Samstag, 13. Oktober 2012

Love, Peace & Europe? Die EU zum heißen Herbst 2012

Schluss mit lustig, das Sommerloch ist endgültig vorbei, die Ereignisse überschlagen sich mal wieder, weil jeder mitkriegt, weil gerade los ist und nicht im Urlaub vor sich hinbrutzelt (und diejenigen, die es trotzdem tun, sind wahrscheinlich mehr als zu bedauern, immerhin gibt es nichts schöneres, als mitzukriegen, was in dieser verrückten Welt geschieht!).

Die Sommerlochserie ist zugegebenermaßen eher offen geendet, aus Zeitmangel bestand keine Zeit mehr, den Sommer(loch)spielen 2012 eine würdige Abschlussfeier zu bescheren. Sie mögen es mir verzeihen, die Goldmedaillengewinner sind auch so Stolz wie Oskar über ihren "Gewinn". Deswegen wende ich mich in meinem Blog direkt dem heißen, feurigen "Indian Summer" oder dem "nasskalten Hundswetter" zu (was eher auf den deutschen Herbst zutrifft als ersteres!). In dieser Woche gab es denn auch endlich mal wieder für mich einen Grund, überhaupt einen Blogeintrag zu verfassen.

Gestern Mittag war ich verdutzt, fast geschockt und reagierte anschließend nur mit Ungläubigkeit und Kopfschütteln, als ich in den Nachrichten hörte, wer nun in diesem Jahr den "Friedensnobelpreis 2012" gewonnen hat, den wichtigsten der vom schwedischen Chemiker Alfred Nobel gegründeten und gestifteten Preises. Besonders interessant: Nobel legte in seinem Testament fest, dass der Preis "denen zugeteilt werden (soll), die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“ (Quelle: wikipedia). Laut Jury ist dies also in diesem Jahr die EU, die Institution, die vor allem durch die Krisen"bewältigung" um den Euro vorrangig in den Schlagzeilen stand.

Die EU gewinnt also den "Friedens"nobelpreis und das mit der Begründung, dass "die EU über sechs Jahrzehnte entscheidend zur friedlichen Entwicklung in Europa beigetragen habe" (Quelle: Spiegel-online). Diese Begründung kann verlangsamtes und zustimmendes Kopfnicken verursachen... muss aber nicht zwangsläufig! Einleuchtend ist die Begründung schon, die EU und das Bündnis der Mitgliedstaaten steht symbolisch für eine friedliche Einheit, vor allem aber auch für eine wirtschaftliche. Sicher, es soll immer der Frieden und die Demokratie im Vordergrund stehen bei der Symbolfigur Europäische Union, aber seien wir einen kurzen Augenblick mal wieder ehrlich: es geht in erster Linie um wirtschaftliche Interessen beim Bündnis der EU. Und nichts spricht wirklich dagegen, immerhin lebt jedes Individuum in heutigen Zeiten auch in erster Linie für den wirtschaftlichen Aspekt. Überleben heißt das Schlagwort, welches mit Geld und Wirtschaft untrennbar verknüpft ist.

Das Problem an diesem Friedensnobelpreis ist indes auch nicht, dass die EU mehr ein wirtschaftliches denn ein Friedensbündnis ist. Es ist klar, dass wir in der EU friedlich miteinander leben, da die EU aus demokratischen Mitgliedsstaaten besteht. Man bedenke auch, dass die EU einen weiten Weg hatte, um in solch einem starken, demokratischen Bündnis zu stehen, es bedurfte viel Einsichtigkeit und große Schritte musste von Staatsmännern aufeinander zu gemacht werden. Allein die Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg zeigt das: die Verbrüderung von Adenauer und de Gaulle galt damals wie heute als ein großer Schritt in Richtung einer friedlichen Gemeinschaft. Auch hier hat das Komitee des Nobelpreises Recht, wenn sie sagen, dass "heute ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland undenkbar wäre". Wahrscheinlich sind alle EU-Bürger auch sehr dankbar darum, dass ein Krieg wie der 2. Weltkrieg im heutigen Europa nicht denkbar wäre.

Trotzdem habe ich spontan über die Entscheidung, den Preis an die EU zu verleihen, mit Kopfschütteln reagiert. Nach allem, was in den vergangenen zwei Jahren war? Ist die EU wirklich noch eine Gallionsfigur des Friedens, die solch eines Preises würdig ist?

Ja, die Euro-Krise hat keinen Krieg innerhalb Europas ausgelöst. Zumindest keinen Krieg, der Tausende von Menschenleben fordert wie der, der zur Zeit in Syrien stattfindet. Man kann der EU auch nicht wirklich Tatenlosigkeit nachsagen in Sachen Eurokrise. Madame "Non" Merkel hat bewiesen, wie führungsstark und überlegt sie in der Krise eine ganze Gemeinschaft leiten kann. Gut, ich gebe zu, der Satz klingt weit sarkastischer, als ich ihn meine. Es ist wichtig, dass in der Krise, die eine ganze Währung zu zerstören droht, gehandelt wird, vor allem, wenn es bei dieser Währung um eine Gemeinschaftswährung geht und der Großteil eines ganzen Kontinentes wirtschaftlich in Gefahr ist. Allerdings kann man der EU zu Recht vorwerfen, dass sie nicht so stark und sozial gerecht handelt, wie es das Komitee des Nobelpreises ihm gerne unterstellen würde.

