konflikt. Wenn in Zukunft die Ratings nur von amerikanischen Agenturen erstellt werden, wird es immer wieder vorkommen, dass diese Agenturen nationalbedingt Vorlieben erstellen. So ist es zumindest aktuell stark verwunderlich, warum die USA trotz finanzieller Krise und innenpolitischen Differenzen ohne wirkliche Verbesserungen auf dem Arbeits- oder Finanzmarkt eine Triple A-Bewertung erhalten, sprich die Spitzenbewertung. Es wäre nachvollziehbar, wenn die USA wirklich noch das Land sind, in denen Milch und Honig fließen... diese Tage sind in den USA allerdings auch gezählt und das liegt nicht am derzeitigen Präsidenten, vielmehr am Stillstand im Land selbst. Denn egal, welcher der beiden Kandidaten im November die Präsidentschaftswahl gewinnt, es wird nicht dazu führen, dass sich viel in den USA verändert, wenigstens nichts, was die internationale Politik betrifft.

Wir befinden uns nun in einem Diktat von amerikanischen Ratingagenturen, die über das Schicksal Millionen Bürger in vielen Staaten entscheiden. Am Dicksten hat es dabei die Europäer getroffen, die derzeit in der Bündniseurokrise stecken. Es macht sich dabei eben besonders bemerkbar, dass Europa in einer Gemeinschaftswährung steckt nach dem Motto "mitgehangen - mitgefangen". Die Griechen sind pleite, also wird nach und nach jedem anderen Staat eine schlechte Prognose gestellt; allein durch den Euro-Rettungsschirm werden selbst finanzstarke Staaten für die amerikanischen Ratingweltmeister zum Risikofaktor - allen voran Frankreich und Deutschland. Egal, wie sehr wir uns anstrengen mögen, wir bürgen teilweise für den Eurorettungsschirm für insolvente Staaten. Das Problem ist inzwischen nur, dass die verschuldeten Staaten mit ihren Programmen kaum aus der Krise herauskommen und somit Fitch & Co noch mehr Gründe geben, warum Deutschland oder Frankreich keine gute Prognose haben. Die Tatsache, dass die USA vor einem Jahr kurz davor standen, sämtliche Lichter ausgeschaltet zu bekommen, weil sie zahlungsunfähig waren, spielt merkwürdigerweise keine Rolle in dem AAA Rating.

Durch das Rating als Investitionsinstrument haben sich neue Verknüpfungen ergeben zwischen Ratingagenturen, Banken und Investoren. Daraus hat sich eine Art Hexenkessel entwickelt, der früher oder später die Finanzwelt zusammenbrechen lassen dürfte. Vereinfacht gesagt: solange der Leitzins für Kredite für Banken ständig gesenkt wird und Banken dadurch abenteuerliche Spekulationsspielchen vollführen können, Staaten allerdings von immer stärker steigenden Kreditzinsen betroffen sind, die durch die Banken festgesetzt werden und zusätzlich Staaten mit Krediten für Schulden aufkommen müssen, die die Banken verursacht haben, um diese vor dem Ruin zu retten, solange wird es keine wirkliche Lösung am Finanzmarkt geben. Natürlich leben Banken von einem "guten" Geschäft. Gute Geschäfte sind fabelhaft. Allerdings frage ich mich, ob die Staaten wirklich als Vollidioten dastehen wollen und sollten. Das Schöne an Geschäften ist doch schließlich, dass die Geschäftspartner von Verhandlungen leben. Genau deswegen sollten die Verhandlungspartner neue Konditionen ausarbeiten zum Schutz von... eigentlich allen!

Was die Investoren wie die Banken wie alle Wichtigtuer dieses Planeten nicht bedenken: gehen die 99% der arbeitenden und armen Bevölkerung endgültig Pleite, haben die 1% der Superreichen von ihrem Geld auch nichts mehr. Schließlich lebt der Club der Superreichen vom Umsatz der Konsumenten, den Menschen, die nicht unbegrenzt Geld zur Verfügung haben. Es wäre gut, würde die Goldschicht ganz oben mal darüber nachdenken.

In diesem Sinne - Glückwunsch an die amerikanischen Ratingagenturen zu Gold, Silber und Bronze bei den Olympischen Sommerlochspielen... und an alle Leser eine schöne Woche und bis zum nächsten Blogeintrag.

LG Gene :-)

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