Die Euro-Krise hat Opfer gefordert, keine in Blut getränkten Kriegsopfer, die offen auf der Straße liegen, doch sie hat Opfer gefordert. Menschen leiden unter diktatorischen Sparmaßnahmen, blicken in eine heute mehr denn je ungewisse Zukunft und die Pläne zur Bewältigung der Eurokrise führt nur zu Demonstrationen Tausender Menschen auf den Straßen der von der Krise gebeutelten Nationen. Es ist kein Krieg möglich in Europa? Blickt man auf die Aggressionen speziell in Griechenland und das speziell gegenüber Deutschland, könnte man den "Krieg" fast schon wie dampfende Hundekacke in der Luft riechen. Erst in dieser Woche war Bundeskanzlerin Merkel dann auch in Griechenland zu weiteren Gesprächen im Hinblick auf die Krise. Dieser Besuch wurde ungewöhnlich unfreundlich von den Griechen in Empfang genommen: menschenleere Straßen, wo Frau Merkel mit Polizeitrupp und Limousine fuhr, es gab nicht einmal rosa Luftballons für sie. Stattdessen in anderen Teilen Athens groß angelegte Proteste mit Demonstranten, die teilweise in Naziuniform aufmarschierten. Ja, wenn kein anderer Vorwurf gegen die Deutschen geht, dann der bezüglich ihrer Nazivergangenheit. Eine Demonstration, die noch billiger ist als jedes "scripted reality format" im deutschen Fernsehen.

Fakt ist: es brodelt an allen Ecken und Enden in Europa seit der Eurokrise. Griechenland hasst Deutschland, Deutschland ist teils verstimmt mit Frankreich, Spanien und Italien schrauben an Lösungen, die sie selbst mehr schlecht als recht finanzieren können, und alle drängen wiederum Griechenland, endlich ihr finanzielles Problem in den Griff zu kriegen. Einigkeit besteht seit der Eurokrise sowieso nur auf halbgaren Papieren und zusammengeschusterten Plänen zur Lösung des Finanzproblems der EU. Die EU als Friedenssymbol?

In einer Zeit, in der die EU mit einer solch gewaltigen Krise wie der Eurokrise zu kämpfen hat, ist es nicht einmal eine "jetzt erst recht!"-Demonstration, den Preis der Europäischen Union zu verleihen. Der Friedensnobelpreis soll doch (wenn man den Worten Alfred Nobels in seinem Testament folgen soll) demjenigen verliehen werden, der im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht hat. Im Hinblick auf dieses Zitat ist die EU wohl eher ein halbgarer Preisträger und nicht wirklich der Auszeichnung gewachsen.

Vor allem im Hinblick auf die anderen potenziellen Kandidaten ist diese Preisvergabe eher ein Treppenwitz. Zu den nominierten gehörten nicht nur die üblichen "Staatsmänner-Verdächtigen" wie Helmut Kohl oder Bill Clinton und auch Julija Timoschenko, sondern auch die Vorreiter des "arabischen Frühlings", Blogger und Menschenrechtler waren für den Preis nominiert. Die Spannung war auch bei mir in diesem Jahr groß gewesen und als ich die Entscheidung gehört habe, dachte ich, man hätte auch sonst wem den Preis verleihen können. Eine Auszeichnung an Protestler gegen das russische Regime hätte der Bewegung gegen Putin gut getan, es hätte vor allem ein Statement gegen Putin und seine fast totalitäre Herrschaft gesetzt.

Geht es schlussendlich bei einem Friedensnobelpreis nicht um den Frieden an sich? Wer könnte den Frieden besser vertreten als die, die sich uneigennützig für den Frieden und die Freiheit der Menschen einsetzen? Zugegeben, ein Nominierter wie Bono von U2 ist für mich auch nicht wirklich ein Wunschkandidat für die Auszeichnung. Wenn sich Menschen, die viel Popularität und Geld haben, für Frieden oder Schuldenerlässe von Entwicklungsstaaten einsetzen, ist das zwar lobenswert, aber nicht sonderlich schwer für diese Menschen umzusetzen. Ich schätze Bono's Engagement für Afrika wirklich sehr und finde auch, dass gerade er in der Prominentenwelt eine Bewegung losgetreten hat, sich auch für die Armen der Welt einzusetzen (was in den Jahren davor viel zu sehr in den Hintergrund gedrängt wurde). Aber ein Friedensnobelpreis? Ich sehe immer noch Menschen für diese Auszeichnung, die ihr gesamtes Leben einer Sache widmen, mit Herz und Hirn sich so stark für etwas einsetzen, dass Glanz und Gloria kein Platz mehr haben. Hingabe und sich einer Sache wirklich zu widmen erfordert viel Kraft, da kann man nicht nebenher noch Karriere machen (auch wenn Kristina Schröder das immer zu verkaufen versucht und immer noch strikt gegen eine Frauenquote ist).

Erst heute las ich von der 14jährigen Schülerin Malala Yousufzai aus Pakistan, die in ihrer Heimat von Al-Qaida Terroristen niedergeschossen wurde und nach einer Notoperation immer noch ums Überleben kämpft. Ein Mädchen, dass sich öffentlich für die Rechte von Mädchen eingesetzt hat, in die Schule gehen zu dürfen in einem Land, in dem der Terror der Al Qaida Mädchen sogar verbietet, das Haus zu verlassen. Nein, nicht ganz Pakistan ist von der Al Qaida Seuche befallen, aber ein erschreckend großer Teil und die Terrororganisation tut alles, um das ganze Land in ihre Gewalt zu bringen. Man muss den Mut dieses Mädchens bewundern, ihre Courage, für das Recht auf Schulbildung einzutreten. Ist das nicht viel mehr Wert als eine Organisation wie die EU, die von hochbezahlten Sesselwarmhaltern lebt, die dank großer Gehaltsschecks den "Frieden in Europa" sichern?

Einige Kritiker bemängeln schon seit mehreren Jahren, dass der Friedensnobelpreis an "Schlagkraft" verloren hat, weil einfach die falschen Menschen damit ausgezeichnet werden. So war die Auszeichnung für Barack Obama im Jahr 2008 bereits ein Witz, über den man sich heute noch lustig machen darf. Einen Staatsmann auszuzeichnen vor seinem Amtsantritt waren wohl doch ein paar Vorschusslorbeeren zuviel und bis auf die große Heldentat, in einer gefährlichen Operation Terrorchef Osama bin Laden zu töten, ist nicht viel passiert in der ersten Amtsperiode Obamas, zumindest nicht außenpolitisch oder zur Herstellung des Weltfriedens. So zeigt sich Obama speziell in dem Konflikt um Syrien erschreckend träge und tatenlos. Ein Mann, der als Symbolfigur für den Frieden ausgezeichnet wird, müsste doch viel mehr tun, um das Blutvergießen in dem Kriegsgebiet zu stoppen, oder? Nun, wie schon des Öfteren vorher betont, Obama ist nicht der Messias, für den ihn viele Menschen vor seinem Amtsantritt gehalten haben.

Aber zurück zum EU Friedensnobelpreis. Der Präsident der EU Kommission, José Manuel Barroso, hat nach der Bekanntgabe gesagt, dass es "große Ehre für die gesamte EU und alle 500 Millionen Bürger (ist), mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet zu werden". Hm, also sind nun alle EU Bürger stolz, einen Preis erhalten zu haben, von dem keiner so wirklich was hat. Ja, die Symbolkraft... ist klar! Ich glaube, die EU Bürger sind dieser Tage viel zu sehr mit der Angst um ihre Jobs und ihre Existenz in Zeiten der Euro-Krise beschäftigt, als dass sie Freudensprünge wegen eines gewonnen Friedensnobelpreises machen könnten. Solch ein Preis ist schlussendlich doch mehr für diejenigen, die Zeit haben, diese Ehrung zu genießen und sich im Licht der Lobhuselei zu sonnen. Wie die Politiker in der EU. Vielleicht hatte das Kommitee doch recht, genau diese Organisation auszuzeichnen... immerhin wäre ein Menschenrechtler zu beschäftigt mit der Wahrung des Friedens oder der Umsetzung seiner eigenen Mission, um sich vor Kameras zu aalen oder Statements zu geben, wie sehr er den Preis doch verdient hätte.

Das Einzige, was die Verleihung dieses Jahr bei mir bewirkt hat, ist Enttäuschung. Enttäuschung über das zu weiche Rückgrat des Nobelpreis-Komitees, Enttäuschung über so wenig Mut zu einer erwähnenswerten Entscheidung und Enttäuschung über einen Preisträger, der so furchtbar sinnlos ist, gerade in dieser für die EU so schweren Zeit. Optimisten reden natürlich von dem "Push", den solch ein Preis mit sich bringt, der Motivation, die dieser Preis für die EU in Krisenzeiten haben wird. Bitteschön, ich lasse allen Optimisten und Befürwortern gerne ihr positives Gedankengut und vielleicht führt dieser Preis wirklich zu dem Kick, der die Europäische Gemeinschaft in die richtige Richtung führen wird. Es wäre allen Beteiligten (inklusive 500 Millionen EU Bürger, denn auf die kommt es schlussendlich wirklich an!) zu wünschen!

In diesem Sinne ein schönes Wochenende und bis zum nächsten Blogeintrag.

LG Gene :-)

Keine Kommentare:

English Blog